Cyte3-Sounds

Joe Jackson: Fool (2019)

Es perlt, ahhh, es perlt wieder so schön, ja das Piano perlt aus den Boxen und dann kommt diese Stimme, immer noch wütend?
Es gibt nur wenige Sänger, die eine Art Wut in der Stimme tragen und Joe Jackson scheint auch noch im Alter von 65 Jahren wütend zu sein.
„No luck no money no sex no fun
Get on the treadmill and run run run run run”

Der erste Song „Big black cloud“ des neuen Albums von Joe Jackson zeigt gleich wohin die musikalische Reise geht, es geht in Richtung „Body and Soul”, es geht in Richtung „Night and Day”, es geht in Richtung Klassiker.
Bei Joe Jackson wusste man ja noch nie wie ein neues Album klingen würde. Was hat dieser Mann schon alles rausgehauen, Punk, Wave, Pop, Rock, Swing, Blues, Klassik, Musical, Jazz, Soundtracks und der geneigte Jackson-Fan musste sich tolerant zeigen, da der Engländer einfach keine Erwartungen erfüllen wollte.

Ich gebe es zu, so schön auch seine Ausflüge in die verschiedenen Genres waren, so schön ist es, wieder den klassischen Joe Jackson zu hören. Kompositionen, die das gewisse Etwas haben, atmen und auch gerne mal ein überraschendes Einsprengsel mitbringen.

Der zweite Song des Albums geht erst einmal ab wie zu „Look sharp“ Zeiten, wird dann elegant und geht dann wieder in die Vollen.
Dazu bölkt Jackson:

“I’m a bigot and a boob!
I’m a racist and a rube!
I’m a hater and a hick!
I’m a sinner and I’m sick!“

Wut, Wut, Wut, Wut …grrrr
Ich kann jeden Engländer verstehen, der im Moment wütend ist, wer will es ihm verübeln.

Jackson wäre aber nicht Joe, wenn er nicht auch anders könnte. So wunderbare Lieder wie „Dave“, das schwebende „Strange Land“ und das betörende „Alchemy“.
Ich liebe einfach diese ruhigen Momente von Joe Jackson, der „Slow Song“ vom Album „Night and Day“ hat mich wohl nachhaltig geprägt.

Dazu immer wieder dieses perlende Piano, ach ja, wie schön kann Musik sein.

Nicht jeder Song ist ein Volltreffer, so ist „32 Kisses“ eher etwas belanglos und küsst mich nicht so richtig und auch „Friend better“ plätschert eher so dahin, wobei, wenn Joe Jackson noch eine Chance im Radio hätte, dann hätte ich genau diesen Song als Single ausgekoppelt, schließlich geht leicht Plätscheriges immer ganz gut im Plätscherformatradio.

Zwei mittelmäßige Lieder machen aber noch keine schlechte Platte. Deswegen sage ich: ANHÖREN!!!

Bilie Eilish: Diverse Singles

Hype, Hype, Hypealarm.
Dumm gelaufen für den klassischen Langspielplattenrezensent …
…„Du kannst nach Hause gehen, du kannst nach Hause gehen …“
Ich höre die Gesänge durch den Raum und durch die Zeit hallen und eine Heerschar von alten Frauen und Männern verkriechen sich in ihre Musikhöhle, um sich ihre Vinyldecke über den Kopf zu ziehen und von besseren Zeiten zu träumen. Damals, als man als Langspielplattenrezensent noch lange Platten besprechen konnte. Die Plattenfirma war noch großzügig und schicke die musikalischen Schätze an den Redakteur, dieser sortierte die Schätzchen dann entweder zu Hause ins Regal, um dann bei passender Gelegenheit, mit einem gehauchten „Ist noch nicht veröffentlicht“, den Besuch angeberisch zu beeindrucken oder er vertickte die Longplayer ungehört beim nächsten Second Hand Dealer. Das waren die Zeiten der „for promotion only“ Aufkleber.
Wer heute auf Post wartet, kann lange warten und wer auf die Langlaufrille von Billie Eilish gewartet hat, wurde bisher enttäuscht. Sorry Rezischreiberling, um berühmt zu werden, braucht man halt keine physische Veröffentlichung mehr, digital reicht aus.

Billie Eilish hat zum Zeitpunkt dieser Zeilen nur Singles und eine EP veröffentlicht (Album VÖ am 29.03.2019) und mit diesen Singles hat sie sich schleichmichelartig in die Playlisten der Welt gesungen. Innerhalb von drei Jahren von Zero to Hero. Mal wieder eine tolle Internetgeschichte, die viele Künstler hoffen lässt.

Über 32 Millionen monatliche Hörer bei Spotify (der kleine Fisch Justin Timberlake hat zum Vergleich „nur“ ca. 18 Millionen Hörer), ihr vorletztes Video zur Pianoballade „When the party’s over“ hat es bisher auf 164 Millionen YouTube Streams gebracht, der Song „Lovely“ zusammen mit Khalid sogar auf sagenhafte 251 Millionen Views und ihrem VEVO Channel folgen 8,1 Millionen Subs, das sind Zahlen, die die 17jährige amerikanische Sängerin aus Los Angeles in Sphären katapultiert hat, von denen etablierte Musiker häufig nur träumen können.

