Artist Talk Donald Schneider

WER: Stephan Ziehen im Gespräch mit Donald Schneider

WO: Agentur Donald Schneider, Berlin

WANN: 26. Februar 2021

Der Schweizer–Amerikaner begann seine Laufbahn als Art Director in New York bei den Magazinen East Village Eye und Fame. 1991 kam Donald Schneider nach Europa zurück, wo er Zeitschriften wie Tempo, die deutsche Vogue und dann viele Jahre die französische Vogue prägte. 2002 gründete er sein eigenes Studio für Art Direction und Design in Paris. Hier entwickelte er unter anderem sehr erfolgreiche weltweite Kampagnen für Kunden der Luxus– und Modebranche. 2004 initiierte er die erste Designerkollektion zwischen H&M und Karl Lagerfeld und betreute auch die dazugehörige Kampagne. Mit dieser ersten Kooperation begann sich die Modewelt zu verändern.

Die Aufnahme beginnt mitten im Gespräch

Thema hier: Filmdreh versus Fotoshooting

Themen später: Influencer, Greenwashing, Print/Online, Formel-1, Diversitywashing und, und, und

DS: … und beim Fotoshooting ist immer alles ein wenig Hokuspokus, der Kunde darf nicht zuschauen, niemand weiß, was um viertel nach zwei ist, weil alles ein wenig wichtig ist. So ist das beim Film eben nicht, beim Film, auch beim berühmtesten Regisseur, wissen alle ganz genau, was wann passiert. Alle müssen sich entsprechend bewegen, das Set muss vorbereitet sein, der Schauspieler weiß ganz genau, dass er dann und dann dran ist. Die Kamera macht den definierten Schwenk und er weiß, was er dann zu tun hat, wohin er zu schauen hat. Nicht wie bei einem Fotoshooting, wo vielleicht ein Motorrad dort steht, das Model daneben, der Fotograf kurze Anweisungen gibt, das Modell aber letztlich das tut, was sie denkt, der Fotograf auf den Auslöser drückt und dann am Ende wird von 300 Bildern schon eines gut sein.

SZ: Damit ist ein Fotoshooting viel weniger vorhersehbar …

DS: Ja, und das gerade jetzt, wo Bewegtbild immer wichtiger wird. Wenn wir zum Beispiel Konzepte machen für Kampagnen oder für unsere Projekte, gehen wir immer eher vom Filmischen her, vom Geschichtenerzählen her. Da ist es einfacher später einen Fotografen dazu zu nehmen, der die Idee dann in Fotos umsetzt. Aber früher, wenn wir ein berühmtes Model gebucht haben, die saß dann auf der Couch, daneben die Handtasche, wie willst Du das später in ein Video umsetzen? Da kannst Du gar nichts daraus machen. Da kommt dann ein wenig Musik drunter und dann war es das? Das geht heute nicht mehr, das erzählt nichts.

SZ: Ich habe von Anfang an das Showstudio von Nick Knight verfolgt – ich liebe Nick Knight und alles, was er macht – er hat sehr früh erkannt, dass Film zunehmend wichtiger wird und das macht er ja inzwischen auch schon seit über 15 Jahren. Als Digitalisierung in der Breite immer wichtiger wurde, hatte er diesen wichtigen Schritt mit seinem Showstudio bereits vollzogen. Dennoch ist mein Eindruck, dass – bei inzwischen vermutlich weit mehr als über 1000 Filmen, bei denen immer nur das beste Team zusammen gearbeitet hat – es auf der gesamten Plattform nur eine Handvoll Filme gibt, bei denen ich sehe, dass es nicht nur um Effekthascherei mit dollen Filtern geht, sondern dass sich jemand wirklich Gedanken gemacht hat. Man hat sich die Handlung überlegt, hat ein gutes Model engagiert, gutes Styling gewählt und die Story, die erzählt wird, hat entweder eine besondere Form von Humor, eine besondere Leichtigkeit oder eine konkrete Botschaft. Und diese Botschaft ist nicht pathetisch oder so flach, dass man sich nicht – und das funktioniert aber wiederum bei Fotos – alles selbst erdenken muss, sich die Geschichte drumherum erarbeiten muss. Es gab dort einen Film von Max Vadukul für Y3. Der spielt in London im East End mit den für London klassischen Backsteinhäusern, alles recht heruntergekommen. Zwei Tänzer treten aus zwei verschiedenen Haustüren heraus, bewegen sich in sehr expressiven Figuren die Straße entlang, alles natürlich in schwarz-weiß gefilmt. Ich mochte das sehr, die zwei waren wie zwei Magneten, die sich immer wieder abstießen aber doch nicht voneinander lassen konnten. Solch eine Szene bewegt sich auf einem schmalen Grad, birgt das Risiko Fremdscham beim Betrachter auszulösen. Aber hier ist es ästhetisch so gut gemacht und löst eine enorme Faszination aus, was nur sehr wenige der weiteren Filme schaffen. Das auch aufgrund eben der schon vorher erwähnten Effekthascherei durch Filter, Verzerrungen oder Unschärfen. Dazu im Vergleich funktioniert das wie selbstverständlich aber bei Fotos und kommt großartig.

Am Anfang muss immer erst eine Idee da sein, ein Konzept, nur dann kann man für jeden Kanal und Touchpoint die beste Version entwickeln.

DS: Modevideos haben aus meiner Sicht noch nicht ihre perfekte Form gefunden. Schon die Frage, wie lang muss ein Video sein und dann für welches Format soll es sein? Das ist bei dem traditionellen Foto gegeben, hier stellt sich die Frage so nicht. Wenn es für eine Zeitschrift bestimmt ist, ist klar, es gibt nur wenige Möglichkeiten nämlich hoch oder quer, für eine Einzelseite oder für eine Doppelseite. Die zehnseitige Modestrecke erzählt bestenfalls eine Geschichte. Der Leser verweilt auf der einen Seite, überschlägt kurz die nächste, geht dann aber wieder zurück zu der vorherigen und so weiter. Auf Social Media Kanälen funktioniert das mit den Bildern auch noch. Auch da gibt es ein Hin und Zurück, das dem User die Freiheit lässt, sich seinem Rhythmus entsprechend zu bewegen. Bei Videos ist das aber anders. Da stellt sich die Frage, wofür soll es sein, wo lebt es? Wenn man hier in die Konzeption geht, sich eine Geschichte überlegt und den Film auf sechs, sieben Minuten anlegt, dann kommt die Social Media Abteilung und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, “das guckt kein Mensch”. Hier muss in den ersten Sekunden schon etwas passieren, damit die Leute nicht sofort weitergehen. Aber ich finde trotzdem soll man Fünf-, Acht-, Zehnminüter drehen, denn es gibt Leute, die sich auch die ganze Länge ansehen wenn es gut ist – das ist wie beim Fussball sag ich dann den Social Media Spezialisten manchmal, da killt man ja auch nicht die zweite Halbzeit, nur weil weniger Leute schauen.

