Thees Uhlmann
Und …das ganze auf …französisch
Ich fahre nicht gerne in den Urlaub. Fernreisen sind mir ein Graus. Ich mag das Gefühl nicht, die Sprache von anderen Menschen nicht zu sprechen und habe das konstante Gefühl anderen Menschen zur Last zu fallen. Bali und Tokyo fallen da also schon mal raus.
Eine Freundin von mir hat in Paris ein Auslandsemester gemacht und mich vor die Wahl gestellt: Freundschaft oder ich komme sie in Paris besuchen.
Ich habe also meinen ganzen Mut zusammengenommen, Flug gebucht und bin mit allen Vorurteilen, die es nur gibt, nach Paris geflogen.
Ganz klassisch neben dem Eiffelturm getroffen. Das Wetter war im Herbst genau so, dass man in der klaren Luft ohne Wolken gleichzeitig in der Sonne noch den Sommer riechen kann und in der Luft den kommenden Winter spürt.
Das war schon mal das erste.
Manchmal denke ich, dass viel mehr Sachen gebaut werden sollten, nur damit sie gut aussehen
Und das nächste was mir aufgefallen ist: dass der Eiffelturm einfach nur da steht. Er wurde irgendwann zum Sendemast, aber als er gebaut wurde, war er einfach nur da, um gut auszusehen. Es ist die schöne Funktionslosigkeit, die mir so gut an ihm gefällt. Und ich mag es, als Expos noch Weltausstellungen hießen. Manchmal denke ich, dass viel mehr Sachen gebaut werden sollten, nur damit sie gut aussehen und sich die Menschen an ihnen erfreuen.
Museen zum Beispiel. Gibt es einen AFD Wähler, der sich für moderne Kunst interessiert? Man kann sich das wirklich kaum vorstellen. Irgendetwas ist da, was da in sich hakt.
Dann fiel mir auf, dass es mir vorkam, als ob in Paris alles doppelt so gut schmeckt wie in Deutschland. „Eine Scheibe Brot mit Käse und ein Bier, bitte!“ „Say no more!“ sagte der Garçon, weil er wusste, wie gut das schmeckt.
Ich habe überhaupt kein Problem mit dem Gefühl der Scham und Verantwortung, das ich gegenüber der Stadt Paris habe. Ferner noch spüre ich immer mehr, wie mich dieses Gefühl nachdenkend, reflektierter und schlauer macht. Und dann eben von oben von Sacre Coeur den Blick über diese schöne Stadt wandern zu lassen und neben der Schönheit diese Abscheu dafür zu spüren, wie 3 Generationen vor mir die Nazis hier gewütet haben.
Die Franzosen …BEGEISTERT! und dann meinte einer: „You can speak Englisch with us. Maybe that is easier for you!“
Abends eine Party. Ich liebe Partys bei denen ich keinen Menschen kenne und bei denen ich nur Anhängsel bin. Rumstehen, saufen, die Musik hören, ohne dass man sich darum kümmert oder eine Meinung hat.
(Beste Geschichte, aber auch ein Gerücht: der von mir heiß geliebte Sänger Jens Rachut soll mal auf einer Party in Oldenburg gewesen sein. Schaute sich durch die Plattensammlung des Gastgebers und sagte: „Das ist ja wirklich die schlechteste Plattensammlung, die ich je gesehen habe!“ Wahnsinnig witzig. Mein Gott, wie ich seine Musik und seine Texte liebe. Das gehört alles ins Museum der aktuellen Kunst, wo die Leute, die da drin hängen schon deswegen im Monat 5000€ bekommen. Steuerfrei – that is!)
Dann einfach Gespräche. Und zwar so, dass es toll ist. Gespräche darüber, dass ich Berlin nervig finde und die Pariser OBSESSED sind mit Berlin.
Und …das ganze auf …französisch. Ich hatte in meinem Leben von der 7. bis zu 11. Klasse und davon ist NICHTS übriggeblieben. Meine Tochter hat jetzt Französisch und wenn ich mit ihr Vokabeln lerne merke ich wie ganz weit hinten in meinem Gehirn Gabelstapler durch die Gegend fahren und längst vergessene Paletten durch die Gegend fahren und noch nicht mal genau wissen wohin sie sollen. Die Paletten sind da, aber die Fahrer der Gabelstapler sind auch echt besoffen. So spreche ich Französisch.
„Je aime Paris toujour enorme et je ne amir normalemand a tue en vacation!“ So halt.