Was macht Billie so besonders? Musikalisch ist sie vor allem traurig und düster, ein Emogirl mit Engelsstimme. Im angesprochenen Video hat sie blaue Haare, dicke Ketten um den Hals und weint …Blut, oder wahrscheinlich ist es doch Cola, auf jeden Fall weint sie keine Tränen und der Effekt kommt rüber.
Das Leben ist so traurig, ich bin so allein und am besten du rettest mich bevor ich auf dumme Gedanken komme.
Muss man sich Sorgen um die kleine Billie machen?
Das ist Lana del Rey 2.0, allerdings moderner produziert – und auch ich kann mich den Songs nicht entziehen.
Hört man sich durch das bisherige Oeuvre von Eilish, dann stehen da wunderschöne, morderne Singer-Songwriter-Perlen (Hostage / Party favor / Bellyache) neben dunklen, von elektronischen Beats untermalten Stücken (Bury a friend / You should see me in a crown).

Sie spielt die Klaviatur des traurigen-Mädchen-Pops mit Bravour (da passt es, dass ihr Song „Bored“ aus dem Soundtack der Netlfix Serie „Tote Mädchen lügen nicht“ stammt) und auch wenn die Texte manchmal doch zu eindeutig in diese Kerbe hauen, kann man den Songs nur schwer widerstehen.

Dave Grohl hat ihre Attitüde schon mit Nirvana verglichen und auch das Feuilleton feiert Billie ab. Wo auch immer die Reise hingeht, wollen wir mal hoffen, dass die junge Musikerin nicht wie Kurt Cobain verbrennt und noch viele traurige Kids und Musikliebhaber gemeinsam den depressiven Emoweg mit Billie Eilish beschreiten können.

DIRKS INSELPLATTE. Tears for Fears: The seeds of love (1989)

Man stelle sich einmal folgendes vor:
Sommer, irgendwo in Frankreich, genauer gesagt an der Côte d’Azur und noch genauer gesagt, auf einer schön geschwungenen Straße im Estrel Gebirge. Voller Freude fahre ich mit meinem VW Cabrio die kleine Landstraße entlang, fliege leichtreifig durch die Kurven, der Fahrtwind weht durch mein güldenes Haar und die Sonne wärmt mein Haupt.
Ich schalte das Radio an und was hören meine sonnenverwöhnten Ohren da …?
„Advice for the young at heart
Soon we will be older”
Ach, was für eine süße Melodie, der perfekte Song für diesen perfekten Moment.

So, naja, oder jedenfalls fast so, hat es sich zugetragen.
Ich bin der Meinung, es müsste gesetzlich geregelt werden, dass der Song „Advice for the young at heart“ von „Tears for Fears“ nach Paragraph 1989 in jede Sommer- und „Der perfekt Moment“- Playlist gehört. Probier es doch mal selbst aus.

Jetzt wird es aber noch verrückter, denn diese kleine Songperle vom „The seeds of love“ Album aus dem Jahre 1989 ist noch nicht einmal der beste Song dieser herausragenden Scheibe.
Man fragt sich, wie haben es „Tears for Fears“ damals nur angestellt, solch zeitlose Musik zu schreiben und zu produzieren?

Pop, Rock, Jazz …alles dabei …Erhebendes, Berauschendes, Trauriges …bitte sehr…Roland Orzabal und Curt Smith aka „Tears for Fears“ liefern ab.
Ja, 1989, das waren noch gute Zeiten für eine Plattenproduktion. Ganz im Style von Steely Dan, haben sich auf „Seeds of Love“ die Gastmusiker nur so die Klinke in die Hand gegeben.
Phil Collins trommelt den wunderschönen Song „Woman in Chains“ gefühlvoll auf ein Metaebene und Oleta Adams singt mit Gänsehautfaktor.
Kann man ja mal machen, tolle Platte aufnehmen, eine begnadete Sängerin vorstellen, die vorher keiner kannte, dann Soloplatte mit dieser Sängerin produzieren („Circle of Life“ aus dem Jahre 1990) und mit „Get here“ die wundervollste Interpretationen des Songs von Brenda Russell abliefern. Wer bei „Get here“ von Oleta Adams nicht weint (zumindest innerlich), ist ein Stein!!!

Oh, ich bin ins Schwärmen geraten. Neben den beiden genannten Gastmusikern helfen noch viele weitere Musiker dabei, dass das „Seeds“-Album die Weihen meiner Inselplatte erhält.
Übrigens, wer Schlagzeug spielt, sollte das „Tears for Fears“ Album kennen, denn auf welcher Platte versammeln sich schon so viele Drumgötter, Phil Collins, Simon Phillips, Manu Katché, Chris Hughes und Luis Jardim …bitte nicht weinen ihr lieben Drumliebhaber, es ist aber auch ein Träumchen.

Ich weiß nicht wo ich anfangen und aufhören soll.

