„King“

CYTE: Lieber Franz, wie geht es dir? Was machst du zur Zeit?

FRANZ: Ich pendel’ zwischen Prag und Berlin, drehe jetzt im fünften Jahr die vierte Staffel „Das Boot“ und bin dann Ende des Monats fertig. Dann stürze ich mich in Hörbuch-Aufnahmen, um ein bißchen was für meinen Kopf zu tun. Mir ist aufgefallen, wenn ich weniger als ein Hörbuch pro Jahr mache, bin ich nicht mehr in der Lage, längere Sätze zu formulieren, die mir selbst gefallen, wenn ich sie lesen würde.

CYTE: Hast du ein bestimmtes Hörbuch-Projekt, das du angehst?

FRANZ: Ich lese seit einigen Jahren für den Diogenes Verlag, der übrigens sehr tolle Bücher macht. Die verlegen Dror Mishani, einen israelischen Autor, der mit Arthur Abraham einen Ermittler kreiert hat, der die interessantesten Fälle erlebt und alles miteinander verschachtelt. Ich lese gerade sein neuestes Werk – insgesamt das vierte Dror Mishani Hörbuch, das ich in den letzten Jahren gemacht habe. Mir tut das immer ganz gut, auch wenn ich mir jedes Mal schwöre: Nie wieder ein Hörbuch! (lacht).

CYTE: Warum? Ich liebe Hörbücher.

FRANZ: Das ist einfach sehr, sehr komplex vorzubereiten. Es ist unglaublich viel Stress. Und eine Woche lang eingesperrt zu sein im Studio ist auch eine Herausforderung. Aber es macht trotz allem immer großen Spaß und ist auch für jemanden wie mich, der abseits des Sets eigentlich gerne auch nichts sagt, eine gute Übung, sich zu äußern und seinen Stimmen-Apparat zu verwenden. Ich lese einfach wahnsinnig gerne, komme aber mit zwei Kindern kaum noch in den Genuss dieses Luxus, einfach mal ungehindert ein größeres Buch zu lesen. Das empfinde ich schon als Nachteil.

CYTE: Verstehe ich. Du hast eine super Hörspielstimme. Mache das bitte weiter.

FRANZ: I will. Zumindest wird es dieses Jahr Nachschub geben und dann schauen wir mal. Aber schade, dass wir Lesen mittlerweile schon als großen Luxus empfinden. Weil immer weniger Zeit ist und du in deinem Apparat drinnen steckst. Gute Sachen zu erschaffen setzt einfach immer voraus, dass du dich ziemlich tief reinstürzt. Und dementsprechend fallen dann so Sachen wie Abschalten und ein Buch lesen meistens hinten runter.

CYTE: Was ist das Besondere an fast 5 Jahren „Das Boot“? Gibt es da irgendwas, wo du denkst: Ja, erzähl ich?

FRANZ: Mir ist nach all den fünf Jahren „Das Boot“ so wichtig, weil ich in einem Projekt war, mit dem ich mich komplett identifizieren konnte, mit dem ich immer sympathisiert habe und das Gefühl hatte, das ist ein neues Kapitel, wo ich mich überhaupt nicht verbiegen muss. Und es kommt alles zusammen, was ich gut finde. Vor allem komme ich in den Genuss, mit Schauspielern zu arbeiten, die einer neuen Generation entspringen, die völlig anders drauf sind. Als ich Mitte 20 war und gedreht habe, war die Stutenbissigkeit, die Arroganz und die Eitelkeit so viel größer als heute. Die jüngeren Menschen, mit denen ich in den letzten Jahren zu tun hatte, waren so, dass ich mir dachte, ich wäre in dem Alter auch gern so gewesen. Die politische Weitsicht, die Reflexion, die Uneitelkeit sind Dinge, die ich bewusst wahrgenommen habe und für die ich sehr dankbar bin.

Die Momente, in denen ich mich am wohlsten gefühlt habe, waren auf Malta. Wenn wir dort auf dem U-Boot-Modell standen und aus Wasserkanonen beschossen wurden und gegen den Sturm anbrüllten. Das war, wofür ich immer angetreten bin, worauf ich immer Bock hatte. Leider sind diese Szenen überschaubar. Aber wenn es darum geht, so etwas zu drehen, dann verhaue ich auch mal gerne ein Take, um mit noch mehr Wasser beschossen zu werden. Weil ich glaube, dass diese Art von physischem Schauspiel etwas ist, das sehr großen Spaß macht – und weswegen man auch „Das Boot“ anschaut. Abseits dessen beginnt diese ganze Geschichte ja schon so irre, weil mein Sohn an dem Casting-Tag geboren wurde.

