Artist Talk – Hamburg, Große Freiheit, 15. Juli 2021,21.00 Uhr

Stella Fellert und Amin Baahmed  

S: Du warst schon mal auf der Reeperbahn, oder?

A: Ich war schon mal auf der Reeperbahn, aber diese Ecke kenne ich auf jeden Fall nicht. Ich hab auch gerade da schon rausgeguckt und es sagt mir ehrlich gesagt nichts. Es leuchtet halt alles und das ist es was die Reeperbahn für mich ausmacht.

Und Puffs …

S: (lacht) Also, wenn Du das nicht kennst, dann hast Du auf jeden Fall was verpasst. Die Große Freiheit und so.

A: Was macht die Reeperbahn für Dich aus, außer dem was ich gerade gesagt habe?

S: Ich glaube, der Club die „Große Freiheit 36“.

A: Was ist da los?

S: Da gibt es jeden Donnerstag Salsa und Bachata und da habe ich sehr, sehr viele Nächte vor Corona verbracht.

A: Salsa kann ich auch ein bisschen, aber nur so auf „möchte-gern“. Nur ein paar Schritte. Hast du das richtig gelernt in der Tanzschule? So, mit Partner?

S: Ich tanz seit dem ich drei bin. Ich hab damals mit Ballett angefangen und dann

auch 3 Jahre bei John Neumeier in der Staatsoper getanzt. Irgendwann habe ich dann damit aufgehört und eine Pause gemacht.

A: Das mit Ballett sieht man auch bei Dir, Du stehst immer so (nimmt eine Ballett Pose ein)

S: Ich nehme das mal als Kompliment. (lacht)

A: Ja!

S: Und jetzt mache ich halt Paartanz, Standard, Salsa und Latein.

A: Ich bin mehr so auf individuelle Tanzstile fokussiert. Paartanz habe ich eigentlich

noch nie so wirklich gemacht – außer in der Schule – Leuten auf die Füße treten.

Und was noch so dazu gehört, aber weiter als auf die Füße treten, habe ich es nie gebracht. Ich hab da so meinen Freiheitstrieb, deshalb mag ich es lieber individuell. Das ist so mein Freiraum wo ich mich nicht fügen muss, aber ich denke, wenn zwei so gefühlmäßig auf der selben Ebene sind, ist das bestimmt sehr nice. Vielleicht wäre das auch was für mich, wenn ich älter bin und eine feste Partnerin habe, lohnt sich das vielleicht.

S: Und was ist für Dich so Individualtanz? Oder was tanzt Du – in welche Richtung

geht das?

A: Also ich tanze primär Breaking und Contemporary – also ich nenn’s Breaking,

das kannst Du Dir auch gleich angewöhnen, der Szene-interne Name für Break-dance ist Breaking.

S: Also, der Szene-Slang.

A: Das ist nicht der Szene-Slang, das ist der kulturell eigene Name für diese Kunstform. Also Break-Dance wurde von den Medien übernommen, die über uns publiziert haben, aber wir aus der Szene und wie es auch entstanden ist, nennen es Breaking bzw. B-Boying, aber das ist zu patriarchalisch und deshalb feiere ich Breaking mehr. Also merk Dir einfach Breaking – B-Boying ganz weit zur Seite und Break-Dance auch! Wenn Du also einen Tänzer aus dieser Szene triffst und Du sprichst über Breaking, dann wirst Du sofort respektiert.

S: Wie lange tanzt Du schon?

A: Breaking sieben Jahre, mit 14 habe ich angefangen, ich tune jetzt gerade in das achte Jahr und Contemporary mache ich noch gar nicht so lange. Erst seit einem Jahr. Aber ich bin da jetzt schon relativ versiert, weil ich die ganzen artistischen Bewegungen, die teilweise auch von Ballett inspiriert wurden, schon innehabe.

Und deshalb lässt sich das ganz gut verbinden mit dem Breaking.

„Und dann ging’s los und ich hab seitdem nicht mehr aufgehört.“

S: Und wie bist du dazu gekommen?

A: Zum Breaking oder zum Tanzen allgemein?

S: Zum Tanzen!

