T.C. Boyle

Blue Skies

Übersetzt aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren

Roman – Cli-Fi

Hanser Literaturverlage, Gebundene Ausgabe, 2023, 400 Seiten

Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel Blue Skies bei Liveright Publishing Corporation, W. W. Norton & Company, New York

 

Wäre ich eine „gestandene Feministin“ würde ich den Roman boykottieren. Gegebenenfalls den Autor – aber ich lese zum ersten Mal T.C. Boyle, daher erlaube ich mir keinen Rundumschlag und schiebe meinen aufwallenden, nicht beständigen Unwillen beiseite.

Zur Erläuterung dieses Intros: die zwei Frauen, die neben den drei Männern, die Hauptprotagonistinnen sind, werden als naiv, einfältig, frei von jeglichem beruflichen Ehrgeiz und finanziell abhängig von ihren Ehemännern gezeichnet. Man kann das alles ironisch oder auch zynisch betrachten – je nach Stimmung in meinem Fall. Ein Fakt, der mich gnädig stimmt und es humorig macht: die Männer kommen auch nicht so richtig smart rüber. Jeder wie er kann, go with the flow … mich würde eine männliche und brennend eine non-binäre Betrachtung interessieren > bitte an: mail@cytemagazin.de – aber bitte nur, wenn es wirklich von vorne bis hinten durchgelesen wurde.

 

 

„Kalifornien brennt und Florida geht unter“

 

 

Irgendwann, in nicht allzu ferner Zukunft: Kalifornien verdorrt und verbrennt, Florida lebt im ewigen Hurrikan und versinkt dazu noch im Meer. Florida trifft es augenscheinlich härter, denn es kommen Dauerregen und eine waschküchenartige Luftfeuchtigkeit hinzu, die wiederrum Fäule provoziert, die einen beißenden Gestank, egal ob drinnen oder draußen, zur Folge hat und – zusammen mit den Termiten – die die edlen Holzhäuser zum Einsturz bringt. Versicherungen zahlen schon lange nicht mehr. Was für Aussichten. Da hilft es auch nicht, wenn wir jetzt anfangen CO2 zu sparen … Gerade gestern, 2.8.2023, war Earth Overshoot Day, Erdüberlastungstag. Deutschland hatte seine Ressourcen in diesem Jahr schon am 4. Mai 2023 aufgebraucht, USA am 14. März 2023, China immerhin erst am 2. Juni 2023 – Jamaika gewinnt mit 20. Dezember 2023. Aber ich vermische die Dinge und komme ab vom Buch.

Also Kalifornien brennt und Florida geht unter. Cat kauft sich eine Schlange, einen Tigerpython, während ihr Verlobter Todd seinen Tesla auf Hochglanz polieren lässt – trotz oder gerade wegen des ständigen Regens und der Flut. Keine Sorge, er hat selbstverständlich eine Rampe, auf die der Tesla jeden Abend gefahren wird, damit das Salzwasser, bei Flut, die Karosserie nicht angreift.

Also während Todd sich um sein Auto kümmert, kauft Cat sich einen kleinen Tigerpython. Er wird erst später auf fünf bis sechs Meter heranwachsen – und Unglück über Cat und Todd bringen. Cat kauft ihn sich ein bisschen aus Langeweile und ein bisschen – nein, rein aus Langeweile. Todd will (noch?) keine Kinder und Cat will Influencerin sein. Mit einer Schlange geht das sogar noch besser als mit Kindern. Eine Schlange kann man sich um den Hals legen und sie verleiht der Influencerin einen mystisch-animalischen Flair. Todd ist Barcadi-Botschafter, ist sehr viel unterwegs, auf Partys, meist umschwärmt von Frauen, denen er erklärt, welcher Rum womit am besten schmeckt. Cat trinkt am liebsten Mojitos, den ersten meist mittags. Neuerdings mit Willie, dem Python, wahlweise im Dekolleté schlängelnd oder im Schoß liegend. Selfies knipsend selbstverständlich. Alles für die treuen Follower. Es handelt sich um Willie I.

