„Summersidequest: Taylor Swift, symbolische Formen und Intimate Connection“

Words: Sandra Groll

Zu jedem Sommer gehört ein Sommerhit und mag er noch so kitschig sein. Gleiches gilt auch für die Sommerlektüre. Wir nehmen uns zwar vor, am Strand endlich dieses eine, wirklich wichtige Buch zu lesen und biegen dann mit großer Leidenschaft mit einem eher seichten Titel scharf links ab. Und dann gibt es da noch die Sommerfragen und Sommerthemen. Angelegenheiten mit denen man sich immer schon einmal beschäftigen wollte. Also den großen, ganz wichtigen. Auch sie werden für den Sommer terminiert und fallen diesem dann erst zum Opfer, um nolens volens durch eher absurde Side Quests, wie Gamer sagen würden, ersetzt zu werden. Während mir also die Hitze – oder war es doch der Aperol? – ein wenig das Hirn weichspülte, war sie auf einmal da, die unnötigste aller Fragen und der Side Quest des Sommers: Was hat es mit den in Glitter und Pailletten getauchten und mit Cowboystiefeln beschuhten Frauen mittleren Alters auf sich, die an einem Mittwochnachmittag im Juli und am darauffolgenden Morgen in seltsam entrückter Stimmung die ganze Stadt bevölkern zu schienen und warum war ich nicht dabei? Natürlich hätte man die Antwort auch einfach googlen können, aber hey es ist Sommer. Und überhaupt Aperol und so, also sind Müßiggang, Beobachtung und Quatschanalytik angesagt. Ausstattung, Style, Accessoires, Makeup und Frisuren deuteten eindeutig auf einen ästhetisch-symbolischen Code hin, der durch weitere Formen wie Gesten, Mimik und ritualisierte Interaktionsformen ergänzt wird und anscheinend das Kunststück fertigbringt, eine intime Interaktionsgemeinschaft zu gründen, deren Mitglieder sich zuverlässig erkennen. Gleichzeitig scheint sich die ganze Soße aus symbolischen Formen, sozialer Interaktion und Codierung auf Rückkopplungseffekte zu erzeugen, die emotional-psychische Resonanzen ermöglicht und sich gleichzeitig in Köperhaltungen niederschlägt. Denn eins war deutlich: Selbstwirksamkeit und verschworene Gemeinschaft strahlten die Protagonistinnen aus. Anscheinend gelingt es den symbolischen Formarrangements des Codes gleich auf mehreren Systemebenen Irritationen zu erzeugen und dementsprechende Synchronizitätseffekte auslösen. Formenarrangements, die in der Lage sind leiblich-emotionale Niederschläge, soziale Interaktion, Gemeinschaftsgefühle, Selbstermächtigung und Identitätskonstruktionen gleichermaßen zu stimulieren und gleichzeitig die Welt und damit die anderen gehörig auf Distanz zu halten.
Das ist an sich nichts Neues, denn immer, wenn man es mit Symbolen und Codierungen zu tun hat, ist die Einheit der Differenz von Verbindung und Ausschluss nicht weit. Jedes Symbol und jeder Code, wirken schlicht zweifach: Sie trennen und verbinden gleichzeitig. Verbindungen werden dort gestiftet, wo die Bedeutung der Zeichen verstanden und geteilt wird, mit dem Ergebnis eines emotionalen Widerhalls, der sich in einem Gefühl das Angenommenseins und Ankommens ausdrückt. Trennungen finden hingegen dort statt, wo der Sinn nicht erschlossen werden kann, weil sich Zeichen und Code, aus welchen Gründen auch immer, als unzugänglich erweisen und der Sinn im Sinne Roland Barthes stumpf bleibt, weil die Signifikate nicht verfügbar sind. Das gilt für die Zeichen der Schrift, für die Zeichen der Mode oder die Formeln der Mathematik. Symbole sind – auch das ist nicht neu – immer Diabole. Man ist allerding nicht allein deshalb draußen, weil man den Code nicht versteht, sondern auch dann, wenn man seine Formen als Hinweise auf etwas ganz Anderes liest. Aus welchen Gründen auch immer vermutete ich nicht Taylor Swift, sondern das Jahrestreffen des Deutschen Cheerleading and Cheerdance Verbands in der Stadt und hätte damit nicht falscher liegen können, denn kein Jahrestreffen, welcher Cheerleadervereinigung auch immer, dürfte eine so breitgefächerte Immersion in den Alltag zustande bringen. Auch im morgendlichen Pendelverkehr am darauffolgenden Donnerstagmorgen, schob sich die symbolische Codierung in den Alltag. Hier und da ergänzte das Paillettenoberteil noch das Businesskostüm, zeigte sich just ein wenig zu viel Glitter in den Lidschatten und auch die Cowboystiefel trieben hier und da ihr schweißiges Unwesen. Allen gemeinsam war, dass sie auf fast magische Weise, nicht nur die Schultern sondern auch das Selbstbewusstsein ihrer Trägerinnen strafften. So viel Körperspannung, Empowerment und Selbstbewusstsein vor 9:00 war selten. Und einige, ganz harte Fällen schienen sogar das Volloutfit als neuen Standard durchsetzen zu wollen und verbreiteten einen fast schon punkig-trotzige „Das-bleibt-jetzt-so-für-immer“ Vibe.
