Cyte1-Rebel Yell

Elton John kommt um die Ecke, Brian Wilson klopft an und beide lassen sich auf einem Soundteppich aus New-Wave-Klängen nieder. Wer die Musik des niederländischen Künstlers Jett Rebel hört, kommt kaum hinterher, all die Zitate der Pop- und Rockmusikgeschichte zu benennen, die in den Songs anklingen. Das Beste ist aber, es gar nicht erst zu versuchen, sondern sich gleich von dem anspielungsreichen Klangsog fortziehen zu lassen und einfach nur zuzuhören. Ganz bald nämlich sitzt man in einer einzigartigen Kathedrale aus Sound, erschaffen von Jelte Tuinstra, so Jett Rebels bürgerlicher Name.

In den Niederlanden ist Jelte ein Star, seit er als Jett Rebel 2013 seine erste EP „Venus“ veröffentlichte. 22 Jahre war er da alt, Absolvent des Amsterdamer Musikkonservatoriums mit den Schwerpunkten Gitarre und Klavier. Mit „Mars“ folgte 2014 die zweite EP. In rascher Folge gewann Jett Rebel einen Award nach dem anderen, inszenierte sich auf den Bühnen des Landes als Enfant terrible und Liebling der Fernsehshows. Zu dem vielen Licht aber kamen die Schatten: Drogen, Depressionen, Rastlosigkeit. Innerhalb von zwölf Monaten veröffentlichte er drei Alben: „Truck“ im Januar 2016, „Don’t Die On Me Now“ im August darauf, im Januar 2017 folgte das aktuelle Album „Super Pop“.

 

Cyte: Wie kommt es, dass so viel Musik in dir ist und raus will?

Jett Rebel: Musik war schon immer da in meinem Leben. Meine Eltern machten Musik und spielten mir Platten vor. Ich habe mich quer durch alle Genres gehört und daraus ist ein riesiger Fundus geworden oder besser noch, diese ganze Musik ist ein Teil von mir geworden. Daher denke ich, wenn ich einen Song schreibe, auch nicht „Hey, jetzt wird es ein Sixties-Song“ oder etwas in der Art. Alles kommt aus mir selbst heraus in dem Moment.

Cyte: Welche Rolle spielt dabei dein Studium am Musikkonservatorium?

Jett Rebel: Die Zeit war wichtig für mich, aber Musik kann man überall studieren, sogar in einer Bar oder im Auto, einfach durch Zuhören. Ich mach das oft so: Zuerst ordne ich den Song, der gerade läuft, zeitlich ein. Darin bin ich ziemlich gut, denn ich orientiere mich an der Art, wie er aufgenommen wurde, selbst die Mikrofon-Typen kann ich meist erkennen. Danach konzentriere ich mich auf die Akkorde, die Melodie, im Anschluss dann auf die Lyrics. Im Anschluss an diese Analyse nehme ich dann meine Gitarre und spiele den Song, den ich vorher nie gehört hatte. Ich verstehe Musik und fühle sie auch, es klingt vielleicht etwas seltsam, wenn ich sage: Ich bin Musik. Ich meine das auch nicht so, dass ich darin besonders gut bin, sondern es ist einfach sehr schwer zu sagen, wo Musik aufhört und ich anfange und andersherum.

Cyte: Wann wurde dir klar, dass Menschen dir und deiner Musik zuhören?

Jett Rebel: Manchmal ist mir das immer noch nicht klar, trotz meiner vielen Auftritte. Das hängt aber damit zusammen, dass ich ziemlich bescheiden bin. Vor einer Show zum Beispiel kommt es manchmal vor, dass ich ein wenig Lampenfieder habe und mein Manager mir dann sagen muss: Weißt du, alle diese Menschen sind deinetwegen hier, sie wollen dich sehen und deine Musik hören. Ich redete mir dann aber ein, dass sie alle vielleicht nichts Besseres zu tun hatten und eher zufällig da sind. Irrational, ich weiß.

Cyte: Gehst du nicht gern auf die Bühne?

Jett Rebel: Ganz im Gegenteil, ich liebe es, zu performen.

Cyte: Wann bist du das erste Mal aufgetreten?

Jett Rebel: Oh, das ist lange her. Da war ich fünf oder sechs Jahre alt und hatte gerade mit richtigen Klavierstunden begonnen. Alle Schüler sollten etwas zum Besten geben, aber eben von diesen etwas monotonen Anfängerstücken, eine Note per Anschlag. Pam, pam, pam, pam, pam, so etwa. Ich hatte aber schon etwa zwei Jahre vorher angefangen, mir selbst am Klavier ein paar Stücke beizubringen und war totaler Rock’n’Roll-Fan, mochte Elvis Presley, Little Richard und haute eher wie beim Boogie Woogie in die Tasten.

Cyte: Warum denn dann noch Klavierstunden?

