SOUNDTRACK – RASSISMUS UND UNTERDRÜCKUNG

Ein schneller, unmöglich vollständiger, Ritt durch die Jahrzehnte der Musik

EIN PAAR GEDANKEN – PREFACE

Es war lange ein großer Wunsch von mir für das Cyte Magazin zu schreiben. Irgendwas mit Musik. Erstens weil ich Musik liebe. Zweitens weil Stephan und ich am Ende immer bei Musik landen. Ursprünglich sollte es eine Playlist werden, mit Songs, die mich persönlich berühren. As simple as that. Und dann passierte George Floyd. Ich war geschockt. Eine Rassismus-Debatte entbrannte. In den USA, in Europa, in Deutschland. Eine Debatte, so wahnsinnig komplex. Und extrem relevant. Eine Debatte, die mich nicht loslässt. Weil sie jeden – ob Farbig oder Weiß, ob in den USA oder woanders – etwas angeht.

Die Idee der Ursprungs-Playlist tritt in den Hintergrund. Zunächst unbewusst. Ich höre mich durch die Musik von Gil Scott-Heron, Nina Simone, André Williams. Irgendwann entsteht dann die Idee zum Soundtrack – Rassismus und Unterdrückung. Wer sich mit sogenannter Protestmusik befasst, merkt schnell, wieviel es hierzu gibt. Eine lange Liste an Musik, Künstlern, Liedern. Aber auch Erfahrungen, persönlichen Erlebnissen, historischen Ereignissen. Und Protestmusik gab es schon immer. So legen zum Beispiel die Hollers, Klagerufe der schwarzen Sklaven auf den Baumwollplantagen, den Grundstein für Gospel, Blues und Jazz. Denn durch Musik lässt sich Erlebtes verarbeiten. Musik hilft dabei, das Unfassbare, den Horror in Worte zu fassen.

Ich selbst habe Rassismus nie erlebt. Ich weiß nicht, wie es ist, aufgrund seiner Hautfarbe verurteilt, beschimpft (oder Schlimmeres) zu werden. Ich weiß nicht, wie es ist, feindselig angeguckt und ausgegrenzt zu werden. Ich habe Rassismus selbst nicht erlebt. Aber ich habe erlebt, wie andere diskriminiert wurden. Wie Freunde aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres Nachnamens anders behandelt wurden. Ich weiß nicht, wie sich DAS anfühlt. Aber ich kann anteilnehmen, ich kann mich informieren, mich mit dem Thema auseinandersetzen. Und auch mein eigenes Handeln (Tupoka Ogette sagt, wir sind alle – ob wir‘s zugeben wollen oder nicht – rassistisch sozialisiert) immer wieder auf den Prüfstand stellen. Und so auch im Kleinen und ganz persönlich dabei helfen, unsere Gesellschaft, unser Miteinander zu verbessern.

I can’t breathe – George Floyd stirbt am 25. Mai 2020 bei einer Festnahme durch weiße Polizisten. Derek Chauvin kniet minutenlang auf seinem Hals. Das Video geht um die Welt, löst Schock und Empörung aus. In den USA, aber auch in England, in Deutschland, weltweit. Die Menschen gehen auf die Straße. Sie sind traurig. Vor allem aber wütend.

Warum? Warum passiert das schon wieder? Warum passiert das noch immer?    

Warum sterben im Jahr 2020 noch immer Menschen durch Polizeigewalt? Warum trifft es vor allem die schwarze Bevölkerung? Was läuft hier falsch?

You will not be able to stay home, brother

You will not be able to plug in, turn on and cop out

You will not be able to lose yourself on skag

And skip out for beer during commercials, because

The revolution will not be televised

The revolution will not be right back

After a message about a white tornado

White lightning, or white people

You will not have to worry about a dove in your bedroom

The tiger in your tank, or the giant in your toilet bowl

The revolution will not go better with Coke

The revolution will not fight germs that may cause bad breath

The revolution will put you in the driver’s seat

The revolution will not be televised

Will not be televised

Will not be televised

Will not be televised

The revolution will be no re-run, brothers

The revolution will be live

>>Gil Scott-Heron, The Revolution Will Not Be Televised (Pieces Of Man, 1971)<<

EINGEORDNET

Die 60er Jahre sind eine turbulente Ära, Rassentrennung, Vietnam-Krieg, Bürgerrechtsbewegung. Flower Power, Woodstock. Auch Jahrzehnte nach dem Ende der Sklaverei werden Schwarze unterdrückt, als etwas Wertloses behandelt. Im Vietnam Krieg fürs Vaterland kämpfen, ok. Aber auf dieselbe Schule gehen wie Weiße, nein danke.