A: Ich weiß nicht, ob das zu klischeehaft ist, aber ich hab den Film „Step Up 3“ geguckt …

S: Uuuuuh

A: …und da gab es eine Schlüsselszene, wo im Club ein Typ alle wegdrängt und dann eine Drehung ohne Hände macht und ich war so hin und weg von dieser Ästhetik, dieser Bewegung, die er gemacht hat, sie nennt sich in der deutschen Übersetzung „Mixer“. Du machst Dich ganz klein und dann machst Du die Schraube auf und wieder zu – mit so einer Pump-Bewegung. Und irgendwie fliegt man dann so magisch über den Boden – ich hab das überhaupt nicht verstanden, aber ich fand es so beeindruckend, dass ich danach unbedingt einen Tanzkurs belegen wollte. Den habe ich dann mit meiner Mutter damals gesucht – mit 14 halt. Wir haben überall im Internet gesucht, aber nichts gefunden und dann aufgegeben. Letztlich sollte ich dann bei dem Tanzkurs – wo ich den anderen nur auf den Füssen rumgetreten bin – am Ende so eine eigene Choreographie aufführen. Ich bin dann mit so „möchte-gern“ Breakdance Moves auf dem Rücken rumgehüpft, was so andere Mädchen aus meiner Klasse dann als Breakdance identifiziert haben. Und die haben Hiphop getanzt. Und der Freund, der Tanzlehrerin hatte gerade einen Breakdance-Kurs eröffnet und so bin ich dann doch noch dazu gekommen, obwohl ich eigentlich schon aufgegeben hatte …das ist echt ein Glücksfall gewesen. Und dann ging’s los und ich hab seitdem nicht mehr aufgehört.

S: Kannst Du Dir vorstellen das nachher auch beruflich zu machen mit dem Tanzen?

A: Auf jeden Fall! Ich studiere ja jetzt, aber es wäre ein Traum von mir eine Zeit lang nur vom Künstlertum zu leben. Kompromisslos nur vom Tanzen und den anderen Kunstformen, die ich so betreibe, zu leben. Mal sehen wie weit man es damit bringen kann.

S: Nimmst Du auch an so Wettbewerben teil?

A: Du meinst die sogenannten „Battles“ – ehrlich gesagt ein paar Meter weiter da vorne, im Mojo Club, gibt es jedes Jahr ein ziemlich cooles Event, das nennt sich „Enter the Circle“ und wird von Hamburger Locals organisiert und da bin ich seit meiner Anfängerzeit jedes mal gewesen. Das ist eine coole Erfahrung. „Battles“ ist eigentlich das Leitmotiv dieser ganzen Kultur. Dadurch, dass das so kompetitiv ist und wir so symbolische Kämpfe ausführen, entsteht ja überhaupt erst die Ambition immer besser zu werden, weil man sich ja immer misst. Das ist auch nochmal anders zum Paar-Tanz, es ist in erster Linie eine Kunstform, das präg ich, das prägen wir. Aber es ist auch ein sportlicher Aspekt da, weil wir uns ja auch messen. Bei „Battles“ bin ich halt mit „Indigo“ unterwegs, das ist meine Crew, mit der ich in der ganzen Welt toure. Jetzt gerade mehr in Deutschland, aber wir sind auch international unterwegs und das macht auf jeden Fall Bock! Tourst Du selber auch mit Tanz rum oder ist das jetzt mehr in Clubs tanzen, wie in der „Großen Freiheit 36“?

„…ich war da immer sehr vielseitig und wollte mich nie auf eine Sache festlegen.“

S: Also, ich war nie so der Wettkampf-Typ. Ich hab ja sehr viel gemacht, nicht nur getanzt, sondern ich spiel auch Klavier, ich hab auch Geige gespielt im Orchester – ich war da immer sehr vielseitig und wollte mich nie auf eine Sache festlegen.

A: Zwischen welchen Instrumenten bist so gependelt?

S: Inzwischen nur noch zwischen Geige und Klavier!

A: Mehr nicht?!

S: Es hat sich so im Laufe der Jahre raus kristallisiert, was ich so am liebsten mache

und so schied dann eins nach dem anderen aus. Erst habe ich mit Geige aufgehört, dann mit Leichtathletik – ich hab halt auch einfach so sehr viel rumprobiert.

A: Und wo bist Du jetzt geblieben? Klavier spielen?! Leichtathletik hast Du eingestellt, Geige auch, also Klavier machst Du noch und Partnertanz, oder?

S: Partnertanz eher so hobbymäßig, weil es mir einfach super viel Spaß bringt und für mich Tanzen ein großes Gefühl von Freiheit ist – das kannst Du bestimmt gut nachvollziehen als Tänzer! Ja, Klavierspielen, ich hab auch nie gerne alleine vor Publikum gespielt, aber das hat sich dann einfach mit den Jahren in der Schulzeit entwickelt, das ich auch in einer großen Schulband mitgespielt habe – wir waren 30 Leute! Und wir haben dann „just for fun“ an so einem Wettbewerb teilgenommen und tatsächlich den zweiten Platz gemacht.

