Chromeo: Head over heels

So könnte einer dieser unsäglichen Witze beginnen:

Treffen ein Araber und ein Jude aufeinander.

Sagt der Araber: „Und du so?“

Sagt der Jude: „Musik. Und du so?“

Sagt der Araber: „Auch Musik“

Sagen beide: „Lass mal zusammen machen“.


Ja, ist nicht witzig aber zeigt, Musik ist die Lösung für den Weltfrieden, oder wie es die beiden Chromeo Macher David „Dave 1“ Macklovitch and Patrick „P-Thugg“ Gemayel selbst formulieren „“the only successful Arab/Jewish partnership since the dawn of human culture“.

Getroffen haben Sie sich in Montreal, irgendwann in den 90er Jahren und wenn man mit diesem Hintergrundwissen raten müsste welche Musik „Chromeo“ macht, würde man wahrscheinlich immer falsch liegen.

Chromeo stehen für fetten Elektrofunk und für Dancemusik die tief in der Black Music verwurzelt ist.

Das ist auf der neuen Scheibe „Head over heels“ auch nicht anders. Das Album fängt funky an und hört auch funky auf. Wer das Cover sieht, könnte allerdings ein wenig am Geschmack von Dave 1 und P-Thugg zweifeln, oder einfach laut grinsen, was sicherlich die richtige und gewünschte Reaktion wäre.

Es slappt der Bass, es groovt die Gitarre im Nile Rodgers oder Prince Style, es vocodert der Background und es macht einfach Spaß „Chromeo“ zuzuhören.

Die beiden Songwriter und Produzenten haben sich einige Gäste ins Studio geholt, die Ihre Tracks mit ihren Stimmen oder Raps veredeln (u.a. French Montana, The-Dream), den Großteil singen Sie aber selbst.

Dieses Album groovt so ungemein, dass man es fast bei der nächsten Party durchlaufen lassen könnte und nur die doofen Leute würden den Dancefloor verlassen („kenn ich nicht….kann ich nicht zu tanzen“).
Erst bei Track 10 „Bedroom Calling pt 1“ wird das Tempo runtergeschraubt und die Tänzer können für ein Lied in den Engtanzmodus schalten, ist ja auch mal ganz schön.
Dann folgt aber „Bedroom Calling pt 2“ und alles wirft die Arme wieder in die Lüfte.

Warum hat eigentlich Justin Timberlake nicht dieses Album aufgenommen? Er sollte sich mal die Nummer von Dave 1 und P-Thugg für sein nächstes Werk besorgen (siehe Rezi letzte Ausgabe vom Cyte Magazin).

Was „Chromeo“ auf dieser wunderbaren Scheibe zusammengeschraubt haben, lässt sich einfach beschreiben. Sie haben die besten Funkzutaten aus den 70er, 80er und (mit Einschränkungen) 90er Jahren in die Jetztzeit geholt und das bisher beste, mir bekannte, Funkalbum des Jahres aufgenommen.

Johnny Rain: Idol Blue

Kennt ihr das? Da hängt man so an seinem Handy rum und lässt sich musikalisch durch die Streamingwelt treiben. Man skipt von einem Song zum Anderen und selten bleibt man hängen, das kann fast zur Sucht werden. Schwieriger wird es, wenn man sich dann vornimmt, irgendein tolles neues Album zu finden, da die Kunst der Albumform in der schönen neuen Welt ja irgendwie out ist. Der Singletrack rulez.

Doch dann, ganz plötzlich bleibt man hängen, ein Album verfängt sich in meiner Aufmerksamkeit. Was ist das….klingt anders…klingt irgendwie gut…ist von Johnny Rain.

Johnny Rain, kannte ich bisher nicht und viel lässt sich auch nicht über den angeblich 24jährigen Musiker und Produzenten erfahren, es gibt noch nicht mal einen Wikipedia Eintrag. Wie auch immer, dann eben mal einfach ohne Hintergrundinfos in das musikalische Abenteuer von „Idol blue“ stürzen.

Ich empfehle folgendes Hörsetting. Zimmer rötlich illuminieren, Stereoanlage mit teuersten Boxen von Welt aufpimpen, Rotwein einschenken und die perfekte Stereositzposition einnehmen. Teuerste Kopfhörer von Welt sind übrigens auch ok.