Jett Rebel: Ich beherrschte noch keine Technik, die Rock’n’Roll-Songs hatte ich eher intuitiv gelernt. Meine Klavierlehrerin war aber sehr geduldig mit mir. Für den Auftritt damals fand sie einen Kompromiss. Wenn ich ein Stück aus dem Unterricht vortrug, könne ich im Anschluss ein Stück spielen, dass ich selbst aussuche. Ich entschied mich für Great Balls of Fire von Jerry Lee Lewis, dazu wollte ich singen und in jedem Fall eine Sonnenbrille tragen. Das erzählte ich meinem Vater und er sagte mir, wie ich daraus eine Show machen könnte. Ich sollte die Sonnenbrille aufs Klavier legen, das Pam-Pam-Pam-Stück spielen, danach ins Publikum blicken, die Sonnenbrille aufsetzen und mit Great Balls of Fire loslegen. So habe ich das dann auch gemacht.

Cyte: Und wie kam das beim Publikum an?

Jett Rebel: Die Leute waren ziemlich überrascht, aber sie mochten es und die Lokalzeitung hat darüber berichtet. Das war also mein allererster Bühnenauftritt. Ich denke heute noch oft daran und an das, was mein Vater mir beigebracht hat, eine Show draus zu machen, wenn ich auf die Bühne gehe. Ich überrasche das Publikum gern. Aber auch jenseits der Bühne kann ich etwas seltsam sein oder Sachen tun, die Menschen seltsam finden. Ich tanze auf der Straße oder in einem vollbesetzten Zug und singe dazu.

Cyte: Wie balancierst du zwischen deinem Dasein als Jett und Jelte?

Eine Zeitlang habe ich da tatsächlich einen Unterschied gemacht. Insbesondere in den Jahren, in denen ich viele Drogen und viel Alkohol konsumiert habe. Ich war schwer depressiv und brauchte Jett, denn als Jelte war ich sehr schüchtern, verkrampft und konnte nicht so gut auf Leute zugehen. Aber wenn ich dann Jett war, auf der Bühne, in Interviews, war das eine Rolle, in der ich mich sicher fühlte. Aber die Zeiten sind zum Glück vorbei. Seit fast zwei Jahren bin ich nun von den Drogen und dem Alkohol weg, ich habe die Depression besiegt und bin gesund. Ich bin zwar auch jetzt noch manchmal schüchtern, an anderen Tagen fühle ich mich sicher und wohl in Gesellschaft. Aber das bin alles ich. Jelte oder Jett sind bloß Namen.

Cyte: War die Musik in der dunklen Zeit eine Hilfe oder ein Hindernis?

Jett Rebel: Musik war immer ein Ventil für mich, vor allem in den schlimmsten Jahren 2015 und 2016. Allein im Jahr 2016 habe ich drei Alben aufgenommen und noch sehr viele Songs mehr geschrieben. Bei den drei Alben habe ich alles gemacht, komponiert, getextet, die Instrumente eingespielt und das Mixing gemacht. Zurückblickend frage ich mich wirklich, wie das alles ging. Denn ich weiß ja, wie depressiv ich zu der Zeit war, wie viele Drogen ich genommen habe. Ich war praktisch nie nüchtern und hatte Selbstmordgedanken. Was mich in der Zeit aber antrieb war die Musik. Ich wollte noch viele Songs schreiben und veröffentlichen, bevor ich hätte gehen können. Das ist der wahre Grund, warum ich drei Alben in einem Jahr veröffentlicht habe. Ich wollte, dass wenigstens meine Musik überdauert.

Cyte: Du bist aber in dieser schweren Zeit trotzdem viel aufgetreten, warst auf der Bühne, in Fernsehshows. Wie haben die Menschen darauf reagiert?

Jett Rebel: Ja, das ist der Preis der Öffentlichkeit, denke ich. Viele Menschen versuchten, mich zu analysieren oder waren auf Sensationen aus. Als ich damals so fertig war, gab es in den Niederlanden eine Diskussion darüber, dass ich wohl zum „Club 27“ gehören würde, also zu den Künstlern, die nicht älter als 27 Jahre geworden sind wie Janis Joplin, Jimi Hendrix, Amy Winehouse und so viele andere. Das zu hören und zu lesen war damals für mich schrecklich. Ich war sowieso depressiv und hatte Selbstmordgedanken, dann ist es nicht sehr hilfreich zu hören, dass man nur noch zwei, drei Jahre zu leben hat, es bestätigt eher die Depression. Aber nun bin ich 27 und es geht mir gut.

Cyte: Inwieweit analysieren dich Fremde oder Fans heute noch?

Jett Rebel: Das hat zum Glück aufgehört, denn die Menschen können nun sehen und erleben, dass ich glücklich bin. Obwohl es immer noch Gerüchte gibt.

Cyte: Ob du wirklich clean bist?

Jett Rebel: Ja, aber darum kümmere ich mich nicht mehr. Seitdem ich ganz offen über meine Depressionen spreche, bekomme ich viele Briefe von Menschen, denen es ähnlich geht. Sie schreiben, dass es ihnen hilft, meine Songs zu hören. Ich habe viele Lieder geschrieben in der Zeit, in der ich so depressiv gewesen bin. Wenn ich sie heute auf der Bühne spiele oder auf CD veröffentliche, tue ich das auch für die Menschen, die ebensolche Probleme haben. Ich möchte ihnen zeigen, dass es Hoffnung gibt.