Das Video-Format für Fashion wurde bisher noch nicht so richtig definiert aber man merkt, es brodelt, es kommt, es bewegt sich etwas. Es wird sich eine neue Form des Arbeitens entwickeln, um den verschiedenen Formaten gerecht zu werden. Am Anfang muss immer erst eine Idee da sein, ein Konzept, nur dann kann man für jeden Kanal und Touchpoint die beste Version entwickeln. Für die Fotos, Videos und Texte genauso wie für die Schaufenster, TV, Print, Billboards, Event, PR und so weiter. So macht man dann vom Master-Video verschieden Edits, für Youtube die längere Version, für Social die kurze, für TV eine weitere Version plus die jeweiligen Reminder.

SZ: Sind wir schon soweit, gibt es da Beispiele?

DS: Die letzte Männer-Show von Louis Vuitton als Video, von Wu Tsang für Virgil Abloh. Das war so irre, so gut durchkonzipiert und …

SZ …Du meinst doch das, in dem sie aussehen wie 70er Jahre Zuhälter, mit so langen Mänteln, viele schwarze Modelle, die in einem Raum mit Marmorwänden …

DS …genau. Mit Rapper Mos Def, dem Poet Saul Williams, mit Tänzern, mit einem Koffer, der von einem Hauptdarsteller zum nächsten gereicht wird. Der ganze Film ist wirklich komplett durchkonzipiert und choreographiert. Das ganze war inspiriert von einem Essay aus den 50er Jahren von James Baldwin, mit etlichen anderen Referenzen und so vielen verschiedenen Ebenen. Viel gesprochenes Wort und nicht nur Bilder, viel mehr als nur die neuen Looks zeigen. Tolle Locations und Inszenierung, eindrucksvolle Protagonisten, die wie Schauspieler eine Rolle in verschiedenen Szenen hatten. Das war so umfangreich, daraus kannst Du auf jeden Fall eine ganze Saison füttern, hast genug Material für die Schaufenster, die Drops, die Messages, Clips und so weiter. Dazu die vielen Menschen, die mitgewirkt haben, wenn man sich den Abspann ansieht und nur dem einen oder anderen auf den Social Media Kanälen folgt, dann teilen die das alle, Du findest überall Referenzen auf diesen Film!

Das war auf einem so hohen Level, das hat mich umgehauen.

(Anm. d. Red.: Louis Vuitton Männer Herbst/Winter 2021, Peculiar Contrast, Perfect Light)

SZ: Das ist wirklich eine Geschichte, die etwas erzählt. Das wird offenbar endlich immer wichtiger. Bei Prada haben sie einen anderen – aus meiner Sicht nur halbwegs guten – Weg gewählt. Sie haben nach der Show einen moderierten Talk gezeigt und sich über die Entstehung sowie die Wirkung der Show unterhalten. Dabei waren Raf Simons, Miuccia Prada, Marc Jacobs, Rem Koolhaas, Hunter Schafer (Anm. d. Red.: Schauspielerin, Model und LGBT–Aktivistin), Lee Daniels (Anm. d. Red.: Regisseur), Richie Hawtin (Anm. d. Red.: Elektromusiker). Das war bisweilen interessant, allerdings offensichtlich auch frisiert. Es gab ein paar grobe Cuts, so dass man nicht weiß, ob nicht Ungewolltes rausgeschnitten wurde. Aber interessant ist, dass so ein Talk überhaupt möglich ist, die Häuser sich öffnen, sich äußern, versuchen, transparenter und nahbarer zu werden und damit Anknüpfungspunkte zu schaffen.

DS: Mir fällt auch schon länger auf, dass Wörter wichtiger werden, dass Leute reden. Vorher war es eher so: Mode war Stummfilm. Und jetzt fängt Mode an zu reden. Prada ist da ein ganz gutes Beispiel. Das wäre früher nie möglich gewesen. Aber heute ist da dieses Bedürfnis, diese Menschen reden zu hören und zwar authentisch reden zu hören. Auch wenn es hier eher die controlled message war. Da war die Version, bei der sie sich den Fragen der Modestudenten vom Central Saint Martins College gestellt haben eigentlich besser – auch wenn hier ebenfalls sehr wahrscheinlich sehr viel Kontrolle bei der Auswahl der Studenten und deren Fragen ausgeübt wurde.

es ist per se schon ein Paradoxon einerseits Mode zu machen, die sich nur sehr wenige Menschen leisten können (…) und andererseits sich im Kampf gegen Armut stark zu machen (…)

SZ: In diesem Zusammenhang: Es gab eine gute Frage einer der Studenten an Miuccia Prada, nämlich die nach der Verantwortung eines Luxuslabels in einer Welt, in der die Armut kontinuierlich wächst. Und, wie sie als Designerin damit umginge. Ihre Antwort war eher ausweichend als ein klarer Standpunkt geschweige denn ein Eingeständnis mehr Verantwortung als andere in dieser Sache zu tragen – auch wenn ihr selbst, als ehemaliger Kommunistin sehr an dem Wohl der Gemeinschaft gelegen sei. Als Modelabel aber würden sie an verschiedenen Stellen versuchen, Möglichkeiten zu bieten, den Zuständen entgegenzuwirken. Die Antwort war aus meiner Sicht mehr als dürftig – wenn auch in ihrer Lage verständlich. Denn es ist per se schon ein Paradoxon einerseits Mode zu machen, die sich nur sehr wenige Menschen leisten können und die damit einen hohen Preis hat, vor allem aber auch einen ökologisch hohen Preis. Und andererseits sich im Kampf gegen Armut stark zu machen, die aufgrund des vorherigen Tuns erst (mit-) entsteht.

DS: Letztlich ist das eine Frage, die nicht nur die Mode sich stellen muss. Die Verantwortung gilt ja für alle. Jede und jeder muss sich dieser Frage stellen. Wir stehen alle vor dieser Herausforderung. Wir fliegen, wir fahren, wir konsumieren alles mögliche und so weiter. Die Mode wird gerne aus dem Kontext herausgepickt. Journalisten schießen gerne gegen die Mode und stellen sie als besonders schlechtes Beispiel dar. Du, der dieses Heft druckst, weißt Du genau, welches Holz verwendet wird, welche Chemikalien genutzt werden? Ich glaube nicht, dass jeder Redakteur des Spiegel weiß, woher das Papier für sein Produkt kommt, zu welchen Konditionen die Leute dort arbeiten, was mit den nichtverkauften Heften genau passiert. Es ist ja nicht nur die Aufgabe der Mode, die Welt besser zu machen. Da müsste man doch zum Beispiel sofort Formel 1-Rennen verbieten. Die machen doch gar keinen Sinn. Rennautos, die herumfahren und mit Flugzeugen durch die Welt transportiert werden, nur zur Belustigung der Leute?