Die Franzosen …BEGEISTERT! und dann meinte einer: „You can speak Englisch with us. Maybe that is easier for you!“
Und dann haben wir über alles geredet. Über Frankreich und Deutschland, Franzosen und Deutsche, Fußball und Politik, über den Krieg und den Frieden und wie das alles weitergeht. Und wir haben eine Party gefeiert und waren trotzdem ernst. Wir haben Völkerfreundschaft gemacht. Ich dann zum Kühlschrank, um mir noch ein Bier zu holen. Und dann meinte der eine: „Eh, Nazi Bastard! Bring me a Beer.“ Und dann mussten wir so lachen. Und dann war der Krieg zu Ende.
Malcolm McLaren – Jazz is Paris (1994)
Die Essenz einer Metropole
Das ausgerechnet Malcom McLaren, der Erfinder des Punks die ultimative Paris-Hommage herausbringt, kann nur mit der emotionalen Nähe der Engländer zu Frankreich und dessen Lebenskultur zusammenhängen. Denn eigentlich könnte der Kontrast nicht größer sein: Punk Enfant Terrible auf der einen Seite und sensibler, frankophiler Romantiker auf der anderen. Einer der prägnantesten Songs des Doppelalbums heißt „Jazz is Paris“. Er beginnt mit den Zeilen: „I wore black on St. Germain Des Près“ und schon ist man mitten in Paris der 40er, 50er und 60er Jahre. Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre gaben den Ton bei den Existentialisten an und trugen dabei selbstverständlich nur schwarz. Trafen sich im Café de Flore, im Stadtteil Saint Germain Des Près, mit Gleichgesinnten wie Albert Camus, Jean Cocteau und Pablo Picasso. Eine Zeit, in der Kunst und Philosophie einen ausgedehnten Raum im französischen Kulturleben einnahmen, aber rückblickend mehr ein stylischer Aspekt übrigbleibt, als die tiefen Gedanken dieser Zeit – zumindest in McLarens Songs. So ist das ganze Album – vor allem die erste CD – der Soundtrack zu einem regnerischen Tag einer verlorenen Zeit in Paris. Die Musik schwelgt zwischen Jazz, Chansons und ein paar House Versatzstücken und lässt nichts über die Herkunft und den Hintergrund des Machers vermuten. Aber vielleicht konnte nur ein Fremder diesen Blick auf die Stadt werfen. Ohne das Wissen um die ganzen Details und Codes des französischen Lebens, sondern reduziert auf die Fassade und die Klischees der „Stadt des Lichts“, „der Liebe“ etc.. Dadurch nicht weniger schön und in seiner Oberflächlichkeit vielleicht sogar wahrhaftiger als viele anderen Stücke/Platten über diese Stadt. Sozusagen die Essenz dieser Metropole, ohne zu viele Nebentöne. Selbst die französischste aller Ikonen trägt ihren Beitrag zu dieser Platte bei – Catherine Deneuve singt und wirkt im Video von „Paris, Paris“ mit.
Stilistisch schliddert die Platte immer haarscharf am Kitsch vorbei – wobei das wahrscheinlich auch beabsichtigt ist – der Kitsch – aber an irgendeinem beliebigen Tag oder Abend in Paris, bei Regen oder Sonnenschein versteht man sofort den Geist dieses Albums und die Seele dieser Stadt.
Oder um es ein paar Nummer tiefer zu legen, man hat hier den perfekten Soundtrack für einen langen Spaziergang durch die Straßen dieser Stadt – wobei mit einem bisschen Liebeskummer wäre es noch besser ….
Oder, wie Malcolm in „Mon dié sénié“ singt: „Yeah, always get a kick out of Paris“
La Préface
Als ich hörte, dass das neue Cyte Magazin Paris als Haupthema haben sollte, hoffte ich, dass ich um die Plattenkritiken herumkommen würde. Paris? Frankreich? Ich bin einfach nicht sehr bewandert in französischer Musik, außerdem hatte ich im Französischunterricht immer eine 5 oder 6. Es war ein Qual.
Also, mal die Gehirnwindungen abgefahren und überlegt …was gibt es da?
Plastic Bertrand …nee, eher nicht …was hat der eigentlich außer „Ça plane pour moi“ noch gemacht?
Edith Piaf …von der großen Chansonette lasse ich lieber die Schreibfinger.
Gilbert Bécaud …Monsieur 100.000 Volt oder so wurde er damals genannt, aber das ist mir dann doch zu damals.