Auf einen völlig anderen Trichter hat mich Shanghai gebracht, wo ich mit Produktionsleiter Holger Reibiger war, um einen Preis entgegenzunehmen. In den vier Stunden vor der Preisverleihung hatte ich mich bei einer Online-Auktion angemeldet und spaßeshalber auf eine Zeichnung von Kirchner mitgeboten. Seit 15 Jahren träume ich davon, eine Arbeit von ihm zu haben, nur eine kleine Zeichnung, die mir gefällt. Und dann habe ich ohne Gegenangebot tatsächlich den Zuschlag erhalten. Diese Zeichnung und all die Fragen drumherum hatten zur Folge, dass ich mich jede freie Minute mit Kirchner und der Kirchner Forschung auseinandersetze. Das hat mich auf so eine neue Ebene der Glückseligkeit gebracht, weil ich gemerkt habe, das ist es, was ich spannend finde. Es ist letztendlich wie Schatzsuche – es ist Schatzsuche in Filmprojekten, es ist Schatzsuche abseits von Filmprojekten, es ist sogar Schatzsuche in echt, wo ich mit einem Metalldetektor über Wiesen renne und die damit verbundenen Geschichten und Geheimnisse entdecke…

CYTE: Ich finde es ja hochspannend auf der Suche nach etwas zu sein. Aber ich habe jetzt nicht das Gefühl, dass du ein Suchender bist – nach irgendwas, das irgendwann noch kommt. Was steckt dahinter? Sein Potential ausschöpfen?

FRANZ: Und sich überraschen lassen. Ich glaube, das ist die Offenheit, die wir auch angesprochen haben. Ich habe mich nicht dagegen gewehrt, wenn ich etwas spannend fand. Wenn ich merke, dass mich etwas nach drei Monaten immer noch interessiert, dann gehe ich diesen Weg. So habe ich in den letzten Jahren Schmuck gemacht, mich mit der Wiener Werkstätte beschäftigt, oder mich mit Literatur und Poesie beschäftigt. Das sind Dinge, die teilweise gar nichts miteinander zu tun haben. Aber das habe ich mir mal erlaubt, um dann zum Beispiel festzustellen, ah ja, die Szene spiele ich jetzt auf die Art und Weise, weil ich letztes Jahr diesen Brief von Kirchner gelesen habe. Letztendlich ist das einfach nur der Baukasten, den du auffüllst. Deswegen bin ich übrigens ein sehr schlechter Entspanner, denn ich das Gefühl, durch einfach nur am Strand liegen, lerne ich nichts Neues kennen. Das ist Fluch und Segen zugleich.

CYTE: Ich kann es wahnsinnig gut nachvollziehen. Mich würde interessieren, wie viel deiner Rolle in „Das Boot“ Teil deiner eigenen Identität geworden ist.

FRANZ: Ja, ganz spannend festzustellen, dass Ehrenberg eine Figur geworden ist, die mir sehr nahe geht und die auch viel von Franz in sich trägt, das ein Teil von Ehrenberg sich so eingeschlichen hat. Feigheit ist für mich ein Thema – und Mut, auch für mich als Privatperson. Abseits dessen, dass ich irgendwie ein halbes Jahr Ehrenberg sehe, wenn ich in den Spiegel gucke, weil der Bart eben nicht einfach mal so wächst.

Dass die Rolle jetzt die letzte Figur aus der ursprünglichen Staffel ist, ist großes Glück, weil da eine Wahrheit drinsteckte, die auch vom Publikum wahrgenommen wurde. Weil es eben nicht der Alpha-Soldat ist, der in den Krieg zieht, um Adolf Hitler glücklich zu machen, sondern weil das jemand war, der – ohne den Gutmenschen herauszukehren – jemanden repräsentiert, der wie wir irgendwo reingeraten und nicht mehr rauskommen kann und trotzdem irgendwie seinen Weg geht. Dass Ehrenberg so eine kaputte Figur ist, die nicht aufgibt und versucht, sich aus dem Sumpf zu ziehen und seine Schulden zu begleichen, ist spannend. Damit kann ich mich total identifizieren. Und das war eine der Überraschungen, die – so glaube ich – niemand für möglich gehalten hat.

CYTE: Gibt es eine Geschichte, die noch nicht erzählt wurde und gibt es innerhalb dieser eine Rolle, die du gerne spielen würdest?

