Kinds of Beauty

Schönheit ist ein Paradox, über Zeiten und Menschen hinweg verschieben sich Ideale und auch das Streben nach eben diesen Idealen wird versucht, verworfen, ad Absurdum geführt durch Trends, Ikonen und neue Formen von Ästhetik. Und das ist nur der äußerliche Teil des Begriffs Schönheit, der so viel mehr umfasst: Natur, Momente oder auch ein Lächeln zu richtigen Zeit, das uns schön macht. Über ihren Blick auf Schönheit erzählen Tracy, Joseph, May, Jenna und Charlotte:

Tracy und Joseph: Distanzierte, radikale Eleganz. Was denken sie über Schönheit?

„Schönheit gibt es in jeder Form und es gibt ganz unterschiedliche Formen, Schönheit zu entdecken. So geht es mir jedenfalls, ich entdecke Schönheit in vielen Dingen, die von der Gesellschaft aufgrund von Stereotypen nicht als schön angesehen werden. Wir orientieren uns in erster Linie an der alternativen Szene, früher punkiger, dann mit Goth-Elementen, heute lieben wir den New-Wave-Stil der achtziger Jahre. Wir inszenieren aber Neues daraus, etwas, das zu uns passt. Es geht um Verwandlung, wie bei einem Chamäleon, wir erfinden uns immer wieder neu. Wir freuen uns, wenn Menschen unser Stil gefällt. Das Wichtigste, um schön zu sein, ist aber das Ich, sich selbst zu mögen. Unsere Beauty-Routine ist dabei ganz reduziert, denn wir achten darauf, auch kleine Pausen von der Inszenierung einzulegen. Das schafft eine gesunde Distanz zum Äußeren. Für uns ist die Welt schon schön, wie sie ist. Ästhetisch aber wünschen wir uns die Achtziger zurück. Das wäre schön, wenn sich alle so anziehen würden wie früher.“

Wordgames (Tracy)

Familie: was ich am meisten mag

Einsamkeit: ist manchmal notwendig

Freiheit: das Beste

Geld: notwendig

Kindheit: ich war früher eher eine Einzelgängerin

Angst: Aliens

Soundtrack of my life: Soso

Perfekter Urlaub: ich habe immer Urlaub

Stadt oder Land: Stadt

Letztes Wort: Tracy Sputnik

May: Nachdenkliche, androgyne Klasse. Was bedeutet ihr Schönheit?

„Schönheit hat mit Wahrheit zu tun. Bei mir war es so, dass ich lange für androgyne Arbeit gebucht war als Model, also sowohl Männer- als auch Frauen-Shootings machte. Bei einem meiner Reisen nach New York begegnete ich Honey Dijon, die mich ansah und sagte: „Girl, du solltest anfangen, Hormone zu nehmen.“ Mit dieser Begegnung fand ich meine Wahrheit, sie veränderte mein Leben. Ich konzentrierte mich auf meinen Weg, statt nur aufs Modeln. Nach einem Shooting mit Bruce Weber für Barney’s beschloss ich, aus allen Karteien für Male-Models herauszugehen, obwohl das bedeutete, die meisten meiner Agenturen zu verlassen. Ich kehrte nach Dänemark zurück, begegnete meinem Freund, begann zu studieren ­ inzwischen habe ich einen Abschluss in Kunstgeschichte ­, modele zwar noch, aber bin nun auch Schauspielerin. 2015 war ich als erstes Transgender-Model auf einem Magazin-Cover zu sehen und im Herbst 2018 kommt mein erster Film in Skandinavien in die Kinos, „Wild Witch“. Natürlich spiele ich die Hexe. All das ist passiert, weil ich die Wahrheit erkannte und danach lebte. Sich auf äußerliche Schönheit zu konzentrieren, hilft aber auch. Als ich zurück nach Dänemark kam und viel Zeit bei Ärzten und Behörden verbrachte, arbeitete ich für eine Kosmetikmarke. Hier konnte ich mit unterschiedlichen Ausdrücken, Stilen und Looks experimentieren. Das zeigte mir, wie viel Macht jeder hat zu steuern, wie man von der Umwelt wahrgenommen wird. Weitergedacht bedeutet es, dass, wie wir in die Welt hinaustreten, sie uns auch entgegen kommt. Daher: Schmücke deine Persönlichkeit mit ein bisschen Makeup! Hin und wieder tue ich das auch noch. Ich finde schön an mir, dass ich neugierig bin, ich spüre, dass mich das schön macht, denn meine Umwelt reagiert darauf und ist von mir angezogen. Optisch mag ich am liebsten meine Augen, die viel Neugierde ausdrücken und kraftvoll sind. Dass wir in Zeiten leben, die immer mehr zu einer Akzeptanz und Wertschätzung von Unterschieden führen, macht die Welt schöner.“

Wordgames

Familie: Liebe

Einsamkeit: unvermeidbar, besser ist, damit zu leben als dagegen anzukämpfen

Freiheit: der Song von Ultra Naté „You’re free“

Geld: egal

Kindheit: unser Garten in Argentinien

Angst: ist unnötig

Soundtrack of my life: „Tom’s Diner” von Suzanne Vega DNA remix

Perfekter Urlaub: wilde Tiere und mein Freund

Stadt oder Land: Land

Letztes Wort: glückliche Zufälle

 

Jenna: Ehrliche, verrückte Wärme. Wie sieht sie Schönheit?