Jeder muss bei sich anfangen. Nachhaltigkeit ist ein hoch komplexes Thema. Oft wird davon geredet, ohne die Komplexität auch nur ansatzweise zu berücksichtigen oder zu verstehen. Manche denken bei Nachhaltigkeit offenbar nur an das Material eines Kleidungsstückes und wie es gefertigt wurde. Aber es kommen ja noch viel mehr Dinge dazu. Nachhaltigkeit fängt doch auch bei uns selbst schon an, zum Beispiel bei einer Fotoproduktion: werden alle fair bezahlt, Assistenten, Stylisten, schauen wir auf den CO2 Footprint?

Es geht nicht nur um Greenwashing bei großen Konzernen, es geht um jeden einzelnen von uns, wir alle tragen Verantwortung. Und nochmal, es geht um so viel, es ist weitaus komplexer als sich es die meisten in unserer Branche vorstellen. Ich habe das vor allem in meiner Zeit mit H&M in Stockholm gelernt. Dort gibt es eine eigene große Abteilung, die sich nur um das Thema Nachhaltigkeit kümmert. Dort sitzen Experten, they know their shit! Und wenn sich einer der potentiellen Partner für ein Projekt Bedenken mit einer Kooperation mit H&M hatte, weil er lieber einen nachhaltigeren Weg wählen wollte, dann habe ich ihm angeboten, sich mal mit dieser Abteilung zu treffen. Viele sind da erstmal auf die Welt gekommen (Anm. d. Red.: das ist eine sehr schöne Formulierung, die vermutlich eher in der Schweiz gängig ist. Sie bedeutet so viel wie: viele haben da erst verstanden, wieeeee komplex das Thema Nachhaltigkeit ist!). Denn wenn man da wirklich einsteigt ist das eine Riesensache! Warum hat jetzt also unbedingt Mode diese Aufgabe das zu ändern? Die haben wir doch eigentlich alle.

SZ: Ich glaube bei der Mode wird das deshalb kritischer hinterfragt, weil Nachhaltigkeit – von außen betrachtet – gerade im Luxussegment als vernachlässigbar angesehen wird und daher ist man besonders heikel.

Trotzdem möchte ich ein bisschen zurückgehen in die Vergangenheit. So wie Mode im Augenblick betrieben wird, war es ja nicht immer. In den 80er, 90er Jahren gab es zweimal im Jahr einen Kollektionswechsel und das hat sich in den letzten 20 Jahren immer rasanter geändert. Als Zäsur empfinde ich da unter anderem die erste Kooperation zwischen H&M und Karl Lagerfeld, die Du initiiert hast, wo sich Fast-Fashion mit Luxusmode gemischt hat. Nach meinem Verständnis, war das die Rache des Luxussegments an den kopierwütigen Fast Sellers, die aufgrund der Digitalisierung schneller und leichter Zugang zu den Looks der Luxusmarken hatten und so die Kopien davon eher im Laden waren, als die Originale. Zu einem Bruchteil des Preises.

DS: Das sind eigentlich zwei Themen. In der Zeit von der Du sprichst, war Mode eigentlich B2B. Eine Modenschau war nicht für die Öffentlichkeit, die war nur für die Presse auf der einen und für die Buyers auf der anderen Seite. Das waren Profis und die Bilder der Schauen und der Looks hat man erst Monate später in den Modezeitschriften gesehen – die Öffentlichkeit hat überhaupt nicht mitgekriegt, was sich da abspielt. Die Redaktionen haben das wie ein Filter alles verarbeitet, kuratiert und dann in Modestories inszeniert. Die Buyer haben gleichzeitig die Sachen für die Läden ausgesucht und gekauft. Und das kam dann am Ende so orchestriert an den Consumer und die Mode in die Shops.

Also früher waren Modeshows nur B2B, seit Social Media sind es B2C-Events.

Das heißt auch die Fast-Fashion Labels haben früher die neuesten Trends erst dann gesehen, wenn es in den Shops der Laufsteg-Marken war. Sie waren ja nicht eingeladen zu den Shows und die Photos, die es davon gab waren ja nicht öffentlich. Daher kamen die Kopien auch erst zwei, drei Monate nachdem die Originale in den Läden waren. Und das hat halt für alle funktioniert.

Ich weiß noch früher bei der Vogue in Paris haben wir uns nach den Shows drei Tage mit den Redakteuren eingeschlossen und alle Looks in einer Dia-Show angeschaut. Ich hab die Kommentare der Fashion Editors gehört und war bei der Themenfindung dabei. Da wurden dann die entsprechenden Slides von jedem Label rausgezogen und so zu einer Modestory zusammengestellt. Das war eine richtige Verarbeitung von allem.

Aber dann hat sich langsam alles geändert.

Heute werden die Shows live übertragen, B2C. So haben Modezeitschriften total ihre wichtige Stellung verloren. Und natürlich gucken auch die Knock-off Firmen live zu und drei Wochen später kann man die Looks dort schon kaufen. Bevor die Originale bei den High-Fashion-Marken überhaupt erhältlich sind. Das lang eingespielte System ist durcheinander geraten. Am Anfang musste man noch die Smartphones abgeben vor einigen Shows, aber das konnte man gar nicht halten und jetzt ist es sogar so weit, dass die Influencer in der Frontrow die Looks, die gerade in der Show gezeigt werden, schon tragen. Es ist total verrückt schnell geworden, das war vorher nicht so.

SZ: Abgesehen davon, dass es jetzt so ist, wie bewertest Du das? Ich weiß, man wird das nicht mehr ändern können, aber findest Du das ist eine gute Entwicklung?

Es hat zwar eine Art Demokratisierung stattgefunden, aber möchte man die wirklich?

Das war dann auch plötzlich für die reichen High-Fashion-Kunden ok, was vorher gar nicht möglich gewesen wäre.

DS: Eine der wichtigsten Sachen für eine Modemarke ist, dass das Durchschnittsalter ihrer Kunden immer gleich bleibt, weil sonst wird es schnell gefährlich. Weil dann werden die Kunden schnell alt. Für mich war Prada bis vor kurzem ein Beispiel dafür. Die Prada-Kunden sind relativ alt geworden. Vor 30 Jahren haben junge Leute diese Nylon Backpacks gekauft und das sind heute immer noch die Hauptkunden, unterdessen auch 30 Jahre älter geworden. In den letzten zwei, drei Jahren hat sich viel verändert bei Prada, jetzt findet es auch die neue junge Generation wieder cool.

Aus diesem Aspekt ist auch Karl Lagerfeld interessant, weil er sich immer verjüngt hat. Er hat sich immer mit neuen Leuten umgeben, wollte immer wissen was ist neu. Sein Geschmack und seinen Kunden sind nie älter geworden.

