WIGS ON THE GREEN

oder

LANDPARTIE MIT DREI DAMEN

… ein Roman, eine Parodie, eine Persiflage, eine Nazisatire, eine Gesellschaftskomödie von 1935, also kurz vor Ausbruch DER Katastrophe unserer Zeit.

Erschienen ist der Roman erstmalig 1935. Als er 1951 erneut aufgelegt werden sollte, sprach sich Nancy Mitford vehement dagegen aus: „Es ist zu viel passiert, als dass man Naziwitze komisch oder nicht völlig geschmacklos finden könnte. Es geht nicht mehr.“[1] Die vorliegende deutschsprachige Ausgabe ist von 2011, nachdem das Buch 2010 in England in dieser Neuauflage erschien. Es enthält ein Nachwort von Charlotte Mosley – die Schwiegertochter Diane Mosleys (geb. Mitford), eine der sechs Schwestern Nancy Mitfords – das über die zeitgeschichtlichen Zusammenhänge des Romans und die Anfänge der faschistischen Bewegung aufklärt. Außerdem deckt es die autobiografischen Züge, die familiären Vorbilder der Romanfiguren auf – auch wenn Nancy Mitford behauptet, dass sämtliche Figuren frei erfunden sind, so lassen sich die charakterstarken, oder vielleicht eher auffälligsten Figuren, eindeutig einigen Familienmitgliedern zuordnen – und das selten zu deren Vorteil.

Nancy Mitfords Einstellung zum Leben bestand darin, nichts besonders ernst zu nehmen. Nichts war so wichtig, als dass man nicht darüber lachen könnte. Humor an vorderster Front. Sie mied jede Form von Ideologie. Ihr lagen Menschen am Herzen, nicht Ideen. Darin unterschied sie sich wohl am meisten von ihren sechs Schwestern, zumal von dreien. Zwei brannten für den Faschismus, empfanden später tiefe Verehrung für Hitler. Schwester Diana war außerdem glühende Anhängerin, Geliebte und später Ehefrau des BUF-Anführers Oswald Mosley (Nazi-Partei „British Union of Fascists“). Die dritte war überzeugte Kommunistin. Die Politik, damit einhergehende Überzeugungen und Konventionen und daher also auch Landpartie mit drei Damen führte unter den Schwestern zu größtem Ärger, zu bösen Briefen und sogar zu einer mehrjährigen Kontaktsperre.

Das wissend, beklemmt es mich, dass ich trotzdem nicht umhin komme es zuweilen für eine wirklich komische, immer wieder zu spöttischem Schmunzeln veranlassenden Erzählung zu halten, bitter-sweet würde man im anglophonen Raum wohl sagen. Ohne jemals die Achtung vor der Geschichte aus den Augen zu lassen.

Das geht nur heute, aufgrund des zeitlichen Abstands und der Aufarbeitung der Geschichte. Das ging nicht 1951.

Ort des Geschehens: Chalford, Gloucesterhire, ca. 100 Meilen von London entfernt.

Involvierte Personen:

Noel Foster: Junggeselle der Londoner Oberschicht mit überschaubarem Erbe, eher introvertiert, auf der Suche nach einer jungen Aristokratin mit Aussicht auf ein ansehnliches Erbe. Zieht aus, um am Ende wieder am Anfang anzukommen.

Jasper Aspect: Junggeselle der Londoner Oberschicht, eher extrovertiert, trotz angemessener Abstammung nahezu mittellos, Schürzenjäger, pumpt sich durchs Leben, ebenfalls auf der Suche nach einer jungen Aristokratin mit Aussicht auf ein ansehnliches Erbe. Das Erbe bleibt nur indirekt aus, das Junggesellen- und Schürzenjägerleben aber lässt er letztlich hinter sich und lernt dabei noch etwas.

Eugenia Malmains: Junge Aristokratin mit Aussicht auf ein ansehnliches Erbe, Stimme und Anführerin des Union Jack Movements („sozialunionistische Partei“) in Chalford, lebt einzig für diese eine Sache, verachtet alle (von ihr entlarvten, elenden) Pazifisten, kein Gedanke an Heirat oder überhaupt Männer, sofern sie nicht Captain Jack (Anführer des Union Jack Movements) sind oder der Partei beitreten möchten. Keine weitere Entwicklung, dennoch hat sie Symbolkraft.

Reichshund: Hund von Eugenia (genannt nach dem Hund Bismarcks). Keine weitere Entwicklung.

Vivian Jackson: Pony von Eugenia. Hört auf Pfiff. Avanciert zum Königskutschpony.

Miss Jones: entpuppt sich in Wahrheit als Lady Marjorie Merrith, die die Flucht vor ihrem Verlobten, Herzog von Dartford ergriffen hat und sich in Chalford versteckt. Aus der tranigen, verzogenen Stubenhockerin wird eine lebhafte, den einfachen Dingen zugewandte Braut.

Miss Smith: mit tatsächlichem Namen Poppy St. Julien, treue Begleiterin von Miss Jones, ebenfalls auf der Flucht, jene allerdings vor ihrem Ehemann, der sie mit einer Debütantin öffentlich beschämt, weshalb sie die Scheidung in Erwägung zieht. Aufgeweckt und selbstbewusst weist sie den Männern den Weg, ohne das äußerst angenehme Mädchenhafte zu verlieren.

Anne-Marie Lace: extravagante, französisch parlierende Provinzschönheit mit dramatisch-romantischen Zügen, verkannt und zutiefst unerfüllt. Gibt sich irgendwann mit den provinziellen Umständen und ihrem ach so banalem und grobschlächtigen Gatten zufrieden.