FRANZ: Ich würde gerne zurückkehren zu Geschichten, die die eigentliche Kraft des Kinos und des Fernsehens sind – nämlich erdachte Welten. Ein Raumschiff, das mich irgendwo hinbringt, irgendwo in den Space, wo ich schwerelos vor mich hin schwebe und irgendwelchen Wesen begegne, die man sich nicht ausdenken kann. Das wäre absolut meins. Und ich hoffe sehr, dass dieses stiefmütterlich behandelte Kind des Science-Fiction-Genres in Deutschland eine Kehrtwende erfährt und ich irgendwo in diesen Projekten unterkomme. Das wäre etwas, wo ich echt Lust drauf hätte. Das heißt jetzt nicht, dass das noch nie erzählt wurde, aber das wäre eine Sache, die ich mir gerne anschaue. Irgendwo anders zu sein. Irgendetwas zu erzählen, was der Realität eben nicht entspricht. Und dann in so eine Welt einzutauchen.

CYTE: Ich bin maximal verwirrt und begeistert gleichzeitig. Was bitte ist der Transformer und was steckt dahinter?

FRANZ: Ich habe mit Anfang 20 angefangen, Gedichte zu schreiben und zu überlegen: Was will ich eigentlich von Gedichten? Jedenfalls nicht, was im Deutschunterricht gelehrt wird – nämlich Hochkultur. Ich wollte Gedichte mit Kunst verbinden. Daraus entstand die Idee eines begehbaren Gedichtbandes. Gedichte sind Emotionen und Emotionen sind wie Möbel in deiner Seele. Und genauso wie die Gestaltung eines Raum etwas über dich erzählt, so erzählt auch ein Gedicht etwas über dich. Ich dachte, das könnte ich zusammenbringen und eine Art Raum erschaffen und jedem Gegenstand eine passende Gedichte zuordnen, mit denen du spielen kannst. Ob das jetzt der krisselnde Fernseher ist, der ein Gedicht vorliest, das ich verfilmt habe, sobald du eine Kugel seitlich reinwirfst – wie in einen Flipper, oder der Transformer, der irgendwo in der Ecke steht und auf Knopfdruck ein Gedicht über die Sehnsucht vorträgt – darüber, sich verändern zu wollen und sich in einer völlig anderen Welt zu verlieren. Es gibt inzwischen 15 lustige Maschinen, die meine Kinder später wahrscheinlich verstören und auch faszinieren werden, wenn sie die irgendwann entdecken. Mit Sprache und Inhalten zu spielen, so dass eine Verbindung entsteht, ist, als wenn du dein Paperback im Zug liest. Ich habe in Lyrikkreisen häufig das Gefühl vermittelt bekommen, dass ein gutes Gedicht sich selbst genug ist. Das fand ich immer langweilig, hat mich einfach nicht interessiert. Und ich dachte mir, dann bin ich eben kein Dichter, sondern schreibe Kurztexte mit lyrischem Background und vergesse im besten Fall, dass man in dem Bereich unterwegs ist.

CYTE: Alles, was man nicht in eine Box packen kann, finde ich super.

FRANZ: Ich glaube, du kannst nichts nach Strategie machen in deinem Leben. Und das ist das Leben, das ich für mich gefunden habe. Mit meinem Weg als Kreativer damit umgehen zu können und auch überleben zu können. Als Schauspieler, der auf Projekte wartet – der ja auf das Gusto anderer angewiesen ist – bist du dabei aber auch schnell verletzbar. Ich hatte immer ein Problem damit, nach Dreharbeiten mein kreatives Bedürfnis einfach abzuschalten. Mein Ziel war es immer, wenn ich etwas mache, dann so, dass ich davon überzeugt bin. Es gibt durchaus Sachen, die ich heute fürchterlich finde, die ich mit Anfang 20 gemacht habe – irgendwelche Texte, die ich geschrieben habe, bei denen ich heute denke: Oh Gott, braucht die Welt nicht. Aber zu dem Zeitpunkt war das aus vollster Überzeugung richtig. Eine meiner größten Sehnsüchte ist – trotz dieser Freiberufler-Tätigkeit und verrückten Marktes – in Würde altern zu dürfen. Als Kreativer, der in 40 Jahren im Reinen mit sich ist und dem, was er getan hat. Ich möchte einfach nur im Reinen sein und niemandem Rechenschaft schulden.

CYTE: Wo siehst du dich in 40 Jahren?

