Immer der Zukunft entgegen

 

Die lithographische Werkstatt idem in Paris ist eine Zeitmaschine.

Man wird mitgenommen auf eine Reise in die Vergangenheit des Drucks.

Räume, deren Atmosphäre einen sofort in ihren Bann ziehen, sprechen aber

nicht nur von früher – die Zukunft hat auch hier gerade erst begonnen.

 

 

idem (lateinisch idem „derselbe, dasselbe“)

 

Energie. Licht! Steine. Seele. Zeit-Reise. Dreck. Tinte. Platten. Walzen. Bilder. Farben. Schwarz-Weiß. Schweiß. Schleifgeräusche. Staub. Lack. Ehrfurcht. Ruhe. Akiko Otsu hat eingeladen ins idem. Ihr Mann ist der Chef des Maison Sota (s. Seite XX), an dessen Wänden man Akikos Kunst findet.

Das idem ist die älteste Lithographie-Werkstatt Frankreichs wenn nicht Europas.

Das Gebäude im Montparnasse und damit die Druckerei von Eugène Dufrénoy entstand 1881. Heute noch steht sein Name über der Toreinfahrt.

In den 1930ern übernommen von Monsieur Michard, spezialisiert auf geographische Drucke. 1976 schließlich nahm sich Fernand Mourlot der Werkstätten an. Er und seine Brüder hatten schon in den Jahren zwischen den zwei großen Kriegen die moderne Litographie zusammen mit den Künstlern ihrer Zeit – Matisse, Picasso, Miro, Dubuffet, Braque, Chagall, Giacometti, Léger, Cocteau etc. – begründet.

 

…die größte nennt David Lynch Moby Dick

 

Sohn Jaques Mourlot führte die Werkstätten noch bis 1997, danach übernahm die „Gesellschaft Mourlot“ die Geschäfte und benannte die Druckerei um in idem.

Zwei Etagen, gesamt 1400 qm, lichtdurchflutet dank der Glasdecke. Sechs große Druckmaschinen – die größte nennt David Lynch Moby Dick – von Voirin et Marinoni von 1800, früher mit Dampfmaschinen über Antriebsriemen betrieben und heute noch werden die großen Kalkplatten mit Hilfe von Flaschenzügen durch den Raum  gehoben. Die größten Platten messen 120×80 cm und es braucht drei Männer, um auf der Moby Dick die vielfarbigen Drucke zu produzieren. Die alten Treppen mit zierlichen Geländern, die Wände gespickt mit historischen Drucken, deren Farben noch so kräftig sind wie bei ihrer Entstehung, dank der Konzentration an Pigmenten und hochwertigem Papier, das nicht vergilbt, trotz direkter Sonneneinstrahlung. Oben, am Büro des Meisters vorbei finden sich weitere Handpressen, Zeichenstudios und ein historisches Photolabor mit Dunkelkammer.

Man fühlt sich in eine unwirkliche Zeit zurück versetzt, atmet die Luft von Picasso und Matisse, steht in Ehrfurcht erstarrt vor den meterhohen Regalen voller Platten, die Kunstwerke aber auch alltägliche Vorlagen für Visitenkarten, Briefpapier oder Menükarten der Brasserien abbilden. Die wertvollsten haben eine tiefe Furche,  willentlich zerstört durch grobes Werkzeug, damit keine Nachdrucke, keine Kopien produziert werden können – eine Erhaltene von Picasso liegt im Safe.

 

Bekannte wie David Lynch, Christian Delacroix aber auch junge Künstler werden gefördert

 

Und immer noch und immer wieder kommen Künstler aus der ganzen Welt, um bei idem zu arbeiten, mit Hilfe des jungen Teams die Ideen und krausen Gedanken umzusetzen, um zu lernen, was der Stein mit der Farbe macht, wie welches Papier reagiert, die Geduld und den Frieden walten zu lassen, den der lange Prozess erfordert – raus aus der Welt der schnellen, seelenlosen Digitalisierung. Man betritt idem und wird ruhig, von innen.

Direkt nebenan hat man das Glück, Werke von jetztzeitigen Künstlern, die bei idem entstanden sind, zu seinem Eigen machen zu können. In der Galerie item éditions. Patrice Forest, ein leiser, sehr kluger Mann, führt aus der Werkstatt direkt in die lichte Galerie und zeigt bedächtig all die Drucke, aufbewahrt in marmorierten Mappen. Darunter David Lynch, Christian Delacroix, Richard Serra und viele weitere schon mal gehörte Namen, aber eben auch und das schreiben sich idem und item éditions verdient auf die Fahnen, viele junge Künstler werden hier gefördert.

Ob idem oder item éditions, eine Reise ins Montparnasse sei jedem angeraten. Man verlässt diese Räume beseelt, es wummert in der Nähe des Herzens.

 

 

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IDEM / ITEM

Text: Henrike heick #lousalo

Photograph: Stephan Ziehen #stephanziehen