Die Mode ist tot!
Es lebe die Mode!
Mit ihrem „Anti-Fashion-Manifesto“ hat die niederländische Trendforscherin Li Edelkoort vor vier Jahren die Modewelt ins Grübeln gebracht. „Mode wie wir sie kennen ist tot“, hieß es darin. Einige Designer und Fashionistas stimmten ihr zu, einige stemmten sich vehement gegen diese Behauptung. Vielen waren ihre Thesen zu abgefahren. Dabei ging und geht es Li Edelkoort um Provokation – und den Mut, an Strukturen etwas zu verändern. Inzwischen passieren Veränderungen in der Modewelt oft lediglich aufgrund durchdachter Marketingstrategien, immer schneller aufeinanderfolgende Kollektionen laufen vor der Angst her, bald wirtschaftlich abgeschrieben zu sein, wenn man nicht Schritt hält. Dadurch befeuern sich Modehäuser und Labels im Wettlauf um Kunden und graben sich selbst und den anderen das Wasser ab. Denn mutig ist es nicht, immer nur auf vermeintlichen Marktwillen zu reagieren. Und schon gar nicht visionär. Dem großen Karl Lagerfeld, kürzlich von dieser Erde gegangen, wird das Bonmot zugeschrieben: „Der Mode entkommt man nicht. Denn auch wenn Mode aus der Mode kommt, ist das schon wieder Mode.“. Ein universalistischer Ansatz, der fast schon mit dem Beuyschen Generalangriff „Jeder Mensch ein Künstler. Die ganze Welt ein Kunstwerk“ mithalten kann. Wenn es eben doch nicht nur Mode wäre. Denn, machen wir uns nichts vor, die großen Konzepte, die politischen Thesen, die eine kritische Haltung zum Hier und Jetzt, zur immerwährenden Vergangenheit genauso wie zu gesellschaftlichen Zukunftskonzepten einschließen, sind auf den Laufstegen der Welt die Ausnahme. In den Ladenlokalen der Fußgängerzonen sowie Online-Shops ebenso. Allerdings lässt sich auch dies mit Liz Edelkoort erklären, die die Meinung vertritt, dass das meiste, was wir kaufen und tragen eben „Kleidung“ ist und nicht Mode.
Actions speak louder than words
Ein ikonisches Fashion-Bild der 1980er Jahre zeigt die Designerin Katharine Hamnett bei einem Empfang in der Londoner Downing Street: Sie schüttelt der damaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher die Hand und trägt ein überdimensioniertes weißes T-Shirt auf dem in schwarzen Lettern prangt „58 % don’t want Pershing“. Ein Statement gegen das Wettrüsten im immer noch Kalten Krieg, Militarisierung insgesamt und Atomwaffen. Mit ihren Statement-Shirts wollte sich Hamnett politisch einmischen und das System verändern, durch Mode bzw. Kleidung. Der Protest gegen die Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt und für LGBT-Rights standen auf ihrer Agenda und auf ihren T-Shirts, die sie millionenfach verkaufte. Konsequent war, dass Hamnett 1989 dann ihr Label aufgab. Sie hatte durch eine Studie herausgefunden, wie stark Modeunternehmen der Umwelt schaden. Noch heute ist die Modeindustrie aktuellen Studien zufolge der größte Umweltverschmutzer nach der Ölindustrie. Grund genug, wieder anzugreifen. Seit 2017 ist Katharine Hamnett mit eigenem Label und vielen Statement-Shirts wieder da, Tenor: „Save the future“. Sie holt alte Entwürfe aus dem Archiv, verwendet Seide und Baumwolle in Bio-Qualität und recyceltes Polyester. Problematisch dabei: Auch alte Poly-Fasern reiben sich beim Waschen ab und bringen letztlich Mikroplastik in die Ozeane. Dennoch ist Hamnett wieder am Puls der Zeit, denn Conciousness sells! Immer mehr Modeunternehmen verinnerlichen daher „grüne Themen“ oder versuchen sich mit Slogans und Regenbogenfarben politisch zu geben. Allein, es fehlt oft die Substanz, das wirklich Themen setzen, aufgreifen und ändern Wollen. Dass Diors „We are all feminists“-T-Shirts