J’ADORE?

Text: Stephan Ziehen

Modekritik DIOR

Vor mir liegt ein dicker Bildband des Labels DIOR. Ein Überblick über alle Designer, die über die Jahre für das Haus als Chef Designer gearbeitet haben, inklusive des Namegebers: Christian Dior. Darunter klangvolle Namen wie Yves Saint Laurent, Marc Bohan, Gianfranco Ferre und John Galliano. Bei ihm endet das Buch. Es folgten noch Raf Simons und nun aktuell Maria Grazia Chiuri. Jeder hat versucht der Tradition des Hauses gerecht zu werden, aber trotzdem die eigenen Spuren zu hinterlassen. Seit sechs Jahren versucht nun Maria Grazia Chiuri diese Stelle auszufüllen. Sie war vor ihrer Arbeit bei Dior, zusammen mit Pierpaolo Piccioli bei Valentino. Sie haben dort gemeinsam die Geschicke des Hauses gelenkt. Die beiden brachten den Zauber von Valentino wieder zurück. Kollektionen voller Poesie, Modernität und handwerklichen Könnens. Ich weiß nicht, wie kommerziell erfolgreich ihre Arbeit dort war, aber der Output war grandios. Ein Beispiel dafür, wie man eine Traditionsmarke in die Gegenwart führen kann, ohne ihre DNA zu verleugnen. 2016 verließ Maria Grazia Chiuri dann Valentino und Pierpaolo Piccioli leitet nun als Chef-Designer alleine das Haus.
Die übergroßen Fußspuren von Raf Simons, der Dior auf eigenen Wunsch verließ,
zu füllen, wäre für niemanden leicht gewesen – auch wenn Raf Simons lange umstritten war, der Richtige dort zu sein. Doch nun nahm das Drama seinen Lauf, Maria legte los bei Dior. Wenn man bei Valentino noch gedacht hat, dass zwei gleichwertige Partner die Kollektionen entworfen hatten, wurde bei Dior klar, dass das nicht stimmen konnte. Maria hatte sich offenbar von Pierpaolos Können mitziehen lassen. Denn bei Dior ist, unter ihrer Leitung, auf einmal alles sehr bemüht. Natürlich auch perfekt inszeniert, aber ihr verzweifelter Versuch Dior jünger und frischer zu machen, misslingt komplett. Während Pierpaolo Valentino weiterhin unbeschwert und inspiriert von einer grandiosen Kollektion zur nächsten führt, quält sich Maria und uns, von einer bleiernen und langweiligen Kollektion zur nächsten. Offensichtlich muss sie aber etwas richtig machen, denn sonst wäre sie schon längst weg. Vielleicht kennt sie die richtigen Leute, irgendwelche kruden politischen Spielereien, die es weiterhin erlauben, uns, die Marke und ihr Erbe so zu langweilen. Selbst die Werbefilme, die sie anstelle der Shows während der Pandemie produzierte, sind schrecklich: überinszeniert und pathetisch. Teuer und geschmacklos. Als man dann wieder entspannter Reisen durfte, waren die Präsentationen an exotischen Plätzen dieser Welt auch wieder fehl am Platz: in einer Zeit, in der es wenig „sinnvoll“ ist, hunderte von Journalisten und VIPs um die Welt fliegen zu lassen, um Kleider anzuschauen, die dem Hype nicht standhalten.