Achtung……es geht los:

„Erösia“: Vogelgezwitscher…..Streicher….Flöten….eine samtweiche Stimme…ach wie schön. Ein im wahrsten Sinne traumhaftes Soundbild für ein Liebeslied….aber Moment, der Text ist traurig und dann folgen die Soundschnipsel….“Love it‘s real and it‘s alive, and no one can take it away from me….“

Die Reise auf „Idol Blue“ ist 16 Tracks lang und ich kann hier nicht alle Songs besprechen und was Johnny Rain auf dem Album abliefert ist grenzüberschreitend. Ich liebe Platten die sich nicht ein Korsett stecken lassen. Johnny Rain macht es wie Frank Ocean oder der selige Prince, es gibt R’n’B, Pop, Rock, Soul, Funk, Folk und ganz viel Gefühl. Das ganze Album wirkt fast wie ein Konzeptalbum und klingt so fett produziert, so transparent, dass selbst bei der eher dürftigen Streamingqualität die Luft zu vibrieren beginnt und die Vasen auf dem Schrank im Rhythmus der Bässe tanzen.

„Seventeen“ eine traurig, schöne Erinnerung, „Highschool“ ein Lied das Lenny Kravitz gerne geschrieben hätte, „4g“ ein psychedelischer Cloudrap-Trip, „Domino“ eine seltsame Ballade, die Singleauskopplung „I’m a happy camper“ im Prince-Style, das über sechs Minuten lange und bitterböse, düstere „Dontfuckupmywave/fruitless“ und das ruhige „Oz“, dass das Album mit Pianoklängen und Hoffnung abschließt….um nur einige Songs zu nennen.

Dieses Album ist ein Juwel in der inzwischen fast langweilig geworden Black Music Szene und ich kann es jeden Musikfan nur ans Herz legen (übrigens auch die anderen Alben von Johnny Rain). Nimm dir Zeit, setze meine Bedienungsanleitung von oben um und du wirst deine musikalische Welt um ein buntes, scheinendes, schimmerndes Mosaiksteinchen erweitern.

Rote Illumination an….Achtung……es geht los…….

 

Inselplatten: Talk Talk ­ -Spirit of Eden

Eine Band schafft sich ab

 

Ach was waren das für Zeiten. In den 80ern war einfach für jeden Geschmack etwas dabei. Die Dumpfbacken hörten „Sandra“, „Modern Talking“ und „Samantha Fox“ und die Musikkenner erkannten das Potenzial in den Hits von u.a. „Depeche Mode“, „ABC“ und „Talk Talk“.

Die 80er verursachten mir musikalisch viele Ohrenschmerzen aber auch unendlich viel Ohrengeschmeichel. Wahrscheinlich wird genau deswegen dieses Jahrzehnt immer noch so abgefeiert, denn womöglich war dies das letzte Jahrzehnt der krassen Gegensätze, sei es in der Musik, in der Mode oder in der Politik (die Grünen feierten ihren politischen Einstand).

 

Wenn man einmal selbst krasse audielle (ich weiß, das Wort gibt es nicht, ich finde aber visuell verdient einen Gegenspieler) Gegensätze erleben möchte, dann empfehle ich den Genuss der ersten und der letzte Platte von „Talk Talk“, denn was man da zu hören bekommt, hat irgendwie wenig miteinander zu tun.

 

„Talk Talk“ haben sich im Laufe ihrer Karriere einfach selbst abgeschafft, da es im Grunde nach der letzten Platte nicht mehr weitergehen konnte.

 

Meine Inselplatte ist allerdings die vorletzte Platte von dieser mysteriösen Band. Mit „Spirit of Eden“ haben Mark Hollis & Co ein Werk geschaffen, das transzendiert, sich jeglichem Hitbanddasein entzieht und den Anfang vom Ende darstellt.

 

Hatten „Talk Talk“ auf dem Vorgängeralbum „The color of Spring“ schon einen leichten Richtungswechsel vollzogen und trotzdem noch mindestens zwei Hits geliefert (u.a. „Life‘s what you make it“), änderte sich mit „Spirit of Eden“ alles.

Ganze sechs Songs sind in ca. 45 Minuten zu hören und was man hörte war anders, atmete Stille, nahm sich Zeit. Selten wurden die Pausen in den Songs so zelebriert und selten wagte eine Popband so einen großen Schritt in eine neue Richtung.

„Spirit of Eden“ ist kein Pop mehr, es ist Klassik, Progressive Rock, Jazz, Avantgarde, Blues, dieses Album ist einfach Alles und doch, ab und zu scheint ein Schimmer Pop durch die seltsam entrückten Melodien, am ehesten noch im wunderschönen „I believe in you“. Was „Radiohead“ später u.a. mit „Kid A“ versuchten, war hier schon in Perfektion vorhanden.

Mark Hollis nuschelte sich durch seine kryptischen Lyrics und setzte mit seinem Gesang dem musikalischen Treiben die Krone auf.

 

Diese Platte muss man sich erarbeiten und man sollte wirklich zuhören und wenn man dies tut, dann eröffnet sich eine Welt voller wunderbarer Klänge.