Cyte: Wie hast du die Hoffnung wiedergefunden?

Jett Rebel: Das war schwer. Mir ging es so schlecht damals, dass ich wirklich dachte, ich würde sterben. Ich habe überhaupt keinen Ausweg gesehen. Erst als die Ärzte mir sagten, dass ich aufhören müsste, Drogen zu nehmen und ich mit Hilfe damit begann, wurde es besser. Das hat lange gedauert, aber es ebnete mir den Weg oder besser gesagt zeigte mir überhaupt einen Weg aus dieser dunklen Höhle, die ich mir gebaut hatte. Und genau das möchte ich anderen Menschen auch sagen: Selbst wenn dich die Depression so tief niederdrückt, dass du denkst, dass du nie einen Weg heraus finden wirst, es ist immer Hoffnung da.

Cyte: Ende 2017 hast du eine kleine Tour in Spanien und einige Konzerte in Deutschland gespielt. Weshalb hat es so lange gedauert, bis du dich aus den Niederlanden herausgewagt hast?

Jett Rebel: Ich wollte schon viel früher am liebsten überall spielen, aber mein Manager und auch mein anderes enges Umfeld haben mich glücklicherweise davor beschützt. Sie haben gemerkt, dass das zu viel für mich gewesen wäre, ich das gar nicht ausgehalten hätte.

Cyte: Aber jetzt ist die Zeit gekommen, Europa zu erobern?

Jett Rebel: Mir geht es inzwischen sehr viel besser, aber wir lassen es trotzdem langsam angehen. Denn es geht auch darum, sich mit allem gut zu fühlen, auch mit dem Musikbusiness. Mein Manager und ich sind enge Freunde, wir arbeiten von Anfang an zusammen und haben uns in der ganzen Zeit noch nie gestritten. Bei den Leuten, mit denen wir arbeiten, muss eine gemeinsame Ebene da sein, wir suchen sie nach unserem Gefühl aus. Wenn uns also jemand eine Reihe von Gigs anbietet, das Zwischenmenschliche aber nicht stimmt, wir keine emotionale Verbindung zu ihm aufbauen können, dann machen wir die Gigs auch nicht. Andersherum, wenn wir merken, hey, der ist so wie wir, arbeiten wir mit jemandem auch für kleine Sachen zusammen. Bei diesem Fotoshooting zum Beispiel war gleich eine Verbindung da, wir kamen ins Studio und da hängt eine Deep-Purple-Platte an der Wand. So etwas ist ein Zeichen für uns, dass wir am richtigen Platz sind.

 

Cyte: Wie geht es jetzt für dich weiter?

Jett Rebel: Manchmal habe ich noch das Gefühl, in Eile zu sein. Aber das sollte ich nicht. Ich habe so viel Zeit. Ich werde noch lange da sein. Ich freue mich schon, noch mehr meiner Musik in diesem Jahr mit den Menschen zu teilen, ich werde ein Album veröffentlichen und es fühlt sich richtig an.

Cyte: In knappen Worten: Was bedeutet für dich…

 

…Musik
Alles ist Musik, Musik ist alles. Ich kann gar nicht beschreiben, wie groß Musik für mich ist.

…Erfolg
Erfolg fühlt sich an wie ein Schulterklopfen für die ganze harte Arbeit. Wenn die Menschen anerkennen, wie viel Mühe ich aufgewendet habe, fühle ich mich erfolgreich.

…Luxus
Da bin ich hin und her gerissen. Ich mag Luxus und bin, wie man im Niederländischen sagt, teilweise ein „luxe paarden“, also ein Luxus-Pferd, das gern Show macht und es sich gut gehen lässt. Meine andere Seite aber mag es einfach und das Schönste ist dann, in der Natur zu sein, viele Bäume um mich herum zu haben, zu campen.

…Obsession
Ich habe viele Obsessionen, denn es ist so: Entweder mag ich etwas gar nicht oder ich bin davon besessen. Dazwischen gibt es nicht viel.

…Zuflucht
Ich suche noch nach dem richtigen Ort.

…Freundschaft
Ich habe großartige Freunde. Das sagt auch meine Mutter immer wieder und wenn deine Mutter das sagt… Meine besten Freunde sind meine Bandmates.

…Ehrgeiz
Ehrgeiz ist immer da, so wurde ich erzogen, mir Ziele zu setzen und sie zu erreichen. Das ist es, was mich antreibt. Immer.

…Inspiration
So vieles inspiriert mich, aber die einfachste Antwort ist: Brian Wilson. Er ist mein Held.

…Zukunft
Klar, ich möchte überall auftreten, jeder soll mich kennen. Was mir für die Zukunft aber am wichtigsten ist: Musik zu machen, Alben herauszubringen, so wie jetzt und wenn das weiter und weiter geht, dann bin ich wirklich glücklich.

 

CREDITS

Text: lenya Meislahn #l_meislahn 

Photograph: Ralph Baiker #ralph_baiker_all_areas