Barbara Lüddes klare Widersprüche.

Eine Annäherung an eine Künstlerin.

11.07.2021

Es gibt Dinge die stehen fest, die ändern sich nicht so bald. Das gibt Halt. Ab und an ist es gut solche Dinge zu haben, zur Vergewisserung dass die Welt sich nicht im nächsten Moment auflöst. Die Elbe fliesst durch Hamburg. Ich kann es sehen, von oben, aus dem Flugzeug nach Palma de Mallorca. Es ist mein erster Flug seit Beginn der Pandemie. Vorfreude spüre ich kaum – ich fühle mich unfrei. Dank meiner Augenlaser Operation vor zwei Jahren, sehe ich die Elbe und den Hafen gestochen scharf. Dieses Bild kommt mir unbekannt und doch vertraut vor. Mit der Operation vor zwei Jahren hat sich mein Leben geändert und ich nehme die Welt anders wahr. Es ist nicht mehr die gleiche Wahrnehmung wie zuvor. Manche Dinge ändern sich.

Gestern war das Shooting mit Ralph. Es hat mir überraschenderweise Spaß gemacht. Seine Professionalität war mir ein Vergnügen. Bin ich spießig geworden? Ich glaube oder hoffe den Höchststand meiner potentiellen Spießigkeit bereits erreicht zu haben. Schwindet mit zunehmendem Druck und Verantwortung das Kind in einem? Wie kann ich es mir bewahren? Meine rhetorischen Fragen kommen mir spießig vor.

Früher dachte ich immer, man muss nur wissen was man gut kann und was nicht. Mittlerweile denke ich, dass man die Dinge erlernen kann, die man erlernen mag. Eine Frage des Interesses, der Zeit und Energie … und des Geldes. Alles Privilegien.

Ich lese in einem Buch einer Freundin. Wondering Wandering Woman. Sie beschreibt eine Reise in die USA und den Besuch bei ihrem Onkel und ihrer Tante in L.A. Sie sitzen am Tisch und Maxi erzählt von ihren Projekten und Erfolgen als Gestalterin, hauptsächlich um die unangenehme Stille zu durchbrechen. Ihr Onkel hört wortlos zu, bis er schließlich zwei Sätze von sich gibt: „You know you get these projects because you‘re sexy –“. Schmunzeln auf seinen Lippen: “Your boss just likes looking at you.” Bäm. Sofortiges Schamgefühl stellt sich ein, obwohl der Fehler nicht bei einem selbst liegt. Erinnerungen kommen in mir hoch. Ähnliche Erlebnisse und Gefühle – deren Auswirkungen ich bis heute spüre.

16.07.2021

Urlaub war schön. Mein Flug geht von Palma mit Umstieg in Wien nach Bukarest. Ankunft in Bukarest 18.00 bei 34° Celsius. Aus dem Flughafengebäude treten ist wie gegen eine heiße Mauer laufen. Ich steige bei der ersten Taxifahrerin wieder aus. Der Preis kommt mir zu hoch vor, obwohl er im Vergleich zu Deutschland günstig ist. Nächster Taxifahrer überzeugt mich und nimmt mich mit. Wir versuchen uns zu unterhalten. Er mag Berlin und hält an der Tankstelle um Gas zu tanken. Ich fühle mich etwas unsicher und deswegen dumm zugleich. Er lässt mich an der Bulevardul Regina Elisabeta aussteigen und erklärt mir warum ich statt 80 Lei nun doch 145 zahlen muss. Traffic. Die Verständigung fällt mir nach circa 10 Stunden Reisezeit schwer und er behält das Wechselgeld. Regina Elisabeta a României wurde 1881 Königin von Rumänien. Unsere AirBnB ist direkt im ersten Bezirk. Eine breite und laute Straße – ich werde herzlich empfangen.

18.07.2021

Zweiter Tag Bukarest. Hätte Schlaf bitter nötig. Gestern gab es ein Willkommens-Dinner in einem Restaurant mit rumänischer Küche, Hanul lui Manuc – Gasthof des Manuc. Gelegen in der feierlustigen Altstadt und gegenüber der Biserica Buna Vestire, einer othodoxen Kirche in der der Priester gerade das Messopfer in flüssiger Form verteilte. Zumindest sah es aus der Ferne so aus. Ist Corona der Grund dass dies draußen geschieht? An einer langen Tafel im Innenhof des Gasthauses mit Wasserbesprenkelung von oben treffen 10 Künstlerinnen und zwei Galeristinnen zum ersten Mal aufeinander. Wir reden inspiriert und aufgeregt auf Englisch, Deutsch und Rumänisch durcheinander. Vibrant energy. Die Stimmung ist gut und bei gefühlten 38 Grad Celius und einem traditionellen Pflaumenschnaps wird jedes Eis gebrochen. Ich habe mir das Rezept für den Eggplant Salad geben lassen.