Gil Scott-Heron kann das nicht mehr hinnehmen. In The Revolution Will Not Be Televised (1969/1970 geschrieben) appelliert er an seine schwarzen Brüder und Schwestern aktiv zu werden. Ihr Leben und ihren Kampf um Gleichberechtigung in die eigene Hand zu nehmen. Sich aus der passiven Rolle des Opfers herauszubewegen. Gil Scott-Heron fordert die schwarze Bevölkerung auf, nicht Zuflucht zu suchen in Parallelwelten – weder in der von Weißen geprägten Medienwelt, die in der die schwarze Realität nicht stattfindet, noch in Alkohol oder Drogen (skag steht umgangssprachlich für Heroin) – sondern auf die Straße zu gehen und teilzuhaben an der gesellschaftlichen Revolution.

In seiner Musik finden sich Soul, Funk, Jazz und auch lateinamerikanische Klänge und Elemente wieder. Gil Scott-Heron verbindet in seinen Songs Poesie und Musik, sein Sprechgesang hat einen erheblichen Einfluss auf die Hip-Hop- und Rap-Szene der folgenden Jahre. In den Südstaaten der USA bei seiner Großmutter aufwachsend wird er früh mit Rassismus konfrontiert. Als einer von drei nicht-weißen Kindern wird er auf eine weiße Schule geschickt, hält die Belastung und den Druck nicht aus und zieht als Teenager zu seiner Mutter in die Bronx, New York. 1970 veröffentlicht er seinen ersten Roman, danach sein erstes Musikalbum (Small Talk at 125th & Lenox Ave.). Seine Musik ist geprägt von seiner Leidenschaft für Worte und Sprache. Sie ist geprägt von seiner Herkunft, seinen eigenen Erfahrungen mit Rassismus, Diskriminierung und Drogenabhängigkeit. Revolution – für Gil Scott-Heron bedeutet das: Umdenken, das eigene Verhalten und festgefahrene Überzeugungen ändern, Verantwortung übernehmen.      

Warum? Warum passiert das schon wieder? Warum passiert das noch immer?

EINGEORDNET

Bei den derzeitigen Black Lives Matter-Protesten – eine Bewegung, die bereits 2013 begann – geht es nicht nur um Polizeigewalt. Es geht um viel mehr. Es geht um soziale Ungerechtigkeit und Ungleichheit gegenüber der schwarzen Bevölkerung. Es geht um strukturellen Rassismus und einer bis heute von Teilen der Bevölkerung verinnerlichten white supremacy, begründet in 250 Jahren Sklaverei und Ausbeutung. Es geht darum, dass Schwarze in den USA schlechter ausgebildet sind, schlechter bezahlt werden, in größerer Armut leben, häufiger verhaftet werden. Es geht darum, dass Schwarze noch immer nicht die gleichen Chancen haben wie Weiße.

Und immer wieder die Frage, wann ändert sich das endlich? Was muss noch alles geschehen?

 Young man lands in jail for some crime he did not commit

352 years hard labor in Angola prison – 352 years at hard labor

Sleepless nights between sugar cane and cotton

It’s where he learns the ropes and pays with his soul

For some crime he did not commit

>>The Neville Brothers, Sons and Daughters (Brother’s Keepers, 1990)<<

In ihrem Lied Sons and Daughters singen die Neville Brothers von Sklaverei, von Hass und Gewalt, von unrechtmäßigen Verurteilungen, institutionalisiertem Rassismus und Unterdrückung – „It’s freedom of speech – as long as you don’t say too much”. In Sons and Daughters geht es aber auch um Widerstand, Stolz und Mut.