Ein sehr effektives Mittel für traditionelle Marken an ein junges Publikum ranzukommen, sind Kollaborationen. Um neue Kunden zu begeistern, die eigentlich sonst nicht interessiert wären und auch normalerweise mit so einer Marke nichts zu tun haben wollen, auch weil es eh zu teuer ist. Und durch eine Kollaboration können junge Leute sich das plötzlich leisten, werden auf diese Marke aufmerksam und werden dann vielleicht auch längerfristig Kunden.

Das finde ich eigentlich interessant, ein Win-Win für beide Seiten, weil niemand darunter leidet. Aus meiner Erfahrung, mit all den Marken, mit denen ich schon gearbeitet habe, die Kollaborationen gemacht haben, die haben enorm profitiert davon. Das sagen die auch selber.

SZ: Das heißt, nachdem ein Label mit H&M eine Kollaboration gemacht hat, hat es auch einen Boost bekommen?

DS: Ja, auf jeden Fall. Sie haben einen extremen Aufmerksamkeits-Faktor bekommen und wie man das in der Marketingsprache nennt: “Top of mind”. Zum Beispiel Giambattista Valli, den haben doch die meisten Leute nicht gekannt vor der Kollaboration mit H&M und jetzt kennt ihn jeder. Das ist doch für ihn mega!

SZ: Das heißt, diese Kollaborationen sind für die Luxusmarken die Möglichkeit, sich einem jungen Publikum zu zeigen und sie als zukünftige Kunden zu gewinnen.

DS: Ja. Und auch für die High-Fashion wurde es damit auf einmal ok dieses Mix-and-Match zu machen, oben vielleicht etwas von Chanel und unten eine Jeans von H&M.

Das war dann auch plötzlich für die reichen High-Fashion-Kunden ok, was vorher gar nicht möglich gewesen wäre. Es ist eigentlich eine Demokratisierung auf beiden Seiten. Es muss nicht alles teuer sein. Guter Geschmack hat nicht nur etwas mit Geld zu tun. Wenn jemand Geschmack hat, kann er sich auch mit weniger Geld gut einkleiden.

SZ: Hat es nicht trotzdem zu diesem Overkill geführt, dass die Zyklen immer schneller geworden sind, weil sich die High-Fashion immer mehr den Zyklen der Fast-Fashion angepasst hat, anpassen musste?

Es müssen immer neue Reize gesetzt werden und ich stehe diesem Phänomen fast fassungslos gegenüber, weil ich sehe zwar in der Spitze tolle und interessante Mode, aber in der Breite halt viel Langeweile und vor allen Kopien. Und woher sollen auch all die neuen Ideen kommen, bei dieser Taktung? So schnell kann man sich das ja gar nicht alles ausdenken. Sowohl im Design als auch später im Marketing.

Was mich am meisten ärgert, ist, dass alles, was mit Subkultur zu tun hat, mittlerweile sofort kommerzialisiert wird. Das letzte in dieser Richtung war die Gender-Thematik. All die kleinen schrägen komischen Nischen – ja, die Leute freuen sich im ersten Moment, weil sie eine Bühne kriegen, aber im Grunde verkaufen sie sich nur. Die Labels haben das Bedürfnis nach etwas Einzigartigem, aber in dem Augenblick, wo Du es verkommerzialisierst, ist es halt weg. Ich bedauere das sehr.

DS: Ich teile Deine Meinung. Es ist so eine Maschine geworden, es ist alles so kontrolliert

und vermarktet, was früher nicht so war. Ich weiß noch, dass in meiner Pariser Vogue Zeit

wir Redakteure nicht mit den Anzeigen-Leuten reden durften. Das war total verpönt.

Wir haben in das Heft gebracht, was wir gut fanden. Es hat uns nicht interessiert was die denken, die sollten nur Anzeigen verkaufen und die Firmen sollten Anzeigen schalten, weil das Heft gut ist und basta! Aber ich kann mich sehr genau erinnern als sich das änderte. Da kam jemand von Armani vorbei mit Heften voll mit Stickern. Und wir hatten dann zum allerersten Mal ein Meeting mit der Anzeigenabteilung, die diese Hefte dabei hatten. Es wurde kritisiert und anhand der bestickerten Seiten belegt, dass Chanel trotz weniger Anzeigen als Armani, viel mehr redaktionelle Beiträge in den Heften der letzten Saison hatte. Das war das erste Mal, dass so etwas passiert ist, bis dahin haben wir die Anzeigen-Leute immer rausgeschmissen. Also das war der Anfang vom Ende. Eigentlich hätte man da stur bleiben sollen und sagen, es ist uns egal. Die Leute, die Anzeigen schalten wollen, sollen froh sein bei etwas Coolem dabei zu sein und basta!

SZ: Was mich daran besonders ärgert, ist, nur weil ich einmal diesen vermeintlich guten Ruf als Label bekommen habe, ist ja nicht jede Kollektion gleich gut und dementsprechend empfehlenswert in den Magazinen. Wenn Chanel zum Beispiel eine schwache Kollektion zeigt, muss es Platz machen für neue, junge tolle Kollektionen neuer, junger toller Marken, die vielleicht noch keinen Namen haben und keine Anzeigen schalten können.

Der Ursprung war ja eigentlich, dass die Labels Anzeigen schalten wollten, weil es ein gutes Magazin war, was die richtigen Leute, potentiellen Kunden, gelesen haben und dessen Empfehlungen sie vertraut haben. Und wenn die Labels dann auch noch mit einer gelungenen Kollektion in einer tollen redaktionellen Modestrecke gezeigt wurden, war das eine Auszeichnung.

DS: Absolut! Darum hat mir das schon damals ein mulmiges Gefühl gemacht. Irgendwann wollte ich nicht mehr in dieser Modezeitschriftenwelt arbeiten, weil sie einfach so verlogen geworden ist. Dass mittlerweile Moderedakteure sich über die anscheinend verlogenen Influencer beschweren, obwohl sie selber so sind, ist schon bemerkenswert. Wenn Du zum Beispiel in Elle eine Seite siehst mit den 10 neuesten und besten Parfums, würde wahrscheinlich die Leserin denken, dass eine Beauty-Redakteurin wochenlang alles recherchiert, getestet und gerochen hat …das ist doch Bullshit. Einfach genau nach Anzahl der Anzeigenseiten werden diese Parfums ausgesucht. Und damit es doch ein bisschen cool rüberkommt, stellen sie ein Nischenprodukt mit vor, damit es nicht ganz offensichtlich ist, dass die Redaktion eben nicht unabhängig ist. Das ist doch eigentlich auch der Niedergang der Zeitschriften, weil es einfach total verlogen ist …

SZ: Man wird halt die ganze Zeit verarscht und manipuliert und das erkennt der Leser natürlich häufig nicht gleich. Aber Print verliert damit immer mehr an Glaubwürdigkeit,

weil irgendwie spürt man es dann doch als Leser und so schrumpft der Magazin-Markt immer mehr. Weil wozu soll ich mir ein teures Heft kaufen, wenn selbst der redaktionelle Content letztendlich nur versteckte Werbung ist. Es muss einen besonderen Grund und einen besonderen Inhalt geben, um sich ein Printmagazin zu kaufen.