zum Bestseller wurde, zeigt, dass der Markt erkannt und genutzt wurde. Ein politisches Statement ist es aber nicht. Tatsächlich könnte es sogar für Frauenrechte, Tier- und Umweltschutz gefährlich sein, diese Statements vor sich her zu tragen, ohne sie umzusetzen. Es ist aber auch Licht am Ende des Tunnels. Für das Label Vivien Westwood stand Nachhaltigkeit schon auf dem Zettel, als es noch kein verkaufsfördernder Trend war. Mit der Kollektion „Ecotricity“ vor zwei Jahren drehte sich dann alles um erneuerbare Energien. Verbunden mit der klaren Aufforderung an die anderen High-Fashion-Labels, auf „grüne Energien“ umzusteigen und fossilen Brennstoffen den Rücken zu kehren. Das zeigt schon Wirkung. Inzwischen haben sich andere Labels wie zum Beispiel Stella McCartney dazu verpflichtet, bis 2020 ausschließlich umweltfreundliche Energien zu nutzen. Auch die von Stella McCartney schon 2001 gestartete „Pelzfrei“-Kampagne, beweist, dass es geht. 18 Jahre, nachdem das Label Pelze verbannte, ziehen mittlerweile die meisten großen Modehäuser mit und verwenden keine Pelze mehr. Aktion und Umsetzung bringt also mehr als Shirts. Vielleicht wäre es für die immer noch von Männer-Entscheidern geprägte Modeindustrie im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltiger, sich an Themen wie gleiche Löhne und Chancen für alle Geschlechter zu wagen, statt „Feminist“-Shirts zu verkaufen.
Sei du selbst! Was immer ein bisschen nach Poesiealbum oder Mutmacher-Eso-Posts in sozialen Netzwerken klingt, ist neben der Nachhaltigkeit vermutlich der größte Trend, den die Modewelt derzeit erlebt, erweitert um „Mach’s dir selbst“. Auch wenn die philosophische Frage, was denn das Selbst sei ebenso wie die etwas praktischere Frage, wie man sich selbst denn finden kann, falls man sich überhaupt sucht, nicht einfach zu beantworten ist. Immer mehr Menschen schließen sich zu Kollektiven zusammen, bei der Arbeit, im Leben, aber in der Mode zählt immer mehr das Individuum. Niemand solle sich beirren lassen, einzigartig zu sein. Ausnahmetalente wie der britische Designer Matty Bovan leben das auch in der Haute Couture vor. Für ihn ist Mode keine Massenproduktion mehr. Kann sie gar nicht sein, wie er immer betont, wenn er über seine Kollektionen spricht. Genauso wie Massenkonsum könne sie nicht für immer weitergehen. Für seine Statements und politischen Ansichten nutzt Matty Bovan denn auch keine massenproduzierten Statement-Shirts, sondern lebt seinen Ansatz und setzt ihn bei der Arbeit um. Für ihn ist Handwerk und Handgemachtes wichtiger denn je, sagte er bei der Präsentation seiner neuen Kollektion. Und einzigartig: Irgendwann werde jeder seine Pullover und Sweatshirts zu Hause bedrucken. Im Vertrieb setzt er seinen Weg aus der Massenproduktion schon um. Die Stücke, die er an Händler verkauft, sind alle nummeriert und jedes ein kleines bisschen anders als das andere. In seinen Schauen spielt er mit dystopischen ebenso wie mit eutopischen Visionen und allem dazwischen. Das ist bunt, kraftvoll, voller Fantasie und vor allem anregend, selbst tätig zu sein. Im vergangenen Jahr versah er Vintage-Taschen, no name und in fast jeder Kiste auf dem elterlichen Dachboden zu finden, mit Stickereien und Prints, die Skizzen oder besser Kritzeleien aus seiner Schulzeit aufgriffen. Versehen mit der klaren Aufforderungen: ihr könnte die Taschen kaufen, aber versucht es doch auch selbst mal! Was Matty Bovan noch zur Ausnahme macht: Er sieht sich selbst nicht als politischen Designer. Er setzt es einfach um.
Text: Lenya Meislahn #l_meislahn
Illustrationen: Oskar Nehry #oskkko