FRANZ: Kann ich nicht sagen. Im besten Falle weiterhin nahen Kontakt mit Malerei, mit Schauspielerei und mit kreativen Menschen, denen du begegnest und du denkst, lass uns was zusammen machen, ich weiß nicht was. Aber ich mag diese Energie und wir müssen damit auch was auf die Beine stellen. Und diese Neugier und dieser hoffentlich sich niemals einstellende Zynismus, der einem begegnen kann in diesem Beruf. Das ist doch das Schöne daran, noch mal überrascht zu werden und weiterhin unentdeckte Schätze heben zu können, von denen ich heute noch nichts weiß.

CYTE: Was macht dir Mut? Wovor hast du Angst?

FRANZ: Mut macht mir etwas zu sehen, das mich daran erinnert, nicht aufgeben zu müssen. Was mich daran erinnert, dass sich früher oder später Dinge irgendwie ihren Weg bahnen, die einer Überzeugung folgen, der eine Wahrheit innewohnt. Als Motivation für die dunklen Zeiten – und als Joker. Angst habe ich davor, dass ich irgendwann die Projekte einstellen. Dass es düster wird und du dann in deiner Einraumwohnung sitzt und immer nur die vier gleichen Wände anstarrst. Und du denkst, das ist jetzt das letzte Kapitel. Oder die Zufälle einstellen, die das Licht wieder anmachen in einem Raum, den ich eventuell sonst nicht entdeckt hätte. Das muss gar kein Schloss sein, sondern eher hinterm Ofen eine Geheimtür zu einem Tunnel – und du weißt nicht wohin der führt. Dann stehst du in diesem Raum, und hast das Gefühl, hier war seit 500 Jahren niemand…

CYTE: Auch das ist eigentlich ein Abenteuer.

FRANZ: Wahrscheinlich kann man einfach knallhart drüberschreiben „Abenteurer Dinda“ und das würde ja Vieles treffen, was mich antreibt.

CYTE: Dann steht ja schon mal die Headline für dieses Interview. Letzte Frage: Warum Elvis?

FRANZ: Elvis war meine erste Kassette, die ich im Westen hatte und die ich einfach hoch und runter gehört habe. Und es gibt ein Elvis-Tattoo auf meiner Hüfte, das mich daran erinnert, dass es diese wahnsinnige Geschichte mit diesem wahnsinnigen Kapitel in meinem Leben gab: Wir haben diese Schlüsselszene zu „Teenage Angst“ gedreht, eine Szene, in der sich Opfer und Mitläufer begegnen und einander anvertrauen – und wir wussten nicht, über welchen Dialog wir das lösen sollen. Wir haben dann zufällig festgestellt, dass beide Schauspieler große Fans von Elvis waren und haben beschlossen, uns über sein 68’ Comeback-Konzert zu unterhalten. Dieser Tag war übrigens der Todestag von Elvis Presley. Als die Szene im Kasten war, sind wir auf einem Feld eine rauchen gegangen – mitten in der Pampa. Mir fiel da ein blitzender Gegenstand auf. Also bin ich da hingelaufen, weil ich wissen wollte, was das ist. Und dann hole ich – was ich schon einen unfassbaren Zufall fand – eine Scherbe aus dem Boden, eine blaue Scherbe, ungefähr in der Größe von zwei mal zwei Euro. Und auf dieser blauen Scherbe steht einfach nur KING. Ich fand das so faszinierend und stellvertretend für so viele Dinge in meinem Leben, die mir passiert sind, dass ich dachte, das ist jetzt nicht einfach nur so passiert, sondern was auch immer uns eine Richtung vorgibt, bündelt sich so stark in diesem Zufall und in diesem Moment, dass es mir wichtig war, diese Scherbe zu rahmen und an Tagen zu tragen, an denen ich das Gefühl habe, oh, ich lauf’ mir gerade davon. Dann nehme ich immer diese Scherbe, die ich mir als Amulett hab’ fassen lassen, und erinnere mich an diesen Moment. Ich bin kein Mensch, der große Worte wie Schicksal oder so bemühen will. Weil man sich so schnell in so ein abgedroschenes Phrasen-Geplänkel begibt – aber das Grundgefühl trifft genau das: Es gibt ein Schicksal, es gibt eine Verkettung der Dinge. Und es ist schon genug, wenn man zwischendurch etwas in die Hand bekommt, das einen daran erinnert, dass man auf dem richtigen Weg ist.

CYTE: Hammer Geschichte. Das ist mal ein Schlusswort. Dann sag’ ich offiziell Danke.

FRANZ: Lieber Chris. Ich danke dir.

„King“

Photos+Interview: Christian Ruess

Assistent: Maximillian Mouson +Yasmin Faith Momodu

Styling: Alexandra Heckel@Liganord

Hair+Make-Up: Stefanie Mellin@Ballsaal

Actor: Franz Dinda@ZTA Management