DS: Das muss auch wieder mehr kommen. Als ich in den 80ern in New York gewohnt habe

und in Nachtclubs und für Zeitschriften gearbeitet habe, da hatte wir ständig Parties in den Clubs, aber da war nicht eine Party die gesponsort war, da war kein Logo zu sehen.

Ich habe in der Zeit auch Album-Cover für Bands gemacht, da gab es keinen Personal Stylist, der etwas von Louis Vuitton oder Yves Saint Laurent besorgt hat. Die Singer und Musiker haben sich ihre Sachen selber gemacht oder sind in Secondhand Läden gegangen oder haben es sich selber geschneidert oder schneidern lassen. Es war irgendwie viel kreativer, weniger kommerziell.

Bei der ersten Zeitschrift bei der ich gearbeitet habe – East Village Eye – da hatten wir wirklich so coole Szene-Leute und Künstler. Da hat noch Keith Haring Illustrationen gemacht, mit den Beastie Boys haben wir das erste Cover gemacht, die damals noch niemand kannte. Wir haben kein Geld verdient, aber wir haben etwas gemacht, woran wir geglaubt haben. Da gab es zwar schon auch Anzeigen drinnen, aber meistens so halb- oder viertelseitige von Restaurants, die haben uns gar nichts bezahlt, aber wir konnten da dann umsonst Essen und Trinken gehen. 
Ich erinnere mich, dass wir einmal einen Anruf von Calvin Klein bekamen, die fänden das Heft so cool und möchten da eine Anzeige schalten. Beim nächsten Meeting haben wir dann darüber gesprochen, dass diese Calvin Klein-Leute von Midtown – wir waren ja Downtown – dass diese Yuppie-Marke unbedingt eine Anzeige schalten wollte. Wir haben gesagt ”Nee, das wollen wir nicht, das ist so uncool.” CALVIN KLEIN das war damals für uns nicht cool. Wir haben nein gesagt, wir wollten die nicht.

Ich fände es gut, wenn junge Leute heute einfach mehr ihre Sachen machen würden, ohne gleich auch Balenciaga, Saint Laurent, Bottega Veneta shooten zu wollen, wie in den etablierten kommerziellen Modeheften. Und dazu dasselbe Model haben wollen, das auch schon von Steven Meisel photographiert worden ist. Mach doch Dein eigenes neues Ding, erfinde deine Welt!

Wenn Du jung bist, kannst Du eigentlich fast alles tragen, es sieht immer irgendwie cool aus, man braucht nur die richtige Haltung.

SZ: Tatsächlich gibt es mittlerweile eine Szene, denen das allen nicht wichtig ist, die kennen zwar die ganzen Labels, aber die sind ihnen egal. Neulich war mein ehemaliger Praktikant Oskar bei mir. Er trug den unglaublichsten Pullover und dazu eine alte Herren Anzughose und sah mega cool aus. Er hatte die Klamotten für fast nichts auf Ebay-Kleinanzeigen erstanden. Daraus wurde dann die Idee zu einer Modegeschichte geboren, die auch jetzt hier im Heft ist. Wenn Du jung bist, kannst Du eigentlich fast alles tragen, es sieht immer irgendwie cool aus, man braucht nur die richtige Haltung.

DS: So Sachen finde ich wirklich cool, aber eine Vogue zum Beispiel würde sich sowas nicht trauen, “dann springen uns die Anzeigenkunden ab…”. Aber eigentlich müsste man genau solche Sachen machen, auch in der Vogue, knallhart!

SZ: Leider bricht diese Abhängigkeit vom Anzeigengeschäft alle Kreativität, das können sich leider nur so Independent Magazine wie wir erlauben.

DS: Es stimmt mich traurig als Zeitschriftenmensch, wie dieser Übergang total verpasst wurde. Die ganze Relevanz einer Vogue von früher, wer da auf dem Cover war, wer dafür photographiert hat, welche neuen Designer da drinnen waren – diese Relevanz ist heute weg. Wenn man zu der Zeit jung war und wenig Geld hatte, konnte man zu einem guten Kiosk gehen und sich all diese Magazine ansehen und sich in einer Stunde einen Überblick verschaffen, was die besten Leute in der Mode im letzten Monat gemacht haben. Aber heute bräuchte ich ja jeden Tag viele Stunden auf Instagram und Online, nur um einen Überblick zu bekommen. Mir fehlt dieser Filter.

Ist ja toll, dass jeder Photograph sein kann und jeder kann modeln, aber wer filtert dann das ganze? Ich kann mir beim besten Willen nicht jeden angucken, es geht nicht, das schaffe ich zeitlich nicht. Und mir fehlen diese Instanzen. Und die Vogue hat diese Instanz leider total verloren. Diese Kuratierfunktion hätten sie auch digital haben können. Sie wollten aber mit dem Digitalen nichts zu tun haben bis es zu spät war.

SZ: Ist diese Form des Kuratierens heute überhaupt noch schaffbar? Es ist so komplex geworden, mit Instagram, Clubhous, TikTok, Facebook etc. Man wird von Link zu Link weitergeleitet und verliert total den Überblick.

DS: Diese Rolle könnten doch gute Vogue-Redakteure übernehmen. Dass sie die Plattform werden, die die besten Sachen raussucht. So dass man sich nicht zeitraubend 100000 Sachen durchschauen muss, sondern ich könnte dort immer die besten Sachen finden, super kuratiert.

SZ: Aber, sehen sie sich eigentlich nicht so? Ist das nicht ihre Selbstwahrnehmung?

DS: Das kann ich Dir nicht sagen, ich bin ja nicht mehr selber bei Vogue. Aber ich glaube, bis auf ein paar Ausnahmen, leben die meisten Moderedakteure noch in dieser alten analogen Welt. Die sind jetzt wahrscheinlich ziemlich lost, weil sie zur Zeit keinen Front Row Seat bei den Modeschauen mehr haben, diese ganze Wichtigkeit, die ja auch so zelebriert wurde, ist weg. Es ist ja auch nicht so impressive, wenn man im Home Office sitzt und nicht in der Front Row und Fashionweeks in Paris, Mailand und New York. Und für die einzigen paar Live–Shows, die es noch gibt, werden für die wenigen Plätze dann lieber Influencer mit ein paar Millionen Followers eingeladen. Das bringt den Marken mehr als eine Chefredakteurin, die meistens nicht so viele Follower hat. Ich habe gerade gesehen, dass die neue Chefredakteurin der chinesischen Vogue vorgestellt wurde. Das ist ein 28-jährige Photographin und Influencerin, mit über einer Million Follower. Wenn ich jetzt also jemanden suchen müsste für die deutsche Vogue, als Nachfolgerin von Christiane Arp, dann würde ich auch jemanden wie Veronika Heilbrunner nehmen. Ich würde jetzt nicht wieder eine Journalistin um die 50 nehmen, sondern jemanden von dieser jungen Generation. Dann hätte auch hier die Vogue eine Chance jemanden zu haben, der diese neue Welt versteht.

