Manchmal trifft man Paare, die man zugleich hasst und liebt. Hasst, weil sie vermeintlich zu hübsch, zu talentiert, zu in love sind, sodass man nicht nicht neidisch sein kann. Und liebt, weil sie eben so hübsch, so talentiert und so in love sind, dass man sich nicht helfen kann und einfach inspiriert und berührt ist von ihrem Licht. Ich dachte immer, dass Yves Saint Laurent und Pierre Bergé so ein Paar gewesen sein müssten.

 

Meine Meinung habe ich zum ersten mal überdacht, als ich das Berbermuseum betrat, was zum Jardin Majorelle in Marrakesch gehört. Der Jardin Majorelle ist ein Garten, der sich auf dem ehemaligen Grundstück der beiden Freunde und Lebensgefährten befindet. Hier ist Yves Asche verstreut und das laute Majorelle Blau erinnert nicht mehr an den Schöpfer Jacques Majorelle, sondern an Yves. Der gab dem Ganzen zwar nicht seinen Namen, machte es aber auf den Laufstegen in Paris berühmt. Berühmt genug, dass sich die Farbe heute eimerweise verkauft. Als kleiner Trost vielleicht für die, die sich kein Yves Saint Laurent Kleid leisten können.

Der Garten ist laut und stachelig. Im wahrsten Sinne des Wortes – es ist halt ein Palmen- und Kakteengarten.

Das Berbermuseum in der Villa Oasis dagegen ist ein Ort der Ruhe. Ein Zyniker würde sagen, dass es daran liegt, dass man hier extra Eintritt zahlen muss und noch nicht mal ein instagrammable Foto machen darf. Das funktioniert halt besser vor lautem Blau. Nein, hier drinnen herrscht Stille und es funkelt ein Sternenhimmel über den Besuchern. Spiegel, Historie, bröckelnde Schönheit von alten Berber-Gewändern. Es ist fast ein bisschen andachtsvoll, wie in einer Kirche. Das Museum trägt eindeutig die feine, ruhige Handschrift von Pierre Bergé, seinem Kurator.

Wie der Name der Villa verrät, soll das Innere eine Oase sein, eine klare Abgrenzung des manchmal fast grell anmutenden Garten außen. Es scheint aber auch ein klarer Kontrast zwei unterschiedliche Menschen zu sein. Yves Saint Laurent, der Schöpfer, bestimmt auch Genie mit der gehörigen Portion kreativen Wahnsinns. Und dann Pierre Bergé, ein Ruhepol, der zusammenfügt, was schon immer zusammen gehörte, einer der nie den roten Faden verliert und so Sinn erschafft. Ruhe zum Chaos. Oase zu den Kakteen.

Vielleicht tue ich Yves unrecht, aber allein Dank dieses Museums wäre immer Pierre der an meinem imaginären Dinnertisch mit den berühmten Charakteren, nicht der gefeierte Künstler selber.

 

Pierre wurde 1930 auf der Île d’Oléron geboren. Seine Eltern erzogen ihn „liberal, tolerant, ja anarchistisch“ wie er freimütig in einigen Interviews erzählte. Schon jung interessierte er sich für Kunst und Literatur, engagierte sich politisch und setzte sich für die Rechte von Homosexuellen ein. Für ihn war homosexuell sein so natürlich wie Linkshänder sein. Diese Einstellung prägte seine journalistische Karriere und führte dazu, dass er schon früh Verfechter von Menschenrechten, dem Code Napoléon und der Ehe für alle wurde. Auch später verleugnete er seine Homosexualität im allgemeinen und seine Liebe zu Yves im besonderen nie.

 

Die beiden hätten sich schon auf der Beerdigung von Yves’ Lehrmeister, Christian Dior, 1958 kennenlernen können, der sie beide beiwohnten. Es war allerdings erst kurze Zeit später soweit, nachdem Yves seine erste Kollektion für Dior vorgestellt hatte und sich die beiden bei einem Dinner kennenlernten.

Pierre war damals noch mit dem berühmten Maler Bernard Buffet zusammen, trennte sich aber nur wenige Monate nach diesem schicksalshaften Dinner von ihm, um mit Yves zu sein. Ein Schritt, der nicht nur sein persönliches Leben, sondern wahrscheinlich auch die Modewelt für immer verändert hat.

 

“I left him to be with Yves Saint Laurent, with whom I lived for fifty years. … How could I completely change in an instant? How could I forget, cross out with a single stroke, the eight years I had spent with Bernard? … All of a sudden the unexpected happened. Maybe that unexpected thing was love at first sight.”

 

Hinter jedem großen Mann steht eine starke Frau. In Yves Fall war das Pierre. Er war seine First Lady, Manager, bester Freund, Komplize. Gemeinsam verbrachten sie erst als Paar, aber immer als Freunde und Geschäftspartner 50 Jahre zusammen.