Die individuelle Ebene ist bekanntlich das eine, Gemeinschaft das andere. Die geteilten symbolischen Formen und der gemeinsame Code erzeugen eine in schweigendem Einverständnis gemeinsam erlebte und in Mirkoverhalten bestätigte Innigkeit. Ein Mikrorealitätsgemeinschaft, die sich durch Blicke, Lächeln und anderen kleinen Formen der gegenseitigen Anerkennung und des Gesehenwerdens zwischen eigentlich Fremden mit ähnlichem Symboloutfit im öffentlichen Nahverkehr realisiert. Intime Konnektivität eben, die eigentlich flüchtig ist und die aus diesem Grund auf ästhetische Zeichen ebenso angewiesen ist wie auf das darauffolgende symbolisch-bestätigendende Verhalten.
Und sind wir doch ehrlich, im Kern jeder Intimitätsgemeinschaft steht genau dieser Prozess und wir alle kennen solche Begebenheiten doch aus einem ganz anderen Bereich: Dating. Auch dort braucht es symbolische Formen – und ich meine damit nicht nur die materielle – und bestätigendes Verhalten, damit sich ein Gründungsmythos einstellt, auf dem man sich im weiteren Verlauf beziehen kann. Je arbiträrer dabei die Elemente und Formen, desto mächtiger der Mythos.
Und damit führt der triviale Sommersidequest dann doch wieder zurück zu den großen und wirklich wichtigen Fragen. Zwinkersmiley an dieser Stelle. Nämlich der Frage nach den Kristallisationskernen und Mustern sinnhaft-sinnlich erlebter intimer Verbindungen. Wie viele Symbole und symbolische Codierungen brauchen wir heutzutage, damit wir in Stimmung kommen uns einzulassen auf innige Verbindungen und ihre Sinnlichkeit, die wir als tief und erfüllend erleben, die uns auf kognitiver, biochemischer und identitärer Ebene berühren und die strenggenommen emotionale Eigenkonstruktionen sind, die in ähnlicher Weise von allen Beteiligten gleichzeitig realisiert werden müssen.
Reichen einfache Symbolformen wie Liebes- und Gemeinsamkeitszeichen noch aus, oder müssen wir das Ganze eher verdichtend angehen und Symbolarrangements schmieden, die auf unterschiedliche Sinnprovinzen verweisen? Eignen wir uns die Formen eigentlich an, um sie im Prozess der unendlichen Semiose zu dem werden zu lassen, was sie am Ende sind: Interfaces für mehrdimensionale Systemirritationen die sich an Körper, Kognition und Kommunikation gleichermaßen richten?
Das Paillettenkleid existiert ebenso unabhängig von Taylor Swift und ihren Fans in anderen Kontexten und ist dort bereits mit Bedeutungen aller Art assoziiert. Gleiches gilt für das Freundschaftsarmband und das Ritual solche Armbänder als Zeichen der Verbindung auszutauschen. Sie existieren als bereits etablierte Zeichen in gesonderten Kontexten und sind in diesen allein für sich bereits so gewöhnlich, dass sie ein wenig trivial wirken. Das ausgetauschte Freundschaftsarmband dürfte jenseits des achtzehnten Geburtstages, eine nette Geste sein aber keine größeren emotionalen Verzückungen auslösen. Erst in durch Verkettung mit anderen symbolischen Formen und innerhalb eines sinnlich aufgeladenen Kontextes, dem Konzert, entfaltet sich anscheinend die Magie und gelingt eine Wiederverzauberung.
