Das Haar in der Suppe – Le cheveu dans la soupe

Christophe Martinez macht was mit Haaren. Er macht damit Kunst. Kunst, die irritiert, zuweilen verstört und dabei wahnsinnig faszinierend ist

Verkaufen? Nein. Es geht nicht ums Verkaufen. Es geht ums Machen. Es steckt in ihm drin. Er kann nicht anders. Seit er Kind ist. Malen, zeichnen, Skulpturen erschaffen. Schon immer ist das so. Friseur ist er „nur“, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Und das geht gut. Er frisiert die Wichtigen und Schönen. Bei Modeshootings, im Produktdesign, bei Auftritten. Er macht die Haare. Und dann macht er Kunst. Mit Haaren. Mit echten Haaren, von überall her. Auch aus der Familie. Überhaupt, Familie ist wichtig. Spielt eine große Rolle. Auch in seiner Kunst. Das Herz, aus Haaren seiner Frau und seines Sohnes. Der Stuhl, der unter Haaren versteckt ist, sein Kinderstuhl, den sein Großvater für ihn gemacht hat. Die Haare, aus der die Flamme der Kerze ist, die Haare seines verstorbenen Vaters. Er hat die Kerze segnen lassen. Es ist ein Kunstwerk. Das alles sind Kunstwerke, sie sind einzigartig. Nicht reproduzierbar. Nicht für ihn, denn in ihnen steckt die Seele derer, die das Haar mal an sich hatten, das mit ihrer DNA verknüpft ist. Auf immer.

 

… jeder Schopf, jedes Haar ist Inspiration

 

Haare vergehen nicht. Haare bleiben über Millionen von Jahren. Sie verlieren nicht ihre Farbe, einmal abgeschnitten. Sie verlieren nicht ihre Form. Lockig bleibt lockig. Glatt bleibt glatt. In den Haaren steckt die DNA des Menschen, ihr Leben lässt sich bis zu gewissen Graden daraus ableiten – auch das eines Tieres, aber Tierhaare verarbeitet Christophe Martinez nicht, nicht wie Meret Oppenheim.

Inspiration, woher? Überall, jeden Tag, immer. Auf der Straße, in Magazinen, in der Metro, das eigene Atelier … jeder Schopf, jedes Haar ist Inspiration. Haare sind Leben. Haar vergeht nicht. Seine Kunst vergeht nicht. Sie ist immer da. Wird immer da sein. Und das auf eine vollkommen unprätentiöse Art. Und er ist der Einzige seiner Art. Niemand sonst macht Kunst aus Haaren. Nicht in dieser Konsequenz.

Der Anblick seiner Werke erregen einen Reiz. Sie irritieren, ekeln, wühlen auf, berühren. Sie machen etwas mit dem Betrachter. Gutes? Ist es morbid? Bizarr? Was immer es ist, was immer es macht, es reizt und lässt den Blick verharren und die Worte verstummen. Es wummert in der Brust.

 

Word Games

Schere – Schnitt

Glatze – ich

Erfolg – Zufriedenheit

Atelier – Inspiration

Leben – L´amour

Tod – La vie

Ewigkeit – Ewigkeit

Suppe – mag ich nicht

Geld – die Frage mag ich nicht

 

Text: Henrike Heick Photographer: Stephan Ziehen