Yves Montand oder Juliette Gréco …also jetzt wird es aber wirklich zu historisch …ich möchte auch nicht über Charles A. und Jacques B. schreiben …dies mögen alles unglaublich große Songschreiber sein, ebenso Monsieur Gainsbourg, ich will aber nicht, weil ich mich nicht auskenne …
Ahhh, was gibt es da bloß, an die ich mich auch wirklich erinnern kann?
Patricia Kass …och nö …
Zaz …sorry, mag ich nicht.
Jean-Michel Jarre …ok, Oxygene hat was …
Die aktuellen französischen Charts …schwierig, nur französischer Rap.
David Guetta …hmmmmm …
Air …oh …jetzt wird es spannend, plötzlich fallen mir noch viel mehr Künstler aus Frankreich ein ….
Daft Punk!!!!!
Jetzt kann es losgehen und ich sage: Quand le vin est tiré il faut le boire.
DIE INSELPLATTE
Daft Punk : Random Access Memories
Ja, ich weiß. Da macht es sich der Autor dieser Zeilen doch sehr einfach. Hilft aber nichts, Daft Punk besteht aber aus zwei Franzosen und sogar aus zwei Pariser Jungs. Juhu, was will man mehr, da wird Stephan stolz auf mich sein, voll das Thema von dieser tollen Cyte Ausgabe getroffen.
Guy-Manuel de Homem-Christo und Thomas Bangalter bilden das Duo Daft Punk und irgendwie haben mich die beiden Musiker schon immer musikalisch fasziniert. Sie waren einfach nicht so richtig greifbar. Manchmal experimentell im EDM verwoben dann wieder sehr melodiös und ihre Hits waren einfach extrem tanzbar und hatten eine tolle Hook.
Dazu noch diese Helme, dieser undurchschaubare Mummenschanz, toll. Kunst und Kommerz wurde so geschickt verschmolzen, man konnte sich nicht entziehen.
Bevor ich jetzt hier die bewegte Geschichte der beiden Musiknerds erzähle, empfehle ich die Daft Punk Doku „Unchained“, es lohnt sich.
Nun zu zum Album „Random Access Memories“, Erscheinungstermin 2013. Schon die erste Single aus dem neuen Daft Punk Album „Get Lucky“ war eine überraschende Versprechung. Waren die 70er Jahre wieder auferstanden? „Get Lucky“ war an Leichtigkeit kaum zu überbieten und der Track klang nicht nur nach Nile Rogers, er zupfte auch diese unwiderstehliche Rhythmusgitarre. Bäm, wer hätte das gedacht, Daft Punk goes CHIC.
Dieser Track löste in der Musikwelt eine Renaissance des Nile Rodgers Funk aus, die auch heute noch nachhallt. Bands wie die „Parcels“ (siehe auch Pacels Interview Cyte Ausgabe 2 und online cytemagazin.de) oder der Sänger Charlie Puth oder auch Jungle, entdecken plötzlich ihre funky Ader.
Ich muss mal überlegen …2013 …wo war ich da im Sommer bloß?
Ach ja, in Frankreich! Lieber geneigter Leser, du kannst Dir sicherlich vorstellen was dort überall an den Beachclubs aus den Boxen schallte.
Genau, Daft Punk! Die Sonne schien, wahlweise auch der Mond, das Meer war warm, die Cocktails waren fruchtig und die funky Klänge von Daft Punk huschten über den Strand.
Savoir vivre!
Die musikalischen Helden aus dem eigenen Land, die nun endgültig mit ihrem neusten Streich die Welt erobert hatten, wurden vom Land gefeiert – und auch von mir.
Das Album war mein Soundtrack zum Sommer 2013.
“Random Access Memory“ besteht aber nicht nur aus den tanzbaren Tracks wie „Give Life back to Music“ (der Name ist Programm), „Lose yourself to dance“ und eben „Get Lucky“, sondern auch aus Jazz, Rock, Elektronik, Swing und aus ganz viel Liebe zur Musik.
Wenn ich diesen Longplay höre, dann bin ich glücklich und wenn dann das Jazz/Disco/Elektro Monster„Giorgio by Moroder“ erklingt, explodiere ich vor Glück.
Neun Minuten instrumentaler Wahnsinn. Auf dieses musikalische Denkmal kann sich Herr Moroder wirklich etwas einbilden.
Zum Glück folgt nach diesem Parforceritt auf dem Album die wunderschöne Vocoder-Ballade „Within“, da es sonst für den Kreislauf doch sehr anstrengend werden würde.
Jetzt habe ich doch einen Song herausgehoben, wollte ich eigentlich gar nicht, denn „RAM“ ist ein Gesamtkunstwerk, das am Stück genossen werden sollte.