– „Bad Man’s Song“, ein über acht Minuten lang leichtfüßiger-jazzy-glücklich-sein-zum-durch-Welt-mit-komischen-Bewegungen-tanzen-Song (ach Oleta).

– „Sowing the seeds of love“, wenn es die Beatles noch geben würde, dann würden diese so klingen, na, vielleicht nicht ganz so gut.

– „Advice for the young at heart“, ich sage nur Paragraph 1989.

– „Standing on the corner of the third world”, ein phychedelischer Edeltrip mit einem begnadeten Fretless-Bass von Pino Palladino.

– „Swords and knives”, darf so ein Tripp auf einer Popplatte sein? Es geht pshyechedlisch angehaucht weiter, Beatles-Beat trifft Brian Wilson.

– „Year of the knife”, jetzt wird zugepackt. Ich will springen und hüpfen und rennen …jaaaaaa.

– „Famous last words“, jaaaaaa …nein …es ist zu Ende. Ruhe, Stille …und dann kommt er noch, dieser “Die-Arme-in-die-Luft-werfen-Moment“.

Es ist einfach alles dabei!!!
Wer diese Scheibe in die 80er Schublade steckt, hat keine Ahnung.
Diese Platte gehört, wie auch schon meine Inselplatte aus der letzten Cyte Ausgabe „Talk Talk Spirit of Eden“ (Mark Hollis, zeig den Engeln im Himmel wo die Harfe hängt, Rest in Peace), in kein Jahrzehnt, sondern ist ein musikalisches Jahrtausendwerk.

Tim Bowness: Flowers at the scene

Psst, ganz leise sprechen. Ich möchte den geneigten Leser bitten, diesen Artikel nur ganz leise zu lesen, denn sonst würde man die Stimmung zerstören.
Darf ich vorstellen, Tim Bowness, der Sänger, der sich immer anhört als würde er flüsternd singen oder zumindest hauchend. Dieser Mensch scheint niemals zu schreien oder seine Stimme erheben zu können.
Ich stelle mir grad vor wie es wäre, sich mit Mr. Bowness zu streiten. Könnte lustig sein, wenn man selbst lauter wird und die Antworten nur immer gehaucht kommen. So etwas bringt das Gegenüber sicherlich in Rage.

Tim Bowness haucht sich schon seit den 90er Jahren durch die musikalische Welt, mal als Partner von Steven Wilson mit dem Projekt „No-Man“ oder auch mal an der Seite von „Japan“ und „Porcupine Tree“ Keyboarder Richard Barbieri und in den letzten Jahren auch gerne als Solokünstler.

Solo heißt aber bei Tim Bowness immer mit einer Menge Gastmusiker an seiner Seite, meist aus der Progresssive Rock Szene. Dabei ist seine Musik weit entfernt von progressivem Gefrickel.
Hier regiert Schönklang, mit kleinen Kanten. Wohlig warmer Sound hüllt den Hörer ein und wenn es einmal kratziger wird wie im Auftaktstück „I go depper“ (oder auch in „It’s the world“ und „Ghostlike“), dann ist da ja immer noch dieser besondere Gesang von Tim Bowness, der den Zuhörer immer in eine aus Stimme gehäkelte warme Decke wickelt.

Irgendwie erinnert mich das an David Sylvian, dessen Stimme einen ähnlichen Effekt auf mich ausübt, auch die Musik vom Album „Flowers at the scene“ ist gar nicht so weit weg von Sylvians Frühwerk. Vor allem dann, wenn die Trompete von Ian Dixon so wunderbare Tupfer über die Songs legt.
Man höre sich nur einmal das Liedchen „Borderline“ an. Das Keyboard legt den flauschigen Teppich, Bowness macht den Teppich mit seinem Gesang noch flauschiger und die Trompete umspielt das Ganze mit einer jazzigen Melodei. Da wird mir ganz warm uns Herz.

Was Herr Bowness da mit seinen Mitstreitern, u.a. Peter Hammill, Andy Partridge (XTC), Kevin Godley (10cc), Colin Edwin (Porcupine Tree), Jim Matheos (Fates Warning/OSI) und Steven Wilson, musiziert, ist feinste Nachtmusik.
Ab und zu würde man zwar gerne sagen „Los Tim, jetzt schrei doch mal rum“, aber eigentlich macht das keinen Sinn. Ich sag ja auch nicht zu einem Glas Rotwein „Jetzt werd‘ aber mal weiß“, denn dann würde der Rotwein ja sein Wesen verleugnen.

So verhält es sich mit Tim Bowness. Er ist wie ein guter Rotwein, etwas schwer und dabei aber immer weich im Ohrengang.

Wer mehr von diesem feinen Tropfen haben möchte und sich nicht scheut dabei seinen Wein mit den eigenen Tränen zu verlängern, dem empfehle ich den „No-Man“-Song „All sweet things“ vom Album „Schoolyard Ghosts“.
Nur zu, denn diese laute Welt braucht dringend mehr gehauchte Stimmen

CREDITS

Text: Dirk Eichhorn #don_squirrel