D.A.A.F. (die alte arme Frau) aka Lady Chalford: Eugenias überforderte, ahnungs- und arglose Großmutter und Erziehungsberechtigte. Eugenias Vater starb und ihre Mutter fiel bei den Chalfords in Ungnade. Lady Chalford blüht auf, aber lernen tut sie nichts. Muss sie auch nicht. Aber schade ist es dennoch.

Lord Driburgh: Großvater von Jasper Aspect, der unweit von Chalford in der „Klapsmühle“ Peersmont residiert – eine Anstalt für Aristokraten, die dem Wahnsinn verfallen sind, ihnen aber die gewöhnliche Irrenanstalt erspart und ihnen ihr gewohntes Umfeld bietet: eine vollständige Imitation des Oberhauses, mit allen seinen Kammern, Sitzungen und Regeln. Der Lord entpuppt sich als lukrativer Schwerenöter. Sei´s drum, vielleicht ist ihm schlicht langweilig. Oder er ist irre.

Zwei Detektive sowie weitere nicht zwingend erwähnenswerte Charaktere.

Nun wäre es eigentlich an der Zeit die Handlung zu beschreiben, chronologisch durch die Erzählung zu führen. Aber es ist nicht die Handlung, es sind nicht die eigentlichen Ereignisse – Eugenia krakelt auf dem Marktplatz, Noah und Jasper trinken an der Bar, das Parteibüro brennt ab, das große Kostümfest startet mit einem Putsch, Union Jackshirts werden verprügelt, Männer bauen Nester in Bäumen –, die mich an diesem Buch gehalten haben. Es sind die abstrusen Dialoge, die Beschreibungen der Personen, die Ansichten, Überzeugungen, die sie so von sich geben. Man kann diesen sozialunionistischen Haufen nicht ernst nehmen, nicht glauben, dass sie das Ausgesprochene wirklich so meinen. Nancy Milton führt das vor und lässt Eugenia sich selbst entlarven, wenn sie Poppy aufzuklären hilft, ob ihr Mann ein Arier ist oder nicht: „Also, es ist ganz einfach. Ein Nichtarier ist das Missing Link zwischen Mensch und Tier. Das beweist die Tatsache, dass kein Tier, abgesehen von der Nordgans, blaue Augen hat.“ oder lässt sie Sätze wie diese von sich geben: „Wir sind die einzigen, die euch vor dem Pazifismus in seiner brutalsten Form schützen können!“. Zu Tieren mit blauen Augen sei noch hinzugefügt, dass Poppy hier siamesische Katzen als ebenfalls blauäugig anführt, woraufhin Eugenia deren nordische Tugend der Treue ins Feld führt. Darauf allerdings wirft Poppy ihren siamesischen Kater mit ein, der letzten Sommer jede Nacht mit einer anderen Katze ankam. Sogar ihr Ehemann sei schockiert gewesen. Natürlich hat Eugenia auch hier eine wahnsinnig stichhaltige Erklärung. Dazu mehr gerne ab Seite 177.

Der politische Anteil bildet jedoch nur einen Aspekt der Absurditäten ab. Gesellschaftliche Konventionen, die sogar 1935 nicht mehr zeitgemäß wirken wollten, werden durch eine Lady Chalford (D.A.A.D) unschuldig entrüstet ins Lächerliche verfrachtet: geschiedene Frauen sollten bitte zurückgezogen und sittsam den Rest ihres Lebens in Einsamkeit verbringen, Männer aus gutem und traditionsreichem Hause, die sich als Ehepartnerinnen „Personen aus dem Bühnenmilieu“ suchen tappen in die „Ehefalle“, eine Familie deren Sohn von der Eliteschule Eaton fliegt, hat leider auch jegliche Würde verloren.

Die Personen werden minutiös und mit Hingabe in ihre Rollen einmassiert, sie suhlen sich geradezu in ihren Überzeugungen, Befindlichkeiten, Nöten, Freuden, Stumpfheiten, ihrer Beschränktheit und Gewöhnlichkeit. Sie überraschen einen nicht mit plötzlichen Entwicklungsschritten oder Unvorhersehbarem.

Dabei bleibt dem Lesefluss aber eine Leichtigkeit bewahrt.

Zurück bleibt eine Ambivalenz. Ich habe definitiv bessere Bücher gelesen. Ich habe mich schon sehr viel mehr amüsiert und mich viel viel häufiger an wunderschöner Sprache satt gelesen. Trotzdem bleibt hier etwas. Ein unwohles Gefühl. Das allerdings in mir arbeitet und dafür sorgt, dass ich dem Prinzip des Zynismus oder eben des Humors von anderer Seite versuche auf die Spur zu kommen.

Trotzdem: Lesen!

 

Autorin:

Nancy Mitford, geboren 1904 in London, gestorben 1973 in Versailles. Romane u. a.: Englische Liebschaften, 1945; Liebe unter kaltem Himmel, 1949.

 

Übersetzer:

Mattias Fienbork hat Musik und Islamwissenschaften studiert. Er ist Übersetzer von Eric Ambler, Evely Waugh, W. Sommerset Maugham, Sybille Bedford. Lebt in Berlin.

 

 

[1] Nancy Mitford, Landpartie mit drei Damen, Nachwort von Charlotte Mosley, S. 234. Graf Verlag München, 2011

CREDITS

Text: Henrike Heick #lousalo