LOST IN THE STREAM OF STREAMING
PROLOG – TOP TEN SWIPER
SWIPESWIPESWIPESWIPESWIPESWIPESWIPESWIPESWIPESWIPESWIPE
SWIPESWIPESWIPESWIPESWIPESWIPESWIPESWIPESWIPE
SWIPESWIPESWIPESWIPESWIPESWIPESWIPE
SWIPESWIPESWIPESWIPE
SWIPESWIPESWIPE
SWIPESWIPE
SWIPE
AHHHHH…ich kann es einfach nicht lassen, ich bin swipesüchtig, oder auch, je nach Device, klicksüchtig. KLICK, SWIPE, KLICK, SWIPE…und so weiter, kein entrinnen.
Angefangen und gefangen, gefangen im endlosen Raum des Streams of Streaming.
Ach, was waren das noch für Zeiten, als man nur Langspielplatten und Musikkassetten am Start hatte und nicht swipen oder klicken konnte. Wer hatte schon Lust im schummrigen Halblicht die dunklen Rillen zwischen den Songs zu finden, oder an den Anfang des nächsten Songs zu spulen.
Und heute….ich bin klein, will auch immer artig sein….heute bin ich am Start, wenn es um die Zukunft der Musik geht.
Es liegen aber auch dunkle Zeiten hinter der Musikindustrie.
Der CD-Silberling brachte eine neue ökonomisch goldene Ära und niemand konnte sich vorstellen, dass diese Zeiten einmal enden würden. Große Feiern, große Ziele und doch alles an die Wand gefahren.
Es ist aber auch ärgerlich, wenn man sich selbst auf der Party der unbegrenzten CD-Möglichkeiten feiert und dann schlendert plötzlich ein nicht geladener Gast vom Fraunhofer-Institut mit einem feisten Grinsen auf die Tanzfläche. „Hallo, mein Name ist Mp3 und das hier ist übrigens mein Kumpel Napster“.
Der Rest ist traurige Musikindustriegeschichte, die den Spruch „Wenn zwei sich streiten dann freut sich der Dritte“ mehr als bestätigt.
Hätte, hätte, man sich unter den Majors doch liebgehabt,
hätte, hätte die GEMA nicht so rumgezickt,
hätte, hätte man Handys hergestellt……, dann wäre man Apple…
…und Apple war der Dritte der sich freute und mit itunes die Downloadplattform launchte die die Plattenfirmen auch gerne gehabt hätten (Does anyone remember „Phono Line“?).
Schon komisch, dass immer die Anderen der Musikindustrie zeigen, wie moderner Musikvertrieb funktioniert.
Dem Gast namens „Mp3“ ist das Grinsen inzwischen vergangen und er hat auch keine Lust mehr zu tanzen, er sitzt inzwischen nur noch an der Bar und lässt sich volllaufen, es will ja eh keiner mehr etwas von ihm wissen (selbst sein Kumpel Napster hat ihn verlassen). So langsam löst er sich in seine Einsen und Nullen auf und in ein paar Jahren ist er ganz verschwunden, während die arrogante „CD“ in silbernen Glitzerklamotten, noch immer eng umschlungen mit der elegant in schwarz gekleideten „Vinyl“ einen langsamen Walzer tanzt, den „DJ Stream“ in seiner unendlichen Güte aus seiner Playlist „Retro“ geswipt hat.
Da sind wir nun, im hier und jetzt.
MUSIKSTREAMING, natürlich nicht von der Plattenindustrie erfunden, ist der neue Heilsbringer für alle, für dich, für mich, für den Plattenboss und für die Künstler.
Entschuldigung, wer hat da „Nope“ reingerufen? Egal, muss wohl ein Musiker gewesen sein, wird sich schon beruhigen.
Neu ist das Streamen von Musik ja nicht wirklich, schließlich gibt es schon ewig Internetradios und auf MySpace (na, wann warst du das letzte Mal auf MySpace?) und bei YouTube konnte man auch schon immer Musik anhören, allerdings selten mit Genehmigung der Urheber.
Während sich die Plattenfirmen um die Abmahnungen der illegalen Uploader und Downloader kümmerten und vor Zukunftsangst erstarrten, fummelten zukunftsorientierte Menschen in Schweden bei Knäckebrot und Surströmming an einer Musikstreaminglösung herum. Die Gründer von Spotify Daniel EK und Martin Lorentzon sammelten fleißig Musiklizenzen ein und 2008 begann dann das neue Zeitalter des Musikhörens.
In Schweden hatte bald fast jeder Mensch einen Spotify Account und so kam es wie es kommen musste, ganz nach IKEA Devise: „First we take Sweden, then we take the world“.