SZ: Das verstehe ich auch. Aber was wird dann aus Print? Wird das dann nicht obsolet?

DS: Das wird es sowieso!

SZ: Aber das hat man ja vor zehn oder 15 Jahren auch schon gesagt und dafür, dass es schon so lange totgesagt wurde, gibt es ja immer noch sehr viele Magazine.

DS: Was bleiben wird ist dann aber eher so eine Art “vanity publishing”. Ich arbeite zum Beispiel ab und zu mit High Snobiety zusammen, die ja auch ein Heft machen, aber das ist eher, weil die Leute auch gerne etwas auf dem Tisch liegen haben. Was ja auch gut so ist. Aber die Funktion ist nicht mehr, dass das das Wichtigste ist, sondern mehr ein Goodie obendrauf.

Wenn ich heute eine Zeitschrift machen würde, würde ich es auch so machen, wie wir es bei Kampagnen machen. Also in einer Redaktionskonferenz würde man Themen besprechen und dann sofort bestimmen, wie wir die Story im Heft zeigen und wie in allen anderen Kanälen, auf Instagram, Facebook, Youtube, paid Media, Influencer, PR, Syndication, wo welche Texte, Fotos und Videos. Wo würden wir die Story anteasern, was könnten wir noch als Futter drumrum machen, vielleicht ein Making-Of oder ein Interview. Und halt ein ganzes Ding drum herum bauen.

Aber das wird ja bei einer Vogue nicht so gemacht, eine Redaktion macht das Printheft und dann gibt es eine zweite Redaktion, die machen dann die Online-Ausgabe. Aber die arbeiten nicht eng zusammen, was ja völlig absurd ist. Meistens sind sich die Print Leute und die Online Leute auch nicht ganz grün, obwohl das ja eine Marke ist. Für mich als Kunde, der ein Abo hat oder sich das Heft am Kiosk kauft, gehe ich doch trotzdem auf Instagram und bin Follower in Social Media, weil es ja für mich im Kopf die eine selbe Marke ist. Und das sind nicht zwei verschiedene Sachen, da muss doch ein Kohärenz da sein.

Es ist interessant, wenn man bei einer Marke auf Instagram guckt, wie sie sich selber inszenieren und dann den Hashtag der Marke anschaut. Also zum Beispiel geht man auf @Celine und dann auf #Celine und dort sieht man die Realität. Das ist nämlich nicht unbedingt dasselbe. Also der Hashtag zeigt eine ganz andere Welt als der eigentliche Account. Bei den Zeitschriften war das früher auch ein bisschen so. Dann mussten man einmal im Jahr abends in so eine komische Agentur gehen, wo hinter dem Spiegel sechs bis sieben Leserinnen waren und unsere Hefte durchgeguckt haben und die haben uns aber nicht gesehen. Alle 15 Minuten kam der Marktforschungsleiter und fragte, in welche Richtung wir das Gespräche führen wollten. Mich hat das immer so angekotzt, weil wenn man so ein Heft macht oder auch eine Kampagne, dann will man ja die Leute beeindrucken, die man toll findet. Aber wenn man dann sieht, wie Durchschnittsleser die Hefte durchblättern und dann so sagen, was sie gut oder nicht so gut finden, dann ist das schon ein bisschen frustrierend. Und so ist es auch heute mit den Hashtags. Da siehst Du dann auf einmal Leute, die Du vielleicht nicht so gerne sehen möchtest bei deiner Marke, weil Du sie nicht so cool findest.

“Wow, that’s soo you!”

SZ: Ja, das ist genauso wie ich es toll finde, Mode und tolle Klamotten zu photographieren, aber in der Realität möchtest Du die meistens Leute, die so etwas tragen, gar nicht kennen, weil sie schrecklich sind. Als ich gestern die Fendi Prȇt-à-porter Show gesehen habe, war da ein Model in so einem beigen Zottelfell-Mantel. Wenn die jetzt hier um die Ecke käme, würde ich doch denken, was kennst Du denn für Tanten? Auf dem Laufsteg super und in der Wirklichkeit …? Ich weiß schon, dass es Frauen gibt, die mit so etwas in Cortina d’Ampezzo

rumlaufen, aber die möchte man doch nicht mit der Kneifzange anfassen.

DS: Ich saß mal bei einem Dinner in Paris neben einer Frau die für Hermès gearbeitet hat

und zwar als Consultant und Psychologin. Wir hatten ein super interessantes Gespräch bei dem es genau darum ging. Sie coacht das Verkaufspersonal in den Hermès Shops. Und ich hab ihr genau diese Frage gestellt: “Was würden Sie einer Verkäuferin empfehlen zu sagen, wenn eine Kundin etwas anprobiert, was schrecklich an ihr aussieht. Was soll die Verkäuferin dann sagen? Soll die ehrlich sein oder soll die lieber lügen?” Und dann hat sie mir eine mega Antwort gegeben. Sie sagte, dass man sich selber rausnehmen soll und der Kundin folgendes sagen soll: “Wow, that’s soo you!” Dann bist Du nämlich fein raus, weil Du sagst nicht “Das sieht gut aus an Ihnen” und Du sagst aber auch nicht “Das sieht schrecklich aus”, sondern “Wow, that’s soo you!” Und damit machst Du eigentlich so eine Art Kompliment und Du lügst auch nicht. Denn verkaufen willst du ja schon auch, Du kannst ja nicht sagen “Nee gute Frau das würde ich lieber nicht kaufen an Ihrer Stelle…nee, dieser Schmuck für 80.000 sieht nicht so gut an Ihnen aus…” . Wir kreieren ja auch Träume und Phantasien, deshalb haben wir ja auch so tolle Berufe.

SZ: In den besten Kollektionen der Schauen wird zwar noch manchmal geträumt, aber in den Kampagnen dazu eigentlich gar nicht mehr. Das sieht mittlerweile wie ein etwas besseres Lookbook aus.