 

Nach „Spirit of Eden“ folgte noch eine Talk Talk Platte und ein wunderschönes Soloalbum von Mark Hollis und dann war es leider vorbei. Paul Webb änderte seinen Künstlernamen in „Rustin Man“ und nahm mit Beth Gibbons ein tolle Platte auf, Lee David Harris spielte hier und da noch ein wenig Drums und Mark Hollis verschwand im Nirgendwo….

….Es konnte nur noch Stille folgen, denn auch Stille kann Musik sein.

 

The Sea Within

„Hallo……“

„Hallo…..ist da jemand?“

Keine Antwort! Man lauscht und wenn man ein wenig Geduld hat, dann bekommt man vielleicht eine Antwort. Leise, ganz leise lässt sich eine jaulende Gitarre vernehmen. Mit letzter Rockkraft bekommt sie noch einen Ton heraus, denn Rock ist ja leider fast tot.

Es ist traurig, kaum einer hört noch Rockmusik und dabei denke ich nicht an die radiotauglichen Helene Fischers der Gitarrenmusik, wie z.B. Bon Jovi (hatten mal bessere Zeiten) oder Nickelback (hatten nie bessere Zeiten) und auch nicht die ewigen Wacken-Jünger, sondern ich denke an so ein echtes Rockbrett, das fast alles Menschen lieben.

 

Es wird also Zeit in dieser Rubrik auch mal ein Rockalbum zu besprechen, allerdings habe ich mir kein Schweinerockalbum rausgepickt und auch kein Album das den Rock retten wird, sondern eine Scheibe aus dem Genre Progressive Rock.

Erinnert sich jemand? Das war in den 70ern mal ein großes Ding und ein Song konnte auch mal 1000 Minuten lang sein und es hat keinen großen Geist gestört. Die Dinobands hießen u.a. „Genesis“, „Pink Floyd“, „King Crimson“ oder „Yes“.

 

Yes…den Prog Rock gibt es noch immer und bei der Band „The Sea Within“ kann man sogar von einer Supergroup des Genres sprechen. Für Freunde des Frickelrocks (zu denen ich mich auch zähle, oh Gott, jetzt ist es raus, wie peinlich) ist diese Band so etwas wie ein wahr gewordener Traum.

Mit dabei sind Roine Stolt (Gitarre und Gesang u.a. „The Flower Kings“, „Kaipa“ und „Transatlantic“), Jonas Reingold (Bass u.a. „Karmacanic“, „The Flower Kings“), Tom Brislin (Keyboards und Gesang u.a. „Yes“), der deutsche Überdrummer Marco Minnemann (Drums und Gesang u.a. Steven Wilson) und Daniel Gildenlöw (Gesang und Gitarre u.a. „Pain of Salvation“, die übrigens für mich das Metalalbum 2017 abgeliefert haben).

Ach ja, um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, sind auch noch Jon Anderson (Yes) und Jordan Rudess (Dream Theater) als Gastmusiker mit dabei.

Bei den wenigen Lesern die sich in der Materie auskennen, werden nun die kühnsten und progressivsten Fantasien geweckt.

 

Was kommt nun dabei raus, wenn diese Cracks ein gemeinsames Album aufnehmen? Natürlich alles was im Progressive Rock so geht.

Vertrackte Rhythmen, Keyboard- und Gitarrensolos, poppig/rockig schöne Melodien, Gefrickel und Songs, die auch mal 1000 Minuten lang sein dürfen, naja, der längste Song ist knapp 14 Minuten lang und dieser trägt den Zuhörer, wie es sich gehört, durch alle möglichen Stimmungen: Wild, ruhig, laut, leise und hymnisch, außerdem enthält der Track „Broken Cord“ ein sehr schönes Tony Banks Gedächtnissolo (für alles Nichtwissenden, das ist der Keyboarder von „Genesis“).
Es geht aber auch knackiger, so ist ist zum Beispiel der Song „Goodbye“ fast ein Ohrwurm und die Midtemponummern „The know my name“ und „The hiding of truth“ dürften dem Nicht-Proggy gefallen.

 

Ungewöhnlich sind die Jazzrock-Ausflüge, das passt aber hervorragend, da diese flockig in die Stücke eingeflochten werden.

Der Gesang von Daniel Gildenlöw ist wie immer über jeden Zweifel erhaben, für mich ist er im Moment einer der besten Rocksänger des Planeten (hatte ich schon erwähnt, dass seine Stammband „Pain of Salvation“ für mich das Metalalbum des Jahres 2017 abgeliefert haben?).

 

Für alle Musikfreunde die sich noch nicht mit Grauen abgewendet haben, empfehle ich mal ein Ohr zu riskieren und sich mal wieder ein wenig Rock mit Progression zu geben….denn progressiv wollen wir doch alle sein, oder etwas nicht?

 

Credit

Text: Dirk Eichhorn #don_squirrel