19.07.2021

Die Stadt ist wunderschön und ich spüre eine gewissen (N)ostalgie in mir hochkommen. Die Kombination aus kommunistischen Bauwerken und Art Deco lässt mich an meine Kindheit in der Nachwendezeit von Weimar denken. Es kommt mir retrospektiv wie ein Paradies vor, der Freiraum den wir damals hatten, die Nachbarschaftlichkeit mit den anliegenden besetzten Häusern und die Feste mit Bier und Pizza im Innenhof. Armut und Wohlstand liegen in Bukarest direkt nebeneinander. Kommunismus trifft auf Monarchie. Zwei gegensätzliche Systeme mit mindestens einem gemeinsamen Faktor: Unfreiheit. Bei einem Spaziergang durch die Stadt beeindruckt mich die Vielseitigkeit der Architektur, die kleine Müllhalde neben der prunkvoll bemalten Kirche vor dem sozialistischen Hochhaus. Daneben ein kleines leerstehendes Gebäude mit kaputten Fenstern und ein Innenhof mit einem flourierenden Restaurant. Diese Gegensätze würden für mich ausreichen um nach hierher zu ziehen. Aber da sind sie wieder, die Privilegien und so komme ich mir mit iPhone und Basecap unglaublich touristisch vor und flüchte in den kühlenden Schatten unserer Wohnung.

Gestern waren wir auf einem riesigen Markt. Die männlichen Rumänen waren shaky mit mir und blieben an meinen Tattoos hängen. Wer kann es ihnen verübeln? Ich habe mir meine Füße mit einem Gartenschlauch wässern lassen.

Ostzonensuppenwüfelmachenkrebs – Von Haus Aus Allein

Lässt mich an die Zeit in der ich in Leipzig gelebt habe denken. Circa 2008/09. Altbau mit Ofenheizung und einmal die Woche Post austragen. 180 Euro Miete für ein WG Zimmer. Nebenbei Plakate für Screamo Konzerte zeichnen.

Östro 430 – S Bahn

Als Sinnbild für die Zeit, ganze 5 Jahre, in der Jot und ich an dem Buchprojekt „Our Piece of Punk“ gearbeitet haben. Der Song ist für mich Empowering pur. Rumpelnder Punk aus den 80ern.

Moments In Love – The Art Of Noise

Im gleichen Jahr veröffentlicht wie ich geboren. 1985. Erinnert mich an meine Jugend in Weimar. Der Song ist für mich wie ein ganz früher Vorreiter des Trip Hops, dem ich in meiner Jugend in den 2000ern verfallen war. Der Song ist endlos, wie die Sehnsucht nach der Jugend. Hehe

Caramelo – Chantre

Cloud Rap. „Das Leben hat uns gesegnet, sind trotzdem suicidal.“ Der Song ist immer wieder in meine Kunst eingeflossen. Caramelo umschreibt auf eine recht simple Weise in melancholischer Stimmung um was es in meiner Kunst geht. Sadness im Kapitalismus, Drogenkonsum etc, zusätzlich ist er Teil meiner Masterarbeit „Sad Money Toys“

Rae Sremmurd – No Type

Ha, dieser Song symbolisiert für mich die Zeit nach meinem Abschluss, Sommer 2018 in Italien und ein bisher unbekanntes Gefühl der Unabhängigkeit und dem Gefühl nun endlich meinen eigenen Weg verfolgen zu können

Life Is A Dance – Nahid Akhtar, Mehnaz

Steht für meine neue Positivität seit 2019, bittersüß, den Text auf pakistanisch verstehe ich leider nicht

I Go To Sleep – Anika

My never ending und mich immer wieder einholende Melancholie. Cover von den Kinks.

 

 

Bild 1 Palms – 2018, Tusche auf Papier, 65 x 50 cm

Bild 2 Betty, Rostock 1992 – 2018, Tusche auf Papier, 16,5 x 12 cm

Bild 3 Lost Connection – 2021, Tusche auf Papier, 67,5 x 52 cm

 

Photos: Ralph Baiker