DS: Du redest jetzt von Kampagnen die eigentlich eh niemanden mehr interessieren. Wir messen ja immer unsere Kampagnen. Auf Social Media und Digital, welche Photos geguckt und geliked wurden und diese klassischen Kampagnen, die wir mit grossen Photographen machen, die funktionieren eigentlich gar nicht mehr. Das machen zwar noch ein paar Marken, wahrscheinlich weil sie noch so an dieser Epoche kleben und da nicht wegkommen, weil sie noch keine neue Idee haben. Aber zum Beispiel Gucci macht ja eigentlich keine klassische Werbung mehr. Die haben zum Beispiel ein Filmfestival gemacht und so. Heute muss man einfach ganz anders denken. Das ist nicht mehr sechs perfekte Photos machen …das interessiert niemanden mehr da draußen, es ist auch nicht echt. Du musst heute eine Geschichte erzählen, eine Emotion schaffen, Aufmerksamkeit kreieren. Und darum flüchten ja auch viele der Modebrands zu den Influencern, weil diese Influencer ein Publikum haben, das gewohnt ist, ihnen zuzuhören. Wo willst Du denn heute noch eine klassische Anzeigenkampagne schalten? Es muss ja auf digitalen Kanälen funktionieren. Und wenn Du eine unglaublich perfekt photographierte Geschichte hast von einem Top-Photographen mit Top-Models, so Sachen machen wir auch manchmal, und wenn man das misst, die Leute gehen sofort drüber, das interessiert die Leute heute nicht mehr.

SZ: Aber warum genau?

DS: Weil es sich nicht echt anfühlt, es ist zu perfekt, zu aalglatt. Diese Art Kampagnen sind nicht authentisch genug. Du musst heute etwas anderes kreieren. Wenn wir Kampagnen machen, mag ich es zum Beispiel während dem Shooting Interviews zu machen und dann filmen wir das und schneiden meine Fragen raus und spielen nur die O-Töne der Talente ein. Das ist ja dann spontan und nicht gescriptet. Und diese Schnipsel schneiden wir dann in den eigentlichen Film rein und das gibt dann ein anderes Level an Emotion. Du spürst diese Person auch mehr und zwar ehrlich. Es ist dann kein Stummfilm mehr mit tollen Models und alles perfekt, sondern Du hast das Gefühl, diese Person hat etwas zu sagen. Die ist echt und ist in dieser Kampagne und sagt mir was. Die muss dann auch nicht über die Klamotte reden oder sagen, dass die Marke toll ist, die kann einfach ganz spontan persönliche Antworten und Statements geben. Und diese Ebene hast Du nicht in einer Steven–Meisel–perfekt–inszenierten–Welt.

SZ: Das schafft halt eine Identifikation. Es wird auch menschlicher, wenn das Model

zu einem spricht.

DS: Es ist doch viel interessanter, wenn Du ein tolles Model siehst und sie Dir dann noch erzählt, dass sie gerne Musik macht, an Archäologie interessiert ist, vegan ist oder ganz persönliche Sachen und Du spürst, dass sie wirklich für etwas steht.

Glücklicherweise geht es mittlerweile auch von den typischen Influencern wieder weg, die sich nur zu Hause ständig, jeden Tag mit irgendwelchen Klamotten oder Produkten photographieren. Da ist eigentlich keine Geschichte dahinter. Und in dieser Pandemie merkt man, da muss es schon ein bisschen mehr sein. Weil vorher waren die ja oft in interessanten Umgebungen, auf der Modewoche in Mailand oder in New York und abends auf der Rhianna Party und so. Da sieht jeder cool aus, da musst Du gar nichts machen, nur dabei sein und alles ist cool. Aber wenn Du dann nur noch zu Hause bist und Dich beim Yoga filmst oder einen TikTok-Tanz machst, dann wird es schon dünn. Deshalb finde ich es gut, wenn jetzt Leute hochbrodeln, die irgendwas Spezielles haben und machen. Egal was, verrückte kleine Filmchen oder singen oder rappen oder so jemand wie Amanda Gorman (Anm. d. Red.: Amerikanische Autorin, die bei der Amtseinführung von Joe Biden ein Gedicht vortrug), die jetzt alle toll finden. Von solch interessanten Talenten gibt es glücklicherweise viele, die muss man nur suchen. Worte werden jetzt immer wichtiger. Jetzt auch mit Raf Simons und Miuccia, die auch reden und persönlich präsent sind, direct to Consumer. Früher hätte eine Rei Kawakubo (Anm. d. Red.: Japanische Mode–Designerin des Labels COMME des GARÇONS) nie geredet, höchstens mal ein einziges mini–kurzes Interview gegeben. Zu reden, sich mitzuteilen gehört heute einfach dazu, Du musst argumentieren können. Ich fand zum Beispiel Marc Jacobs in dem Prada Q&A richtig gut, der ist richtig schlau.

SZ: Ich folge dem auf Instagram und der hat wirklich eine gute Selbstironie und wirkt sehr empathisch.

DS: Er ist auch sehr eloquent und kann sich richtig gut ausdrücken. Ein Vergnügen ihm zuzuhören. Und das ist heute einfach wichtig.

Das Pendel schwang komplett in diese Richtung. Und jetzt geht es langsam wieder in die Mitte zurück.

SZ: Das hat sich alles verändert, früher standen die Designer da oben auf dem Sockel und waren unnahbar. Jetzt auf einmal atmen die und Blut fließt durch ihre Adern. Vielleicht sind sie jetzt so ein bißchen entzaubert worden.

DS: Ich würde nicht sagen entzaubern, sondern eher entlarvt. “Now you need to know your shit!” Die müssen jetzt auch vor der Kamera performen, das war vorher nicht so.

Darum ist auch jemand wie Marc Jacobs jetzt noch gut, weil er das kann.

Ich kenn ja zum Beispiel Jeremy Scott (Anm. d. Red.: Amerikanischer Mode–Designer des Labels Moschino) gut und für den war Internet eigentlich die Rettung. Weil er so polarisiert, hat die amerikanische Vogue ihn jahrelang gedisst. Der wurde nie genannt, nichts von ihm fürs Heft photographiert, weder von Moschino noch seiner eigene Kollektion, nichts. Der kam nicht vor.

SZ: Ich mochte diese Marionetten Show …

DS: Super! Aber weil viele Stars ihn mochten und er eine unglaublich interessante Person ist, sehr eloquent, hat er sich über seine Verbindung zu Kate Perry und vielen anderen Celebrities, eine eigene Community geschaffen, mit Millionen von Followern. Ist selber so was wie ein Popstar und jetzt kommt plötzlich die amerikanische Vogue und er wird überall eingeladen zum Met Ball und so (Anm. d. Red.: jährliche Fundraising-Gala zu Gunsten des Metropolitan Museum of Art´s Costume Institute in New York). Das heisst, man muss nicht mehr dem System folgen um erfolgreich sein, man kann seinen eigenen Weg gehen. Und diese Demokratisierung ist gut an Social Media. Früher musste man durch dieses Nadelöhr der Elite kommen, um erhört zu werden.