 You can’t stop running water

You can’t kill the fire that burns inside

Don’t deny our flesh and blood

And don’t forsake our sons and daughters

 

It’s freedom of speech – as long as you don’t say too much

I think we’re all runnin‘ thinkin‘ that we can hide

I think we’re runnin‘ tryin‘ to get away

But sooner or later we gonna realize

We gonna meet up with the truth face to face

>>The Neville Brothers, Sons and Daughters (Brother’s Keepers, 1990)<<

New Orleans ist die Heimat der Neville Brothers, auch musikalisch – vier Brüder, die sich 1977 zu einer gemeinsamen Band zusammenschließen. Der Sound der Marching-Bands mit ihren Blas- und Perkussionsinstrumenten prägt ihren Style – Art, Charles und Aaron spielen vor ihrem musikalischen Durchbruch selber in der Schulkapelle ihrer High School. Die Neville Brothers sind vor allem bekannt für ihre Mischung aus Soul, Rhythm `n‘ Blues und Funk. Daher auch Art’s Spitzname „Poppa Funk“. Weniger für ihre politisierten Texte. Umso eindringlicher ihr Lied Sons and Daughters, fast durchgängig gesprochen – vielmehr Poesie als Musik. Es zeigt, wie wichtig und bedeutungsvoll das Thema ist – für die Neville Brothers aber auch die gesamte Gesellschaft.

Warum? Warum passiert das schon wieder? Warum passiert das noch immer?        

EINGEORDNET

1865 wird die Sklaverei in den USA abgeschafft. Ein Ende der Diskriminierung und politischen Entmündigung bedeutet das aber nicht. Die Jim-Crow-Gesetze fixieren die Rassentrennung rechtlich im Alltag der Amerikaner. Bis in die 60er Jahre hinein dürfen gewisse Räumlichkeiten entweder nur von Weißen oder nur von Schwarzen betreten und benutzt werden. Es gibt Schulen ausschließlich für Weiße, in Bussen müssen Schwarze hinten sitzen, es gibt getrennte Tische in Restaurants. Die Schwarzen sind frei. Aber eigentlich doch nicht. Sie haben nicht die gleichen Chancen wie Weiße, sie werden klein gehalten, ihnen wird klargemacht, dass sie weniger wert sind.

 Yes you lied to me all these years

You told me to wash and clean my ears

And talk real fine just like a lady

And you’d stop calling me Sister Sadie

Oh but this whole country is full of lies

You’re all gonna die and die like flies

I don’t trust you any more

You keep on saying ‚Go slow!‘

‚Go slow!‘

But that’s just the trouble

‚Do it slow‘

Desegregation

‚Do it slow‘

Mass participation

‚Do it slow‘

Reunification

‚Do it slow‘

Do things gradually

‚Do it slow‘

But bring more tragedy

‚Do it slow‘

Why don’t you see it

Why don’t you feel it

I don’t know

I don’t know

>> Nina Simone, Mississippi Goddam (‘Nuff said!, 1968)<<

Nina Simone – von ihren Fans die „Hohepriesterin des Soul“ genannt – beginnt mit vier Jahren Klavier zu spielen, mit 25 veröffentlicht sie ihr erstes Album (Little Girl Blue, 1958). Ebenso früh wie ihre Liebe zur Musik, entdeckt sie die politische, aktivistische Kraft, die ihrer Musik inneliegt. Mit 12 Jahren verweigert sie einen Auftritt, weil ihre Eltern hinten sitzen müssen. Seitdem nutzt Nina Simone ihre Songs, um Stellung zu beziehen. Um auf die unfassbaren Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen. Neben bedeutenden Persönlichkeiten, wie Martin Luther King, Rosa Parks und John Lewis, wird sie zur musikalischen Leitfigur der Bürgerrechtsbewegung in den USA. In ihrem Lied Mississippi Goddam singt sie von dem Mord am Bürgerrechtsaktivisten Medgar Evers und dem Bombenanschlag auf eine Kirche in Alabama, bei dem vier Mädchen sterben. Es ist ein Manifest voll von Wut, Trauer und Verzweiflung – in klaren und eindringlichen Worten verschafft sie ihrem Gefühl Ausdruck, immer wieder belogen und betrogen worden zu sein. Ein Lied übrigens, was aus den Südstaaten-Radiosendern verbannt wurde – angeblich war der Grund hierfür der Kraftausdruck „goddam“.

 

Warum? Warum passiert das schon wieder? Warum passiert das noch immer?        