 

1966 kamen sie nach Marokko. Das Land wurde für die beiden zu einem zweiten Zuhause, zu einer Manifestation und Deklaration ihrer Liebe nicht nur zueinander, sondern zur Kunst, zur Kultur und zu den Farben Afrikas. Und dass obwohl es in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft ohne Unterbrechung regnete und das La Mamounia, in dem das Paar gerne wohnte, weit von seinem heutigen Luxus entfernt war. Aber nach ein paar Tagen ging die Sonne auf und ein bedeutender Abschnitt im Leben der beiden begann.

 

“One morning we awake and the sun had appeared. A Moroccan sun that probes every recess and corner. The birds were singing, the snow capped Atlas Mountains blocked the horizon, and the perfume of jasmine rose to our room. We would never forget that morning, since in a certain way, it decided our destiny.”

Pierre Bergé, A Moroccan Passion

 

Sie kauften zuerst ein Haus in der Medina und ein paar Jahre später in Gueliz, in der Nähe des Jardin Majorelle. Diesen retteten die beiden 1980 vor dem Abriss und restaurierten sowohl den Garten als auch die Villa Oasis mit ihrem Atelier.

 

Pierre war eine treibende Kraft in ihrem Privatleben und der Vermarktung der Marke Yves Saint Laurent. Zusätzlich setzte er sich auch in Marokko für Kunst und Kultur ein und rettete unter anderem das Kulturzentrum “Librairie des Colonnes” in Tanger vor dem Aus, ein Ort in dem damals Größen wie Henri Matisse, Tennessee Williams, Truman Capote und Jimi Hendrix unterkamen.

2001 gründeten die beiden zusammen die “Fondation Jardin Majorelle”, eine später staatlich anerkannte Stiftung die verschiedene kulturelle und pädagogische Einrichtungen unterstütze. Für seinen Dienst für Marokko wurde Pierre 2016 das “Grand Cross of the Order of Ouissam Alaouite” von König Mohammed VI verliehen. Dazu kamen Auszeichnungen in Frankreich als “Grand Mécène des Arts de la Culture”, als “Grand Officier de la Légion d’Honneur” und als Oberhaupt der Opéras de Paris.

 

Marokko inspirierte sowohl die vielen Kollektionen von Yves, die hier entstanden, als auch Pierres Arbeit. Beide interessierten sich für die Kunst der Amazigh, der Berber, den Ureinwohnern Marokkos und irgendwann wurde das Atelier der Villa Oasis, einst das Museum für Islamische Kunst, zum Berbermuseum. Das Museum ist Pierres Meisterwerk. Für ihn zählte nicht nur das Resultat, sondern mehr das Kunstschaffen selber. Etwas was sich auch in der berühmten und sehr vielseitigen Pariser Privatkollektion des Paares zeigte, die Pierre nach Yves Tod versteigern ließ.

 

Es schien irgendwie normal, dass nicht nur ein, sondern zwei Museen folgen würden, die Yves und seine eigenen Werke feiern, aber die distinguierte Handschrift von Pierre tragen würden. Und wie kann es anders sein, dass eins davon in Marrakesch stehen würde.

5.000 Kleidungsstücke, hunderttausende Zeichnungen und Bücher, unzählige Erinnerungen wurden in einem epischen Projekt zusammengefügt.

 

“When Yves Saint Laurent discovered Marrakech in 1966, it was such a shock that he immediately decided to acquire a house and return on a regular basis. Fifty years later, it is therefore perfectly natural to build a museum there devoted to his work, which owed so much to this country.”

 

Das musée YVES SAINT LAURENT marrakech mag nur einen Namen tragen, aber das Innere zeigt deutlich, dass es eine Gemeinschaftsleistung der beiden ist.

 

Pierre selbst war zwar kein Künstler, aber trotzdem Genie. Wer heute in das musée geht, wird das überall erkennen, denn den Raum zwischen den Kreationen von Yves, das Dazwischen, das hat er erschaffen und mit seinem eigenen Genie berührt. Yves Saint Laurent erschuf Schönheit, aber Pierre Bergé machte diese Schönheit für die Welt sichtbar.

 

Unser Taxifahrer zuckt mit den Schultern als wir ihn nach Pierre Bergé auf dem Weg zum Museum befragen. Ja, er kannte ihn, sie hatten mal Hände geschüttelt und anscheinend wundert es nur mich, dass der Name Pierre Bergé hier in Marrakesch sogar für einen Taxifahrer Bedeutung hat. Und auch wenn er kurz vor der Eröffnung des Museums, dem letzten Werk seines Genies, gestorben ist, hat er es dennoch fertig bekommen, noch einmal Schönheit für die Welt sichtbar gemacht. “Er wusste, dass er jetzt gehen konnte,” sagt der Taxifahrer, “das ist ja oft so im Leben.”

Präsident Emmanuel Macron auf Twitter zu Pierre Bergés Tod: „Er war auf der Seite der Künstler, der Unterdrückten und der Minderheiten. Mit Pierre Bergé ist ein Führer, ein Aktivist verschwunden; eine Jahrhundertpersönlichkeit.“

CREDITS

Text: Annika Ziehen #midnightblueelephant 

Photograph: Stephan Ziehen #stephanziehen