Guy-Manuel de Homem-Christo und Thomas Bangalter haben zusammen mit einer großen Anzahl an Musikern (u.a. den schon erwähnten Nile Rodgers, Nathan East, Omar Hakim, John “JR“ Robinson, Chilly Gonzales, Julian Casablancas, Paul Jackson Jr und natürlich Pharrell Williams u.a., das Ganze hat fast Steely Dan Ausmaße) ein zeitloses Meisterwerk geschaffen und deswegen gehört es ohne Frage in mein Inselgepäck …check!!!
Adam Naas: The Love Album
“Adam Naas” …klingt nicht französisch.
„The Love Album“ …klingt nicht französisch …macht aber ja nichts, da Adam Naas ein Franzose ist. Ob Adam Naas im echten Leben auch Adam Naas heißt? Keine Ahnung, ist aber auch so was von egal, denn sein Debutalbum flüstert mir ins Ohr merke dir meinen Namen.
„The Love Album“ …bitte, was passt denn wohl besser zu Paris, zur Stadt der Liebe, ohhh l’amour.
Ein schwülwarmer Abend, in Paris. Die Hitze des Tages steigt vom Kopfsteinpflaster gen Himmel empor, der Geruch von frisch entkorktem vin de pays biegt um die Straßenecke. Es ist gleich halb elf Abends und die Stadt der Lichter zeigt mir eben diese.
Irgendwo dort oben aus einem offenen Fenster klingt Musik zu mir herüber, magische Töne, Töne die Liebe in sich tragen, Töne die erotisch sind, Töne die ein Sänger …oder ist es eine Sängerin …oder ist es Camille (Prince feminines Alter Ego) …mit inbrünstiger Seele begleitet.
Ein liebendes Pärchen steht im Schein einer fernen Straßenlaterne und genießt den Moment. Traum oder Realität?
Ein heißer Club in der Nähe des Place de la Bastille, schöne Frauen, schöne Männer, schöne Menschen, bewegen sich im diffusen Licht. Das Glück strahlt aus ihren Poren, Endorphine wirbeln durch die Luft. Man möchte alle Tanzwütigen auf einmal umarmen.
Die Membrane der Boxen pulsieren zu den Songs „True Intimacy“, gefolgt von „Cherry Lipstick“.
Traum oder Realität?
Wie es auch immer sein mag, Adam Naas liefert den Soundtrack zu beiden Szenen, vielleicht auch weil der 26jährige Sänger aus Paris stammt und genau weiß, wie Paris bei Nacht klingt.
Liebe und Tanz, beides ist ihm nicht fern. Alles getragen von seiner ganz besonderen Stimme, die einen umgarnt und gefangen nimmt. Sein Album dreht sich tatsächlich um die Liebe, um die schöne und die dunkle und schmerzhafte Seite, er lässt nichts aus. Er legt seine Geschichten in ein warmes musikalisches Bett, dessen Matratze mit angenehm kühler Flüssigkeit gefüllt ist.
Er selbst nennt seine Musik angeblich Romatic Soul und vielleicht trifft es dies auch ganz gut. Als Vorbilder nennt er Nina Simone oder Sam Cooke, wobei ich immer wieder ganz viel Prince heraushöre (zum Beispiel im ersten Track „No Love without risk“ und dem besagtem „Cherry Lipstick“).
Besonders viele Informationen findet man über Monsieur Naas noch nicht im Internet. Es scheint so, als wolle er seine Musik für sich sprechen lassen.
In seiner Spotify Artistinfo findet man nur folgende Satz: “The Sorting Hat said I was a Gryffindor on Pottermore. I thought I was a Ravenclaw.”
Zumindest steht er auf der richtigen Seite und ich hoffe, er bekommt noch mehr Aufmerksamkeit für seine tolle Musik, denn eins ist klar, die Welt braucht mehr Liebe und die strömt aus dem „Love Album“ von Adam Naas.
Deswegen sage ich, anhören, weitersagen und diesen Planeten mit musikalischer amour aus Frankreich überziehen.
Maurice Ravel: Daphnis & Chloé
Nun geht es mal so richtig rund in dieser Rubrik. Hier kommt eine Rezension zu einem klassischen Ballett-Werk von mir, obwohl ich keine Ahnung von Klassik habe.
Höre ich da etwa Zwischenrufe aus dem Publikum: Wer wagt es, unsere E-Musik mit ungeübtem Ohr in einer Rezension zu besprechen?.
Meine Antwort kann nur lauten: Hier, ich wage es. Ce qu’on ne peut pas dire est ce qu’on ne peut pas taire la musique l’exprime.