1. Szenenwechsel. Dior Boutique, 261 Rue Faubourg St. Honoré, ein Flagship Store.
Da kann man so ziemlich alles von Dior kaufen, was das Herz begehrt. Auch die Mode von Maria Grazia. Fasziniert und schließlich frustriert stehe ich vor Kleiderständern, die gefüllt sind mit ihren Kleidern. Mir fehlt die Vorstellung, wer so etwas kaufen soll, mal vom Preis ganz abgesehen. Alles aus der Zeit gefallen, ein bisschen Street, aber nicht zu sehr, ein bisschen Schneiderkunst, aber merkwürdige Stoffe. Alles irgendwie gewollt und verkrampft. Es gibt viele Designer, die untragbare und unverkäufliche Sachen entwerfen, aber die meisten davon haben wenigstens Poesie und schaffen es, einen in eine Traumwelt zu versetzen, die nichts mit der Realität zu tun hat, aber die es braucht, um mit ihrer Schönheit anderes vergessen zu machen.
Hier nur stumpfer, fader Luxus. Zu wenig Bling Bling, um die Russen glücklich zu machen, außer vielleicht mit einer riesigen Handtasche – wenn man schon gerade da ist …. Die französische Grande Dame kommt hier nicht mehr auf ihre Kosten, da ist nichts mehr vom Spirit des einstigen Hausherrn zu spüren, den es braucht, um ihr Portemonnaie zu öffnen. Ich bin vollkommen ratlos an diesem Hort des französischen Luxus. Warum, was soll das hier alles???

2. Szenenwechsel. Vogue Runway, die Männershows, online. Dior Men wird von Kim Jones designt. Was für ein Kontrast. Man kann kaum glauben, dass das die gleiche Marke ist. Klar, Männer gehen anders als Frauen-Kollektionen. Und man kann sie nur bedingt vergleichen, aber wenn man so gar keine Gemeinsamkeiten mehr spürt, dann braucht man auch nicht mehr den gleichen Namen. Was Kim macht ist modern, inspiriert und begehrlich. Die Frauen-Kollektionen bestehen nur aus irgendwelchen Kleidern, bei denen man nicht weiß, wer sich darin wohlfühlen soll. Es ist weder richtig elegant noch sportlich. Nicht damenhaft, aber schon gar nicht cool. Es gibt eigentlich niemanden, der das anziehen könnte.
Dagegen macht Kim bei den Männern alles richtig: moderner tragbarer Luxus mit vielen jungen Einflüssen, ohne jemals die Herkunft des Hauses und die Erwartungen der reichen Klientel zu vergessen. Ich verstehe sofort, wofür diese Summen aufgerufen werden, dass diese Preise bezahlt werden und würde mich zeitgemäß gekleidet fühlen.
Was läuft bei den Frauen bloß falsch?

Warum ist mir das alles nicht einfach egal? Die Marken verdienen genug Geld mit allem was sie machen. Ich kann die viele Arbeit, die dahinter steckt spüren und trotzdem lässt es mich kalt. Es fühlt sich alles nicht richtig an, es wirkt konstruiert und seelenlos.
Und das ist das traurige: viele Marken, die unter dem Dach der großen Luxuskonzerne versammelt sind, haben ihre Seele verloren. Jede Persönlichkeit, die dahinter steht verkümmert zur zombiehaften Geldmaschine, wird getötet.
Vielleicht ist das auch das Problem mit Maria. Valentino war noch beseelt von der Persönlichkeit seiner selbst. Dior gehört nur zu einer kalten, börsennotierten Luxusgruppe. Dieses Problem ist für viele Marken in so einer Gruppe ähnlich. Was am Anfang wie ein Sprungbrett in ungeahntes Wachstum aussieht, höhlt mit der Zeit den Spirit jedes eigenständigen Labels aus. Klar, Produktions- und Vertriebsstrukturen, Marketing und Marktpräzens multiplizieren sich. Alles wird professioneller und organisierter. Aber ist das ein Vorteil? Jein! Es bedarf einer sehr starken Persönlichkeit, sich nicht das Ruder von Controllern, Marketeers, den Aktionären, dem Investor, aus der Hand nehmen zu lassen. Vermutlich ein zehrender Kampf, der wenn man ihn verliert dazu führt, dass alles verblasst, was vorher originär und charmant war.
Daher ist es mir nicht egal, ob Maria langweilige und uninspirierte Kollektionen designt.
Ich möchte den Wandel in der Mode als Ausdruck einer sich wandelnden Designer-Persönlichkeit erkennen, aber nicht aufgrund einer (gestörten!) Marken-Politik vom Schreibtisch aus.
Es lebe das imperfekte, warme und launische Werkeln einer Person und nicht der kalte Hauch des Modereißbretts.