SZ: Ja, es hat sich geöffnet und gibt mehr Menschen mehr Möglichkeiten, aber es gibt auch mehr Idioten. Daher braucht es auch dieses Kuratieren und jemanden, der einen anleitet und die Richtung weist. Als durch Social Media auf einmal die Influencer kamen, haben sich erstmal alle Branchen auf sie gestürzt und man hat sie marketingtechnisch als neues Allheilmittel gesehen. Das Pendel schwang komplett in diese Richtung. Und jetzt geht es langsam wieder in die Mitte zurück. Die Influencer, die substantiell sind und wirklich was zu sagen haben und auch die richtigen Follower haben, die werden bleiben und bekommen dann auch gut bezahlte Verträge, weil es den Firmen wirklich etwas bringt. Ich weiß noch, dass am Anfang die Influencer bei den Shows in der ersten Reihe saßen und mit Geschenken überschüttet wurden. Bis man gemerkt hat, dass nicht alle einem etwas bringen. Weil wenn ihre drei Millionen Follower gar nicht das Geld haben, um sich die teuren Klamotten des Labels zu kaufen, nutzt es dem Label gar nichts. Das relativiert sich langsam wieder.

DS: Ich wollte nochmal auf das Thema Diversity zu sprechen kommen. Für mich ist das eigentlich so eine Art Selbstzensur der Mode-Branche im Moment. Wir werden damit ja bei jedem Casting konfrontiert, es ist ein heißes Thema. Es ist ein wenig wie beim Greenwashing. Es gibt auch eine Art “Diversitywashing”, also die meisten Firmen machen da einfach mit, weil es zum guten Ton gehört. Aber eigentlich ist das nicht in Ordnung, sondern wichtig ist ja, dass man sich selber hinterfragt, ob man vielleicht seine Ansichten ändern sollte und anders agieren sollte? Und das ist ja nicht nur damit erledigt, dass man alles, was man immer gemacht hat sowieso immer weitermacht und gleichzeitig nur etwas “Diversity Casting” in der Kampagne macht. Man muss da schon viel konsequenter ran und auch gucken, mit wem man sich umgibt, mit wem man arbeitet, wie man Leute behandelt und da auch alle mit einbeziehen, auch die Assistenten mit Respekt behandeln. Wie geht man mit ihnen um, ist die Bezahlung gerecht? Es ist ja gut, dass man jetzt ganz oft afrikanische Models bucht. Aber mich nervt, dass das jetzt oft als Trend anstatt aus guten Gründen gemacht wird. Man geht leider eigentlich fast wie nach einem Excelsheet mit Checkboxen vor, wie ein Racial Profiling, man muss alles abdecken. Stellt euch mal vor, wir wären ein Team von drei Kuratoren für ein kontemporäres Museum und wir würden überlegen, welche sechs großen Ausstellungen wir in 2025 machen. Wir würden zusammensitzen und jeder hätte sich ein wenig vorbereitet. Vor fünf Jahren hätte unser Approach wahrscheinlich ganz anders ausgesehen als jetzt. Vor fünf Jahren hättest Du gesagt: “Ich war gerade in Uruguay und da habe ich ein alte Künstlerin kennengelernt, die ist unglaublich, aber die hat noch nie eine große Ausstellung gehabt, aber mit der würde ich gerne etwas machen.” Der nächste würde sagen: “Ich hab in Berlin zwei junge Künstler getroffen, die total verrückte Sachen machen und die würde ich gerne ausstellen.” Und ich würde sagen, ich hab da einen Künstler, der hat mich schon immer fasziniert und könnte mal wieder ein Comeback haben”. Und so würden wir uns die sechs Namen zusammenpuzzeln. Wenn wir dann die Liste haben, würde wir nachher gucken, dass es eine gute inhaltliche Mischung ist.

Aber heute würde man, bevor man überhaupt anfängt Namen von Künstlern aufzuschreiben, so eine Liste machen: die Hälfte müssen Frauen sein, verschiedene Religionen müssen dabei sein, verschieden Altersgruppen… Und nach so einem Raster würde man dann die Künstler aussuchen. Das ist der Punkt an dem ganzen, der mich stört. Diversity hat mich persönlich schon immer interessiert, fand ich immer wichtig. Aber nicht weil es die derzeitige Ansage ist. Mit diesem Punkt habe ich Mühe und der beschäftigt mich auch viel …

Ich lade doch auch nicht zum Abendessen jemanden nur ein, weil er Schwarz ist, damit wir eine gute ausgeglichene Mischung haben, sondern weil er ein Freund von uns ist. Wir müssen auch nicht noch ein Lesbenpärchen mit dazu einladen nur damit die Mischung stimmt, sondern einfach, weil wir sie als Menschen schätzen. Mein Umfeld war immer schon divers, mich hat das immer schon interessiert, verschiedenste Menschen kennen zu lernen.

Bei Shootings heute merke ich manchmal diese Unsicherheit, ob jemand gebucht worden ist, weil man ihn wirklich gut findet oder ob er nach Racial Profiling gebucht worden ist. Wir sollten Talents buchen weil sie gut sind und wir sie dafür wertschätzen. Natürlich finde ich, dass Diversity sein muss, das ist wichtig. Aber es müsste viel intuitiver und ehrlicher sein, es müsste eigentlich schon bei der Erziehung anfangen, dass man den Leuten, Kindern erklärt, warum das gut und wichtig ist und nicht, dass es von außen per Excelsheet und Checkliste aufgezwungen wird.

SZ: Wahrscheinlich schlägt es auch hier wieder erstmal ins komplette Extrem aus, um dann irgendwann wieder zu so einer organischen Mitte zu finden. Für mich steht auch die Frage im Raum, was ist schwieriger, dieses Profiling jetzt, was vollkommen unglaubwürdig ist oder das Früher, als bestimmte Models für bestimmte Jobs ausgeschlossen waren, weil sie nicht zur Markenidentifikation beitrugen? Das war wirklich schlimm früher.

DS: Ein gutes Beispiel finde ich dafür eigentlich Sport. Dort spielt es doch in der Regel überhaupt keine Rolle, welche Hautfarbe Du hast, da musst Du einfach nur gut sein. Und so müsste es auch in der Mode sein. Klar, die Mischung muss einigermaßen stimmen, aber man stellt ja auch kein Fussball Team nach “Racial Profiling” zusammen. Das macht kein Sinn. Body Positivity ist ja auch so ein Wort, was gerade in aller Munde ist, aber habt ihr jemals ein Modeshooting mit einem dicken Mann gesehen? In fast jeder Werbekampagne ist mittlerweile ein Oversize Model dabei, aber Du kannst die ganze GQ durchgucken und Du wirst keinen einzigen dicken Mann finden, außer vielleicht mal ein Celebrity.

Dicke Frauen sieht man die ganze Zeit (auf jeden Fall öfter als dicke Männer Anm. d. Red).

Dicke Männer nie!

SZ: Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Henrike Heick + Stephan Ziehen

Illustration/Selbstportrait