 

„Sie rettet jedes Insekt vor dem Ertrinken in ihrem Pool“

 

Cats Bruder Cooper lebt in der Nähe der Eltern in Kalifornien. Also der Landesteil, der vertrocknet und verbrennt. Cooper ist der Bugboy, der Käferjunge. Seit Kleinkindtagen folgt er allem, was kreucht, fleucht und fliegt. Insekten und damit deren Lebensraum sind seine Berufung. Er ist Entomologe. Er ist der Mahner, der Aktivist. Was Cat an Leichtigkeit und Gelassenheit versprüht, trägt Cooper als schwere Last und inneren Groll mit sich durch die Welt. Das potenziert sich, als er den rechten Unterarm durch einen Zeckenbiss verliert. Ausgerechnet eine Zecke. Eins der Lebewesen, deren Entwicklung und Einfluss auf die Welt er erforscht – bzw. seine Freundin (dies nur als Anmerkung fürs Protokoll. Lies selbst).

Ottilie ist die Mutter von Cat und Cooper. Sie lebt die klimatische Veränderung, folgt Coopers Mahnungen, seinem „Der Planet stirbt, seht Ihr das nicht?“ und versucht sich so klimaneutral und -bewusst wie irgend möglich zu verhalten. Sie rettet jedes Insekt vor dem Ertrinken in ihrem Pool. Sie pflanzt Wolfsmilchgewächse an, da diese besonders wichtig für den Erhalt der Monarchfalter sind, widmet sich dem Bienenvolk, dass Cooper ihr mitbringt und legt sich eine Grillenfarm zu, Eiweiszufuhr, Fleischersatz. Zwar sterben die Grillen ihr regelmäßig weg und auch die Bienen überleben es nicht. Aber das liegt nicht an mangelnder Pflege, ein weltweites Insektensterben greift um sich. Plötzlich ist die Welt still. Nur der Wind oder – je nach Standort – der Regen rauscht.

 

…“auf einem anderen Planeten, einem gesunden, von Menschen unberührten Planeten“

 

 

Neben dem nahenden Weltuntergang gibt es dann noch die menschlichen Dramen. Schlangen brechen aus Terrarien aus, Babys sterben – hier hat Willie II seinen unheilvollen Auftritt –, Paare trennen sich – Cats und Todds ohnehin fragwürdige Ehe zerbricht schließlich am Tod ihrer Zwillingstochter Sierra und den daraus folgenden Ereignissen –, Freundschaften werden auf die Probe gestellt – aufgrund eines verheerenden Feuers, das ganze Städte auslöscht müssen die Menschen näher zusammenrücken. Ottilie nimmt ihre beste Freundin Sylvie und deren Mann Peter bei sich auf, was sie immer öfter in das Naturschutzgebiet, das Cooper beaufsichtigt, flüchten lässt. Denn wenn beste Freunde zu Mitbewohnern werden, tun sich Abgründe auf.

Coopers Naturschutzgebiet besteht fast nur noch aus verdorrten Büschen, abgestorbenen Bäumen, staubigem Geröll. Ottilie und Cooper wandern stundenlang durch gleißendes Sonnenlicht. Ziel der Wanderung ist ein Kiefernwäldchen. Nach Gluthitze und nahender Ohnmacht lässt Boyle hier plötzlich die Natur aufleben, er lässt die Schmetterlinge fliegen, wie in einem Zauberwald, in einer Oase, wie in einer anderen Welt, auf einem anderen Planeten, einem gesunden, von Menschen unberührten Planeten. Ein schöner Moment, der Ottilie vielleicht Hoffnung gibt, dass ihre einzige Enkelin nicht nur Schreckliches, Unheilvolles in ihrer Zukunft zu erwarten hat.

 

 

Boyle bietet mit diesem Roman richtig gute Unterhaltung. Ganz nebenbei rüttelt er auf. Mich spricht er an. Ich werde nicht zur Aktivistin, aber ich werde noch stärker darauf achten, was ich tue und was ich anders tun kann, um daran beteiligt zu sein, den Planeten nicht noch mehr zu verletzen.

Und ich werde noch mehr Boyle lesen, um herauszufinden, ob er ein Frauenverachter ist oder grundsätzlich einfach Charaktere bloßstellt.

Lesen!