Noma ist das bekannteste und einflussreichste Restaurant der Welt.
Vor ein paar Wochen verkündete der Küchenchef und Mitinhaber Rene Redzipi,
er werde das Restaurant Ende 2024 schließen.
Es ging ein Aufschrei durch die Foodie-Welt und seine Begründung wurde und wird viel diskutiert.

„In der Vergangenheit gab er bereits zu, es brauche immense Arbeitsstunden, um ein Angebot in Noma-Qualität zu produzieren. Diese gerecht zu entlohnen sei fast unmöglich, wenn man am Ende ein Produkt zu Preisen verkaufen wolle, die noch annähernd realistisch seien. Und das ist relativ: Für einen Restaurantbesuch im Noma muss man aktuell mindestens 500 Euro zahlen. Fine Dining sei nicht mehr machbar, sagte Redzepi der »New York Times«. »Finanziell, emotional, als Arbeitgeber und als Mensch – es funktioniert einfach nicht.« (Quelle: Spiegel online)

Zur Realität gehört auch, dass er fast die Hälfte seiner Mitarbeiter – immerhin an die 100 Personen – gar nicht, weil unbezahltes Praktikum oder nur schlecht bezahlen kann, um überhaupt wirtschaftlich zu arbeiten. Es scheint unmoralisch in dieser Welt, zu diesen Bedingungen ein Restaurant auf diesem Niveau zu betreiben, sei es auch das beste der Welt.

Dieses Ungleichgewicht, diese Verhältnisse lassen sich, fast alle, auf die Situation der meisten Designhäuser übertragen. Eine Heerschar an unbezahlten Praktikanten, schlecht bezahlten Jung-Designern, Nähern etc. halten diese Häuser mit ihrer Kreativität, Hingabe und Liebe zur Schönheit am Leben. Sie kommen freiwillig, um dabei zu sein, Teil des Kunstwerks zu sein. Sie investieren ihr Können, schlaflose Nächte und Nerven, um irgendwann den Namen des großen Meisters in ihrem Lebenslauf zu haben. Sie werden angeschrien, gedemütigt und respektlos behandelt von arroganten Designern, Stylisten und Finanziers. Jeder tritt weiter nach unten.

Da kaum noch ein Haus nicht mehr überleben kann ohne unter dem Dach eines riesigen Luxuskonzerns eingezogen (worden) zu sein (warum eigentlich nicht?) gibt es für jeden im Gefüge immer eine Instanz darüber. Selbst die federführenden Designer stehen am Ende unter der Knute der Arnaults und Pinaults dieser Welt. Nach sieben fetten Jahren gingen die Zahlen von Alessandro Micheles Gucci nach unten, nachdem man ihn und sein Team jahrelang wie ein Zitrone ausgepresst hat, war er auf einmal weg vom Fenster, eine nichts vergebende Maschinerie lies ihn sofort fallen. Einen Durchhänger darf man sich nicht leisten. Es gibt ja immer wieder einen neuen kreativen Kopf, der bereit ist, sich bis zum Umfallen ausbeuten zu lassen. Wobei „ausbeuten“ in diesem Zusammenhang relativ ist, ein Chefdesigner eines großes Modehauses kann eine bis zu sechsstellige Summe monatlich verdienen, was im Vergleich zu den anderen in einem Design-Team natürlich viel ist. Aber am Ende gibt es nur eine Person die von dem Talent von vielen Unbezahlten und schlecht Bezahlten profitiert: genau, die Arnaults und Pinaults dieser Welt. So schlimm, so normal. War ja schon immer so und ist ja offenbar in der Haute Cuisine genauso. Der Unterschied ist, dass Monsieur Arnault letztes Jahr zum reichsten Mann der Welt wurde. Und da wird die Sache für mich unschön. Ein Restaurant, das über € 500.- pro Person verlangt und nur deshalb halbwegs wirtschaftlich über die Runden kommt, weil ein Teil der Mitarbeiter nicht oder schlecht bezahlt wird, ist schon schlimm. Aber ich gehe davon aus, dass Rene Redzepi kein Multi-Milliardär ist, sondern bestenfalls Millionär – aber auch das bezweifle ich.
Dass man durch ein System der Fan-Begehrlichkeit eine Mitarbeiterriege gefunden hat, die umsonst für einen arbeitet und einen damit zum Multi-Milliardär gemacht hat, ist entweder genial oder pervers – je nach Sichtweise.
Auch für Cyte arbeiten alle umsonst, auch hier geht es nur ums Dabei-Sein, an etwas Tollem mitzuarbeiten. Der Unterschied: hier verdient keiner was, auch ich nicht. Aber wenn dieses Heft irgendwann mal ins Plus kommt, werden alle die mitmachen auch bezahlt.
Das scheint in der Welt „da oben“ überhaupt nicht denkbar zu sein.
Ich weiß, alle diese Erkenntnisse sind überhaupt nicht neu und die meisten Dinge waren schon immer so oder ähnlich (was es nicht besser macht), aber die Dimensionen haben sich total verschoben. Dieses gierige Wachsen um jeden Preis, dieses atemlose Rausschleudern von einer Kollektion nach der anderen, bloß nicht den Anschluss verpassen, jeder Trend muss bedient werden, niemals nachlassen, modern, witzig, chic, sexy, alles, alles, schneller, schneller …für was???
Damit mit wir Kreative ein paar reiche Arschlöcher chic einkleiden etc.???
All dies ist total unmoralisch und menschenverachtend und vor allen Dingen überhaupt nicht mehr zeitgemäß. Die kreative Elite dieser Welt hofiert die Geld-Elite,
um ein paar finanzielle Streicheleinheiten von Ignoranten zu bekommen.
Es gefällt mir nicht! 
Aber wir lassen uns immer wieder mit unserem Glauben an die Notwendigkeit für Schönheit in dieser Welt ködern und deshalb machen wir weiter, auch ohne monetären Lohn.

Text: Stephan Ziehen