Es folgten weitere Streamingportale und heute teilen sich Spotify, Apple Music und Amazon Prime den Markt größtenteils auf, mal sehen ob YouTube Music das Trio sprengen kann, da dieser Service noch relativ neu am Markt ist.
Verwunderlich dabei, Apple war diesmal Spatzünder und hatte große Probleme einen userfreundlichen Streamingdienst zu etablieren.
Der Musikstreamingdienst mit den meisten Nutzerzahlen ist heißt übrigens Tencent Music, das ist ein chinesischer Streamingdienst, der mit 800 Millionen Usern alle anderen Streamer locker in die Tasche steckt, aber wen interessiert außerhalb von China schon Tencent? Dies könnte sich natürlich ändern, wenn Tencent sich irgendwann für Dinge außerhalb von China interessiert.
Fakten, Fakten, Fakten….werden irgendwann langweilig, deswegen möchte ich jetzt auf meine Swipe- und Klicksucht zurückkommen.
Was hat Streaming nur aus mir gemacht? Ich bin ein elender Musik-Fast-Food-Junkie geworden und ich bin nicht allein.
Was interessieren mich noch die Begleitmusiker, die Komponisten, die Texte, die Cover, die Musiktitel, alles streamt an mir vorbei.
Der erfolgreichste Streamingkünstler 2018 weltweit war DRAKE, na wer hat denn auf seinem Album „Scorpion“ so mitgemacht? Man weiß es nicht, weil es irgendwie auch egal geworden ist.
Schnell in die Playlist gepackt, und schwupp, nächster Song. Ach Album, interessiert doch eigentlich auch nicht mehr, im Streaming zählt der Track, ein ganzes Album braucht doch kein Mensch mehr.
Ein Album ist sowas von gestern, ist doch viel zu lang und langweilig,
Apropos Playlisten, die Macht der Playlisten regiert die Musikwelt. Jeder will einen Titel in einer, zum Beispiel von Spotify kuratierten, Playlist unterbringen. Blöd nur, bisher lassen sich Spotify & Co da nicht reinreden, da die Streaminganbieter ihre Glaubwürdigkeit behalten wollen. Wieder mal dumm gelaufen für die Recordcompanies.
Mal sehen wie lange diese Unabhängigkeit noch währt, schließlich würde sich mit den mächtigen Playlisten sehr viel Geld verdienen lassen, denn mit Playlisten werden Streamighits gemacht.
Die Streamingportale haben aber sicherlich noch ein anderes Ziel.
Sie wollen die perfekte Playlist für den User generieren. Dafür werden die Algorithmen mit denen die Daten der Hörer ausgewertet werden immer ausgefeilter, je vernetzter wir sind, desto besser wird die Musik auf uns abgestimmt.
YouTube Music hat da als Tochter von Google einen unglaublichen Vorteil.
Du bist am Meer (Google Maps) und es regnet, dann hör dir doch mal „Mellow Beach Tunes“ an.
Du hast bei Google „Reise nach Ibiza“ gesucht, dann bringe dich in Stimmung mit unserer „Ibiza Sunset“ Playlist. Du hast heute Geburtstag oder ein Freund von dir, oder du hast gestern gesoffen, du hast heute nicht geduscht, du bist verlassen worden, du warst beim Italiener essen…..
Die Möglichkeiten sind unbegrenzt und es wird in Zukunft auch möglich sein, die automatisch auf den User abgestimmten Playlisten immer lokaler zu gestalten. Die Streaminganbieter sind ein hervorragendes Beispiel für den Spruch: Think global, act local.
Wir werden so zu gläsernen Musikhörern, aber ist es nicht auch schön, immer die passende Mucke zur Situation und Stimmung dabei zu haben?
Wie aber hört sich ein perfekter Streaminghit eigentlich an?
Ich hol mal meinen Stift raus und skizziere:
Die Top 10 Song(text)schnippsel die ich am Anfang des Artikels kredenzt habe, zeigen wie es im Streaming funktionieren kann.
Sechs von zehn Songs sind unter drei Minuten, neun von zehn Songs sind Deutschrap und bei neun von zehn Songs fängt der Text innerhalb der ersten zehn Sekunden an.
Was soll man sich lange mit dem Vorspiel aufhalten, wenn man gleich zu Sache kommen kann und das ist jetzt nicht zweideutig gemeint.
Alle Menschen die einen nervösen Swipefinger haben, müssen mit dem Song sofort gecatcht werden, denn sonst……genau…..SWIPE….und nächster Song.
Ich selbst würde eigentlich nur noch Songs mit einer Länge von 31 Sekunden veröffentlichen, denn ab 30 Sekunden Trackstream klingelt es in der Kasse. Das Gute an solch kurzen Songs ist außerdem, man hat keine Zeit mehr für eine Strophe, sondern beginnt und endet einfach mit dem Refrain.