Was soll ich sagen, dieses Ballett von Maurice Ravel fasziniert mich schon seit meiner frühen Jugend. Ich kann mich noch erinnern, mein Vater hatte die Vinyl mit einer Aufnahme des Balletts bei einem NDR Preisausschreiben gewonnen. Ich schnappte mir die Platte sofort und wollte hören was es da zu hören gab.
Maurice Ravel war mir tatsächlich durch den „Bolero“ ein Begriff, also erwartete ich keine Popmusik und war auch nicht überrascht, als das Orchester langsam und vorsichtig die ersten Töne anstimmte.
Ich glaube es war das NDR Symphonieorchester, das war mir aber schuppe, ich dachte damals noch, es ist doch egal wer da spielt, da mir erst viel, sehr viel später bewusst wurde, dass nicht jedes Orchester gleich klingt.
Das Orchester beginnt vorsichtig, ganz leise, es dräut und es flötet eine kleine Piccolo, ein Horn setzt ein und im Hintergrund hört man einen Chor, der etwas verspricht und dann, dann die volle Dröhnung. Orchester und Chor durchbrechen für einen kurzen Moment den vorsichtigen Moment, bevor es wieder zart wird. Ich kann hier nicht das ganze Stück beschreiben, da es so viel Abwechslung bietet.
Der Anfang ist für mich aber immer besonders, einfach wunderschön. Für mich sind die ersten 10 Minuten von Daphnis und Chloé wie eine Reise auf einem Meer. Ein stilles Gewässer wird plötzlich wild und unbarmherzig, bevor es sich wieder beruhigt.
Die Musik kommt in Wellen und umspült den Hörer süß und wild.
Aber nicht nur die Suite Nr.1 hat ihre großen Momente, auch die Suite Nr. 2, die noch mehr auf Gegensätze setzt, ist ein Fest für die Ohren.
Für den schnellen Einstieg empfehle ich den Teil „Lever du jour“, wem da nicht das Herz aufgeht, der sollte nie nach Paris reisen.
Inzwischen kenne ich die Geschichte von „Daphnis und Chloé“ und wer hätte es gedacht: es geht eigentlich nicht um eine Seereise, sondern um eine dramatische Liebesgeschichte mit allem Brimborium. In der griechischen Lovestory aus dem 2. Jahrhundert gibt es Götter, Zeigen, Schafe, Bösewichte, Nymphen und einiges mehr. Da wundert es mich nicht, dass die Musik so viele verschiedene Stimmungen transportiert.
Ich persönlich bleibe trotz allem bei meiner gedanklichen Bootsfahrt. Schließlich ist die Liebe doch wie eine Reise über das Meer. Mal schön und sanft und dann wieder unbändig und wild, auch mal bedrohlich und manchmal sinkt das Traumschiff leider.
Maurice Ravel, der nicht in Paris geboren wurde, dort aber zumindest lange lebte und dort auch unter tragischen Umständen 1937 starb, hat für mich mit „Daphnis und Chloé“ ein modernes Meisterwerk geschaffen.
Zwar wurde das Werk schon 1912 uraufgeführt, für mich klingt es aber wie ein moderner Soundtrack zu einer Romanze, nein, zu einem SciFi Film, nein, zu einem Thriller, auch nein, zu einem Marvel Movie, ach nein …es ist einfach gut komponierte Musik im Klassikgewand.
Auch 108 Jahre nach der Uraufführung klingt das Ballett nicht angestaubt und jeder Musikfreund, der gerne auf musikalische Reisen geht, sollte sich einmal die Zeit nehmen und sich dieses Werk anhören. Und ich wette, es gibt da draußen unzählige Filmkomponisten, die Ravel als Vorbild nennen.
Übrigens, ich habe das Ballett noch nie live gesehen, sondern kenne nur Tonaufnahmen und ich weiß noch ganz genau, als ich mir dann irgendwann eine andere Aufnahme von Daphnis und Chloé anhörte, war ich entsetzt, wie seltsam diese klang, da von einem anderen Orchester und Dirigenten vorgetragen.
Nun müsste ich eigentlich eine ganz bestimmte Version empfehlen, schließlich macht man das so als ernstzunehmender Klassikrezensent. Da ich aber kein erstzunehmender Klassikrezensent bin, überlasse ich das dir, lieber Leser. Suche dir deine Lieblingsversion von „Daphnis und Chloé“ doch selbst. Wichtig ist nur, dass du suchst und dich dann auf Ravels Love Boat begibst, denn dann wird alles gut.