A: Nice!

S: Wir haben das dann weiter verfolgt, sind von der Schule aus auf Musikreise gefahren, aber mittlerweile sind wir nur 6 von 30.

A: In welche Musikrichtung geht das so?

S: Wir covern viele Songs.

A: …Justin Bieber, oder so…?

S: Nein, wir versuchen uns so in Richtung Jazz zu bewegen, eher Amy Winehouse…

A: Nice…

S: Wir haben auch mal mit dem Landesjugend Jazz Orchester kooperiert.

A: Krass!

S: Und mit denen haben z.B. was von Duke Ellington gespielt. Aber mein größtes Highlight mit der Band war definitiv unser Auftritt in der Elbphilharmonie.

A: Klar, das ist natürlich eine krasse Bühne, die einem da geboten wird. Hast Du Dir das auch so ausgemalt, dass Du mal auf so einer Bühne spielen wollen würdest? Oder kam das einfach so?

S: Also ich stand eigentlich von klein auf immer auf der Bühne. Ich hatte früher auch Theaterunterricht.

A: Ist das auch noch so ein Ziel, was Du weiter verfolgen würdest, oder hast Du die Schauspielerei an den Nagel gehängt?

S: Schauspielern könnte ich mir theoretisch irgendwann mal vorstellen!

„ …Ziele geben dem Leben auch Inhalt! Wenn Du einfach nur so herumschwirrst, dann kommst Du halt auch zu nix!“

A: Was ist Deine größte Hoffnung in die Zukunft?

S: Was sind denn deine größten Hoffnungen?

A: Es gibt da schon bestimmte Ziele, die man beim Breaking erreichen kann, besonders da es auch so wettbewerbsmäßig ist. Zwei Dinge sind da für mich wichtig. Einmal das Redbull BC One, also das von Red Bull gesponserte Breaking Championship, das ist bis dato das größte Event in diesem Bereich. Und dann gibt es noch das Battle of the year, das ist in Gruppen, da entscheidet sich, wer die beste Gruppe des Jahres wird. Das war etwas zu dem ich aufgeschaut habe, als ich mit dem Breaking begonnen habe. Da habe ich immer die Videos davon geschaut und das war für mich jeden Fall das Größte. Aber jetzt kommt noch was ganz Neues dazu, weil Breaking zusammen mit Skaten und Surfen olympisch wird und damit hat sich jetzt nochmal ein ganz anderer Horizont eröffnet. Da bin ich auf jeden Fall am Ball und ich trainiere darauf hin um in den Bundes-Kader zu kommen, um dann Deutschland zu repräsentieren. Aber das hat die grundsätzliche Organisations-Struktur komplett verändert. An der Spitze Deutschlands zu sein auf kompetitiver Ebene, wäre schon ein Ziel! Und Contemporary ist etwas non-kompetitives, da gibt es keine konkrete Ziele, das macht es einfach nur Spaß im Moment – alles von innen heraus zu geben!

S: Süß! Also, Du hast sehr hoch gesteckte Ziele!

A: Ja, aber Ziele geben dem Leben auch Inhalt! Wenn Du einfach nur so herumschwirrst, dann kommst Du halt auch zu nix! Das ist zumindest meine Meinung. Ich bin jetzt nicht jemand der Sachen nur halbherzig machet. Ich bin ein Mensch von „ganz oder gar nicht“. Entweder ich gebe halt alles rein oder ich hab überhaupt keine Lust darauf, ich exzelliere halt gerne in den Sachen, die ich mache.

S: Also, ich bin das absolute Gegenteil von Dir!

A: Just for fun und so lange es easy ist, macht es Dir Spaß!? Und so bald Druck kommt …

„…so kann ich beim freien Tanzen, vor allem beim Salsa, der Kreativität vollkommen freien Lauf lassen.“

S: Es darf gerne schwer sein, damit habe ich kein Problem, weil irgendwo sucht man ja auch immer die Herausforderung. Aber ich konnte mich nie auf nur eine Sache festlegen, weil ich immer in mehreren Sachen die Erfüllung gefunden habe. Ich muss aber auch sagen, mir wird sehr schnell langweilig … Das ich jetzt quasi nur noch zwei Sachen habe, das Klavier spielen und das Tanzen, ist schon gut.