Sicherlich ist das total übertrieben, aber auch die Formatradiolandschaft hat die Musik verändert und es ist nun mal Gesetz, ein Lied mit zu viel Instrumentalanteil kann eigentlich kein Hit werden und wohlmöglich wird die Streaminglandschaft die Art und Weise des erfolgreichen Songwritings noch einmal verändern.
Es geht um den schnellen Musikkonsum, nicht mehr unbedingt um den nachhaltigen Eindruck eines Liedes.
Eine Sache hat sich aber definitiv schon verändert, durch das Streaming wurde ein neues Zeitalter des Raps eingeläutet und in Deutschland ist dies besonders auffällig (man höre sich zum Vergleich einmal die Streaming Top Ten von Italien an).
Deutschrap prägt die Streamingcharts und insgesamt macht Rap ca. 60% der deutschen Streams aus und der größte Anteil davon geht auf das Deutschrap-Konto.
Deutschrap ist Kindermusik, denn die Kids streamen wie verrückt Deutschrap, kost ja nix über den Freemium- oder Familyaccount. Deutschrap scheint der so eine Art Punk des 21. Jahrhunderts zu geworden zu sein, denn die wenigsten Eltern stehen auf die verbalen Ergüsse von Capital Bra, Raf Camora, Bausa & Co und wohlmöglich ist Deutschrap die Rebellion der Pubertiere gegen eine Welt, in der man sich besser angepasst verhält, schließlich ballern Raptexte einfach raus.
Ob man sich morgen noch an die vielen Rapper erinnern wird? Scheißegal!
Die Gesellschaft wird schneller, der Konsum wird schneller, die Aufmerksamkeitsspanne wird kürzer und warum sollte sich nicht auch die Art Musik zu hören verändern und anpassen.
Ich selbst bin als Musikhörer ein großer Fan vom Streaming, trotzdem darf man ja mal hinterfragen und Selbstüberprüfung hat noch niemanden geschadet.
Streaming hat den illegalen Downloads den Notenschlüssel in den Rücken gerammt und der Niedergang der Musikindustrie wurde gestoppt, was ja beides eigentlich nicht übel ist.
Die Umsatzzahlen fallen nicht mehr, sondern steigen langsam wieder an. Der Weg aus dem Tal ist aber lang und wer weiß, vielleicht hat man sich zu früh gefreut.
EPILOG – DER WEG NACH OBEN
Ein wunderbarer Tag, die Sonne scheint in das tiefe Tal und eine leichte Brise weht vom Berg herab….schnell noch mal ein motivierendes Lied auf die Bluetooth-Kopfhörer gestreamt und auf geht’s – Der Plattenmensch ist bereit, denn ab heute geht es wieder aufwärts.
Auf dem Weg nach oben sieht der Plattenmensch in der Ferne einen guten Freund auf dem verwunschenem Pfad stehen, er freut sich und winkt ihm fröhlich zu.
Warum schaut der gute Freund nur so seltsam und wieso versperrt er ihm mit verschränkten Armen den Weg?
Plattenmensch sagt: „Hallo Streamingmensch, schön dich zu sehen, wollen wir Party machen?“
Streamingmensch swipt sich über den Kopf:
„Ach weißt du was Plattenmensch, ich brauche dich nicht mehr um Party zu machen, ist doch viel cooler wenn die Künstler direkt ihre Songs bei uns ins Streaming hochladen können“
Plattenmensch macht große Augen, ist verwirrt, wird dann wütend und macht einen Schmollmund:
„Mach doch, dann entziehe ich dir alles was ich hier so an Musik im Rucksack habe, willst du mal sehen?“
Streamingmensch ist sich unsicher, macht den Weg frei und ruft Plattenmensch trotzig hinterher:
„Wir sehen uns weiter oben noch mal, kannste glauben.“
Plattenmensch geht pfeifend den schmalen Pfad nach oben und plötzlich lauert hinter einem Felsen ein gemeiner Gnom und rasselt mit einer Rasselkette.
„He Gnom, was bist du denn für ein hässlicher Zwerg? Geh und verzieh dich, denn ich bin ein Plattenindustriemensch und auf dem Weg nach oben“
„He Plattenfuzzi, ich bin der Gnom BLOCKCHAIN und stelle dir jetzt ein Bein…hahahahahahaha…(das Lachen sollte an dieser Stelle dämonisch klingen).
Quelle Songtexte: TOP 10 Streamingcharts Spotify Deutschland vom 23.02.2019
CREDITS
Text: Dirk Eichhorn #don_sqirrel