EINGEORDNET

Im Zuge der Black Lives Matter-Protestwelle werden in den USA (aber auch in Europa) historische Denkmäler, die mit den Konföderierten Staaten, mit Sklaverei oder Rassismus in Verbindung stehen, gestürzt oder bemalt. Die Zerstörung löst kontroverse gesellschaftliche Debatten aus. Wann ist ein Monument ein Denkmal und wann ein Mahnmal? Oder anders: warum steht das immer noch hier? Sich mit der eigenen Vergangenheit zu beschäftigen, auch kritisch, ist wichtig. Nur so kann sich was ändern. Die Diskussion ein Muss. Auch in Europa, wo die kritische Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus häufig zu kurz gekommen ist. Und Geschichte, zwar in der Vergangenheit liegend, kann auch heute noch neu kontextualisiert und neu bewertet werden – und so nachträglich zu einem Umdenken führen.

 

While the Black bands sweatin‘

And the rhythm rhymes rollin‘

Got to give us what we want

Gotta give us what we need

Our freedom of speech is freedom or death

We got to fight the powers that be

Elvis was a hero to most but he

Elvis was a hero to most

Elvis was a hero to most

But he never meant shit to me you see

Straight up racist that sucker was

Simple and plain

Mother fuck him and John Wayne

‚Cause I’m Black and I’m proud

I’m ready and hyped plus I’m amped

Most of my heroes don’t appear on no stamps

Sample a look back you look and find

Nothing but rednecks for four hundred years if you check

Don’t worry be happy

Was a number one jam

Damn if I say it you can slap me right here

(Get it) let’s get this party started right

Right on, c’mon

What we got to say (yeah)

Power to the people no delay

Make everybody see

In order to fight the powers that be

>>Public Enemy, Fight The Power (Fear of a black planet, 1990)<<

Für die Hip-Hop-Formation Public Enemy ist Musik ein Sprachrohr, um auf soziale Ungerechtigkeit und Diskriminierung aufmerksam zu machen. Ihre Texte prangern die gesellschaftlichen Missstände in den USA an, ihre Bühnenauftritte sind aufgeladen mit starker Symbolik und Inszenierung. Die ersten LPs der Gruppe – in den 80er Jahren gegründet und bei dem East Coast Label Def Jam unter Vertrag – gelten als Hip-Hop-Meilensteine. Das liegt zum einen am Stil von Public Enemy. Dem Rap von Gründungsmitglied Chuck D, den zahlreich eingebauten Samples – wegweisend für die damalige Zeit – und den neuartigen Crossover Tracks. Zum anderen liegt es an den starken Inhalten und kritischen Songtexten der Gruppe. Chuck D soll Rap als „CNN der Schwarzen“ bezeichnet haben – als Mittel also zum Übersenden von politischen Botschaften. Und ähnlich wie im Journalismus verspürt man auch bei den Songs von Public Enemy einen politischen Auftrag. Nämlich auf die gesellschaftlichen Probleme hinzuweisen, in der Hoffnung, Änderung herbeizuführen. Und auch wenn Public Enemy in der jüngsten Zeit musikalisch kaum noch für Aufsehen sorgen, so sind sie bis heute – trotz interner Bandquerelen und Antisemitismusvorwürfen – der Inbegriff des kritischen, politischen Hip-Hops.

 

UND ABSCHLIEßEND NOCH EIN PAAR GEDANKEN – EPILOG

Dieser Text ist mein Versuch, einen Soundtrack zu Rassismus und Unterdrückung zusammenzustellen – die Lieder, Lyrics und Künstler einzubetten in ihren gesellschaftlichen und politischen Kontext. Sich über die Musik dem Thema Rassismus zu nähern. Die hier dargestellten Lieder sind dabei nur ein kleiner Auszug. Ein Soundtrack – ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Ist der Soundtrack endlich? Oder wird er in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weitergeführt, immer wieder um neue Songs ergänzt? Eine Frage, die ich hier nicht beantworten kann. Ich hoffe Ersteres.

Schaut euch für weitere Songs die Playlist auf Spotify an, unter: spotify:playlist:6IlwLirpgE6RGqVJpVcvEv

Text: Claudia Ippen Illustration: Oskar Nehry