„Berufliche geht es bei mir ganz viel ums Äußere, klar, ich bin Friseurmeisterin, und ich liebe, was ich tue. Dabei ist meine Beauty-Routine im Alltag ganz spartanisch: Wimperntusche, Messy-Bun und los. Zu besonderen Anlässen mache ich mich auch mal eine Stunde zurecht, aber das ist die Ausnahme. Das Wichtigste ist, dass das Innere schön ist. Perfektion ist überhaupt nicht erstrebenswert und hat auch nichts mit Schönheit zu tun. Das zeigen mir auch meine Follower. Ich erreiche jeden Tag über meine Videos und Posts sehr viele Menschen. Zuerst war es eine Spielwiese für meine Einfälle und Ideen, ich hatte Spaß daran, meine Kreationen zu zeigen, mich so zu präsentieren, wie ich bin, voller verrückter Gedanken und überhaupt als denkender Mensch, denn ich nehme kein Blatt vor den Mund. Vor vier Jahren dann war mein Leben plötzlich ganz anders, ich habe innerhalb kurzer Zeit sehr wichtige Menschen verloren. Das habe ich auf meinen Kanälen auch thematisiert und gemerkt, dass so viel zurückkommt an Anteilnahme, Zuspruch und Zuneigung. Das war in allem Leid etwas sehr Schönes. Wenn ich könnte, würde ich die Welt retten. Ich gebe viel von meiner Kraft ab, engagiere mich für die DKMS (Deutsche Knochenmarkspenderdatei ; Anm. d. Red.) und bekomme durch das Engagement viel Kraft zurück von Menschen. Um die Welt schöner zu machen, braucht es Rücksicht und Nächstenliebe. Alle sollten viel öfter mal den Rückspiegel verwenden, dafür ist er da. Und wenn es einem mal nicht gut geht, sei es durch Liebeskummer oder andere Sorgen oder auch in Krankheit: Stellt euch ins Bad, nehmt euch eine Stunde oder mehr und macht euch die Haare, schminkt euch, lackiert euch die Nägel, egal was, tut es aus Liebe zu euch und eurem Körper, findet eine Zugang zu euch. Dann geht es euch besser. Und wenn ihr dann nur kurz um die Ecke in den Supermarkt geht und Milch kauft: ihr fühlt euch einfach besser und das wirkt sich auch auf eure Seele aus.“

Wordgames

Familie: ist das Wichtigste und hat größte Priorität für mich

Einsamkeit: ist die Hölle

Freiheit: ist Luxus. Daher bin ich auch selbstständig, um mir diesen Luxus erarbeiten zu können

Geld: beruhigt

Kindheit: chaotisch und unstrukturiert war’s bei mir

Angst: Meine größte Angst habe ich vor Krankheit, nicht nur auf mich selbst bezogen, sondern auch auf die Menschen um mich herum

Soundtrack of my life: Tausende! Aber wenn ich mich auf ein Lied festlegen sollte, wäre es „I’ll be missing you“ von Puff Daddy. Ich glaube nicht, dass ich das einmal nicht mehr schön finden werde

Perfekter Urlaub: Sonne, Strand, Meer und Wärme

Stadt oder Land: ich möchte gern auf dem Land leben

Letztes Wort: Da gibt es zwei „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist“ und „Das Leben ist eine Waage“

 

Charlotte: Natürliche, engagierte Lebensfreude. Was ist Schönheit für sie?

„Schönheit entsteht durch Bewusstsein und Selbstliebe. Und Lebensfreude macht schön, insbesondere dann, wenn sie mit anderen geteilt wird. Von klein auf habe ich getanzt, weil es mich glücklich macht und später auch zum Stressabbau. Ich begann dann, davon Videos zu machen und sie mit anderen zu teilen, nach außen also zu präsentieren, was Lebensfreude für mich ist. Darauf habe ich viele schöne Reaktionen bekommen, die mir zeigten, wie wertvoll es ist, anderen zu zeigen, wie wertvoll es ist, Glücksmomente zu teilen. Ich nehme meine Umwelt bewusst wahr, denn ich bin ein Teil dieser Welt. Wenn ich jemanden sehe, der Hilfe braucht, helfe ich, wenn ich kann. Dieses Bewusstsein zieht noch weitere Kreise. Ganz aktuell mische ich mich engagiert in die politische Debatte gegen Fremdenhass ein, die in Deutschland immer üblere Züge annimmt. Denkt nur an die ganzen Demos, die gegen Migranten gerichtet sind. Ich versuche auch, Bewusstsein zu wecken. Vor der Bundestagswahl 2017 habe ich das Programm der AFD gründlich analysiert und war erschüttert ob der Inhaltsleere und bedrohlichen Parolen. Wir alle können gemeinsam dazu beitragen, die Welt schöner zu machen. Indem wir hinsehen, uns positionieren und vor allem, wenn wir uns selbst lieben und das nach außen tragen. Und Lächeln hilft auch.“

Wordgames

Familie: Zusammenhalt

Einsamkeit: traurig

Freiheit: das beste

Geld: macht einen nicht glücklich

Kindheit: Astrid Lindgren

Angst: vor Giftschlangen

Soundtrack of my life: Filmmusik „303“

Perfekter Urlaub: nackt am Strand mit viel Obst und niemand stört einen

Stadt oder Land: Sylt und Plakias

Letztes Wort: hat immer der Lehrer

 

CREDITS

Text: Lenya Meislahn #l_meislahn

Photograph: Stephan Ziehen #stephanziehen

Hair: Jesus Rodriguez for Goldwell #jesus_rodriguet_hair #goldwell.de

Make-Up: Frauke Bergemann@Kult Artists #fraukebergemann #kultartists

Model: Jenny Miller #_jenna.miller_hair

Model: May Simon #itmaybemay

Model: Charlotte Weise #charlotte_weise

Models: Tracy + Joseph Sputnik #tracy_sputnik

Retouching: Elektronische Schönheit #elektronischeschoenheit