Und noch etwas wird im kalten Blick der Systemtheorie deutlich: Paillettenkleid, die Cowboy-Stiefel und das Glitzermakeup, sind ebenso wie die Akkorde der Musik und die Texte Taylor Swifts erst einmal nichts anderes als kontingente Formen, die so oder auch anders sein können und die erst durch ihre soziale, emotionale und psychische Anschlussfähigkeit zu Formen, die einerseits als konsistent und kohärent erlebt werden können. Gleiches gilt auch für ihr Arrangement zu einem Symbolkomplex. Ist Anschlussfähigkeit jedoch realisiert, bilden diese Formen Triggerpunkte für Sinnerleben, Emotionsgemeinschaften, Identifikationen und Mythologisierungen aller Art.
Und gerade für das Erleben von Intimität und Nähe scheinen gerade Letztere unverzichtbar, wenn es darum geht jene als verzaubernd erlebte Konnektivität zu realisieren, die Besucher von Taylor Swift Konzerten zu Swifties macht. Jede intime Verbindung braucht einen Gründungsmythos und dieser Mythos braucht Symbole, an denen er zum Ausdruck kommen kann. Das gilt auch für romantische Beziehungen, ohne Gründungsmythos halten sich die Schmetterlinge im Bauch vornehm zurück. Dass Mythologisierung und symbolische Formen zentral sind für positiv erlebte Konnektivität, haben auch Medien und Marketingexperten erkannt und versuchen mit Hilfe des Experience Designs nicht nur die entsprechenden Vorlagen zu entwerfen, sondern uns auch elegant unter zu schmuggeln, wohl wissend, dass es einen enormen Bedarf für intime Sinn- und Sinnlichkeitserfahrungen bei gleichzeitiger Hilflosigkeit die entsprechenden Formen zu gestalten gibt. Ein wenig Orientierung und Hilfestellung sind da schon ganz gut, schließlich möchte man weder etwas falsch machen noch über das Ziel hinausschießen. Auf der Suche nach sinnlich und sinnhaft erlebten innigen Verbindungen fallen wir dementsprechend gerne auf die simpelsten Taschenspielertricks herein, sind zudem noch recht affin bestimmten Mustern zu folgen und klicken uns eifrig durch die Vorschläge für das gelingenden Outfit zur diesjährigen Tour, praktischerweise gleich schon mit den entsprechenden Webshops verlinkt. Allerdings geht es auch nicht ohne Raum für Co-Design. Bestimmte Freiheitsgrade müssen offengehalten werden, denn auch überwundene Unsicherheit gehört zu den Triebkräften intimer Verbindungen. Schablonen mit geringen Freiheitsgraden reduzieren diese Unsicherheit, machen die ganze Sache dann aber auch wahnsinnig erwartbar und blockieren die Mythologisierbarkeit der Erfahrung. Das Ergebnis ist dann eine Struktur, die ihrer eigenen Zerfallswahrscheinlichkeit wenig, bis nichts entgegenzusetzen hat, da ihr nicht nur die Plastizität für Anpassungen, sondern auch der Raum für Projektionen und anderen Übertreibungen fehlt. Vergleichbar ist das in etwa mit einem Tinder-Date, bei dem bereits zu Beginn klar ist, dass es am Ende auf eine einzige Frage zuläuft. Und wer möchte schon später erzählen, dass es weniger das Schicksal, denn eine Katalogbestellung war, die diese Verbindung gestiftet hat. Also muss man spätestens beim zweiten Date anfangen, individuellere Zeichen zu finden und diese aufzuladen, um einen Gründungsmythos zu etablieren, der die Sache weiterträgt und die eigene Verzauberung gewährleistet. Scheinbar einfacher haben es dann schon die Gemeinschaften, denen der Zufall in die Hände spielt, die aus ähnlich gelagerten Weirdness-Reservoirs schöpfen und die sich gegenseitig mit abwegigeren symbolischen Angeboten bewerfen können. Und schon laufen nicht nur die Sinnzuschreibung und Bedeutungsproduktion an, sondern eben auch die entsprechenden hormonellen Prozesse. Jede Intimate Connection braucht diese Art von Resonanz in Medium von Adrenalin, Dopamin und Oxytocin und symbolische Formen sind ein Weg dahin.