A: Ok, deshalb mache ich gerne kreative Sachen, wie Breaking, Contemporary, ich male ja noch und mache auch Musik und solange Du Neues machst, kann Dir ja nie langweilig werden. Ich hab vorher eine lange Zeit Kampfsport gemacht. Der inspiriert mich auch heute immer noch, aber er wurde mir im Vergleich zum Tanz fast zu stupide, weil es letztlich zwar viele aber immer dieselben Moves sind. Ich möchte gerne etwas Neues schaffen, die Kreativität, die darin liegt und das Expressive, das sich darin findet, das liegt mir. Mit vorgegebenen Strukturen kann ich nicht so gut.

S: Mir geht es beim Tanzen so, die Mischung aus Bewegung und Musik werden hier vereint und beides begeistert mich, treibt mich an. Auch wenn es im klassischen Wettkampf immer sehr viel Struktur gibt, die Figuren vorgegeben sind so kann ich beim freien Tanzen, vor allem beim Salsa, der Kreativität vollkommen freien Lauf lassen. Tanzt Du denn lieber allein oder in der Gruppe?

A: Im Breaking hast Du ohnehin immer die Crew, wie so eine Familie. Wir bestreiten die Battles immer zusammen. Zwar hast Du innerhalb des Battles Sequenzen, die Du alleine tanzt, aber alle sind da und unterstützen sich gegenseitig. Das ist das, was am allermeisten Spaß macht. Man spürt die Energie seiner Mitmenschen, die Interaktion mit seinem Gegner – es ist ja eine Kampf-Imitation – ist das Beste. Und wenn ich mit der Crew auf Trips zu gehe, vor allem wenn es international ist, bin ich super gerne mit allen zusammen. Das ist anders, wenn ich individuelle Choreographien hab, wenn ich im Freestyle bin, dann geht es um meinen Ausdruck, da bin ich gerne allein. Das ist volle Emotion, Expression, das kommt nur aus der Seele. Aber nochmal zu Deiner Musik, spielst Du auch Solo oder vor allem in der Band?

S: Vor Corona habe ich ausschließlich in der Band gespielt. Wie schon gesagt, spiele ich ungern alleine vor Publikum. Wenn ich in der Band spiele spüre ich quasi gar keine Aufregung, wahrscheinlich, weil es anonymer ist, Du wirst als Gruppe beurteilt und nicht als Individuum. Und ich liebe dieses Gemeinschaftsgefühl. Aber ich spiele super gerne allein für mich. Da kann ich abtauchen, fühle mich wie in einer Zeitkapsel.

„Traurigkeit ist universell, Glücklichsein ist individueller“

A: Schreibst Du auch Songs?

S: Mir fällt das nicht so leicht, ich würde sehr gerne mehr schreiben, aber dafür muss ich das schon sehr intensiv fühlen. Besonders leicht fällt mich es mir, wenn ich traurig bin. Andere Stimmungen sind für mich noch schwer greifbar.

A: Ich schreibe gerne, aber ich kenne das mit der Traurigkeit. Über Trauer und Schmerz kann ich immer schreiben, glückliche Momente sind viel schwerer!

S: Ja, es ist viel einfacher Traurigkeit zu beschreiben und zu vermitteln. Gedichte schreiben fällt mir leichter als Songs. Das auch meistens abends im Bett an meinem Laptop. Dabei höre ich Musik.

A: Traurigkeit ist universell, Glücklichsein ist individueller – dabei, es gibt auch seeehr viel Lovesongs. Aber die sind auch nicht alle glücklich, eher meistens traurig.

S: Schmerz ist intensiver.

A: Freude ist kurzweiliger.

S: Schmerz ist etwas Intimes, macht einen verletzlicher.

A: Als ich meine ersten Songs auf Soundcloud veröffentlicht habe, habe ich vorher lange überlegt, ob ich das überhaupt tun sollte. Man macht sich dadurch ja auch verletzlich. Und da die Songs fast depressiv waren, habe ich viele Kommentare bekommen, viele mit so Nachfragen, ob es mir gut gehe, meine Musik sei so depressiv. Naja, das war vor allem so eine Phase.

S: Ein Leben ohne Musik kann ich mir nicht vorstellen.

A: Vielleicht finden wir ja hier irgendwo gleich einen Schuppen in dem ein Klavier steht und Du spielst?

S: Nur wenn Du dann dazu tanzt!

 

 

Stella Fellert – Pianistin, Tänzerin 

Amin – Tänzer, Musiker  

@Modelwerk

Art Direction: Jo Kühmstedt  

Dop+Edit: Jaron Kühmstedt  

               Mika Dylla  

Hair+Make-Up: Tobias Binderberger@bigoudi  

Photos: Stephan Ziehen  

Wir Danke dem Jazz-Club „Birdland“ in Hamburg“ für die freundliche Unterstützung