Modekritik

Chanel…oder wie man sich keine Freunde macht.

Ich kannte weder Karl Lagerfeld persönlich, noch irgendeine Person, die seine Kleider, die er für Chanel entworfen hat, trägt.

Alles was ich über ihn weiß, weiß ich aus der Presse, dem Internet oder mmmmmh,

tatsächlich dem Fernsehen.

Daher steht mir eigentlich kein Urteil zu – trotzdem maße ich es mir an:

Für mich ist Chanel eines der ödesten und langweiligsten Labels, die ich kenne. Altbacken, langweilig und meistens total spießig.

An sich wäre das alles nicht so schlimm, wenn es nicht eines der bekanntesten und– glaubt man den wenigen, bekannten Zahlen – auch eines der kommerziell erfolgreichsten Labels der Welt ist. Wenn man in die Modegeschichte eintaucht und in der Vergangenheit der Marke forscht, erkennt man, dass die Mode von Coco Chanel auf ihrem Höhepunkt in den 20er bis 50er Jahren, modern und befreiend war. Nach all den Jahrzehnten mit Korsetten und anderen unbequemen und kompliziert zu tragenden Kleidern, war ihre Mode eine Erlösung. Die legendären Kostüme waren chic, elegant und auch bequem. Eine Emanzipation für Frauen, die nun auch andere Dinge taten, als nur zu repräsentieren und schön zu sein. Also ein modernes und zeitgemäßes Label. Das war Chanel vor ca. 70 Jahren.

Auch wenn Coco in ihren späteren Jahren biestig und eifersüchtig auf ihre Nachfolger wurde, hatte sie sich einen legitimen Platz im Mode-Olymp erobert.

Nach ihrem Tod bestand die Marke fort, allerdings wurden nur die alten Looks leicht variert und recycelt. Die Marke dümpelte als französische Ikone vor sich hin und das Klientel alterte mit ihr. Bis dann 1983 Karl Lagerfeld die Marke als Chef-Designer übernahm und sie aus ihrem Dornröschenschlaf wach küsste. In atemberaubendem Tempo brachte er Chanel von einer veralteten und muffigen Spießer-Marke in die Front Row der Fashion Crowd. Aber was machte er anders? Was war sein Rezept?

Nichts! Er änderte nichts, zumindest nicht viel an der Mode! Er hatte kein Rezept. Das Erfolgsgeheimnis war er! Amüsant, witzig und schlagfertig katapultierte er sich und die Marke ins Scheinwerferlicht. Jedes Mikro, jede Kamera war froh über ein persönliches Statement von ihm. Je arroganter und pointierter, desto so breitenwirksamer. Je mehr sich Karl Lagerfeld selbst zur Ikone und Marke stilisierte, desto leichter konnte Chanel in seinem Fahrwasser folgen. Wie die Klamotten aussahen war weitestgehend egal, solange Karl die Klatschspalten und die seriöse Modepresse (eigentlich ein Widerspruch – ist Mode seriös?) gleichermaßen füllte.

Mit dieser Dauerpräsenz in den Medien, wuchs die Klientel von Chanel stetig.

Klar, Karl war sehr, sehr fleißig und zeichnete zig Kollektionen jede Saison, aber dass die Kleider eigentlich noch genauso altbacken und spießig aussahen wie bei Coco, schien niemanden zu stören. Sein geschickter Schachzug war, sie von sehr jungen Modellen, die sehr sexy gestylt waren, tragen zu lassen. Jede Frau die etwas älter als 25 Jahre alt war und seine Entwürfe trug, sah schlagartig wie ihre eigene Oma aus – irgendwie verkleidet und um Jahrzehnte gealtert. Irgendwie ein Retro-Look – trotz aller Bemühungen mit Accessoires und der richtigen Inszenierung zeitgemäß zu sein.

Man musste entweder ganz jung sein, um in Chanel gut auszusehen oder man nahm in Kauf – mit ein paar Jahren mehr auf dem Puckel – sofort uralt zu erscheinen. In beiden Fällen nicht sehr vorteilhaft – frivol wenn man sich mit unter 20 Klamotten leisten konnte, die tausende von Euros/Franc/Dollar kosten und tragisch, wenn man mit Mitte 30 nicht erkennen konnte, wie spießig und altbacken man aussah.

Das beste was man über diese Mode sagen kann ist, dass sie ihrer DNA treu geblieben ist. Man erkennt immer und auf den ersten Blick, was von Chanel ist. Aber im Gegensatz zu allen anderen klassischen Modehäusern hat man sich eigentlich nie die Mühe gemacht, die Kleider in die Gegenwart zu holen. Alles sieht immer noch aus, als wenn es in den 20ern, 30ern oder 40ern designt worden wäre. Ein Historien-Ball auf dem Laufsteg der 2000er Jahre. Damit in der gehässigen Modewelt durchzukommen ist fast schon ein Phänomen.

Aber nichts konnte den Erfolg stoppen. Die Werbe-Budgets wurden immer größer und die Défilées immer bombastischer. Am Ende war nur das Grand Palais in Paris groß genug, um die überbordenden Phantasien von Karl Lagerfeld zu beherbergen.

Als Großmeister der Inszenierung setzte er neue Maßstäbe in der Präsentation einer Modenschau. Alles von ihm selbstironisch und witzig kommentiert. Man konnte ihn dafür lieben und feiern – nur auf die Kleider sollte man besser nicht zu genau achten. Wenn man zu einem beliebigen Zeitpunkt – egal ob Frühjahr/Sommer, Herbst/Winter oder Cruise/Resort in einem Chanel Laden tritt und versucht, dort für € 10.000 etwas zu kaufen was einem wirklich gefällt und was man auch wirklich gerne anzieht, gerne auch mehr als einmal (Taschen, Accessoires und Schmuck mal ausgenommen) – man wird nicht fündig! Selbst oder gerade als modeaffiner Mensch nicht. Das Geld los zu werden ist kein Problem, da schon ein besticktes T-Shirt € 1200 kostet.

Aber tragen möchte man das freiwillig nicht! Zumindest nicht, wenn man nicht müde belächelt werden möchte.

Aber wie wird es jetzt weitergehen mit Chanel? Jetzt wo Karl nicht mehr da ist. Wie lange wird Virginie Viard sein Erbe noch erfolgreich weiterführen können, ohne die Mode zu verändern (modernisieren) oder zumindest so amüsant zu sein wie er? Wenn in der einen oder anderen Richtung nichts passiert, wird Chanel langsam in der Versenkung verschwinden, eventuell nur etwas länger am Leben gehalten durch ein riesiges Werbebudget und den erfolgreichen Kosmetik-Tropf. Ein Gesamtumsatz von fast 10 Milliarden Dollar hat die Eigentümerfamilie Wertheimer mit Karl Lagerfeld zusammen pro Jahr erwirtschaftet, der sollte sicher nicht weniger werden.

Noch etwas versöhnliches zum Schluss:

Vielleicht aber ist ja auch schön, dass in einer so schnelllebigen Zeit, eine Marke wie Chanel mit diesem Retro-Charme immer noch in der Lage ist, die Herzen und Geldbeutel der Kundschaft mit perfekter Handwerkskunst „Made in France“ zu erobern!

Text: Stephan Ziehen

Artwork: Chris Ruess