Anouk Lamm Anouk
Text: Henrike Heick
Photographer: Stephan Ziehen

Wien, Juni 2024, 34 Grad Celsius, Sommer-Gewitterwarnung

Endlich Sommer
Endlich Wien
Wir sind zu Besuch bei Anouk Lamm Anouk und ihrer Ehefrau und Studiomanagerin Marleen Anouk-Roubik. Wunderschöner Wiener Altbau, oberste Etage – die Klimaanlage
summt leise. Es wird schnell recht frisch, so dass man den Sommer bald wieder Sommer sein lässt. Langsamer Jazz, leise im Hintergrund.
Wir begegnen einem Paar, das sich innigst ergänzt, sich bereichert, in sich ruht, sich harmonisch belebt.
Vereinbart sind Interview und Photo-Shoot, Freitag 9:00. Es ist ein intensiver Tag daraus geworden mit zwei fantastischen Menschen, einem Hund, einer Katze und Pferden aus Luft sowie unzähligen ungrundierten Leinwänden auf Alurahmen und Gesprächen über Diversity, Werte, professionelles Arbeiten, Autismus.
Beide Personen sind beneidenswert zielstrebig, klar in ihren Vorstellungen und Meinungen, dabei wahnsinnig nahbar und liebenswert – vor allem auch im Miteinander. Man meint eine tiefe, lange Verbundenheit zwischen diesen beiden Wesen zu spüren. Neben der beruflichen Einigkeit sind sie durch ihre Werte verbunden. Aufrichtigkeit, Loyalität, Authentizität sowie Professionalität kommen zur Sprache. Es mangelt an Rückgrat und Zivilcourage in unserer Gesellschaft. Geprägt werden diese Werte durch die eigene Erfahrung als Mitglieder verschiedener sogenannter Randgruppen: non-binär, weiblich, homosexuell, vegetarisch/vegan, autistisch – alles vermeintlich wider die Natur des materiellen Erfolgs. Keine Kultur, kein Land ist in der Lage auch nur eines dieser Adjektive belegbar als integrativen Teil zu deklarieren. Man kann sich vorstellen, was es an Anstrengung bedeutet, wie viel Selbstdisziplin es kostet, diesen Kampf allein innerhalb einer Branche, die von Außenstehenden zwar als „offen“ betrachtet wird, es in der Realität aber mitnichten ist, täglich und international auszufechten.

„In meiner Kindheit und Jugend gab es kaum lesbische Personen im öffentlichen Leben, keine Vorbilder, keine Welt von der man später, wenn man erwachsen ist Teil werden konnte. Darum ist es mir ein besonderes Anliegen für lesbische Sichtbarkeit zu sorgen, sowohl in der Kunst als auch als Person.“

Homophobie ist auch in der Kunstwelt weiterhin weit verbreitet. Ein offener Umgang ist daher umso wichtiger. Für viele Künstler:innen und so auch für Anouk, die dem Thema eine starke Präsenz in ihrem Schaffen geben, ist das sicherlich nicht immer von Vorteil. Einige von ihnen wären vermutlich erfolgreicher, würden sie weniger offen, weniger ausdrücklich für ihre Überzeugungen einstehen. Denn in der Regel kaufen und sammeln Menschen Kunst, in der sie ihr Selbst wiedererkennen. Bis heute sind die größten Sammler männlich, heterosexuell, weiß. Weibliche Homosexualität steht hier noch weiter zurück als männliche.

Es kann nie genug sein, marginalisierten Gruppen Sichtbarkeit zu verschaffen, weil sie eben nicht selbstverständlich und chronisch unterrepräsentiert sind. Solange sie als Randgruppen, marginalisierte Gruppen, Nischen-Communities benannt werden ist die Welt nicht fertig.
Ein Weg, einen Beitrag zur Sichtbarkeit zu leisten, die Menschheit nach vorne zu bringen, ist, Kunst in diesem Sinne zu schaffen und dafür zu sorgen, dass sie mit all ihrem Geist gesehen wird. Anouk Lamm Anouk schafft Kunst in genau diesem Sinne und sorgt dafür, dass sie – und damit ihre Person und ihre Überzeugungen – Sichtbarkeit erfahren.

Anouks erste Arbeiten sind Zeichnungen. Bleistift auf naturweißem Zeichenpapier. Noch heute findet man nur selten eine Farbe wie rot oder grün in ihrem Werk, vereinzelt ab 2022. Aus diesem Ursprung begründet sich der in der Kunsthistorie rare Ansatz auf der unbehandelten Leinwand zu arbeiten. Sie betrachtet die Leinwand wie Papier. Die Berührung zwischen Leinen und Farbe – ohne eine Mauer aus Grundierung – bewirkt ganz andere visuelle Effekte, es entsteht eine intensive Intimität – wie Haut auf Haut.
Anouks Arbeit ruht in sich. Ist zwangsläufig, wirkt frei und intuitiv. Es ist, als würde eine lange Schlange an Bildern in ihr stecken, die nach und nach bedeutsam, aber leichtfüßig aus ihr herauspurzeln.
„Meine Kunst entsteht über einen intuitiven Prozess“.
Bei Anouk findet sich kein Zeitgeist, kein Trend. Ihre Kunst kommt aus ihr heraus ohne sichtbare, auszumachende äußere Einflüsse oder Trendströmungen. Es gibt keine Skizzen, sie malt direkt auf die Leinwand. Es gibt kein „Vermalen“, keinen Prozess der „Korrektur“, denn sonst wäre die Leinwand zerstört, sie kann nicht übermalt werden, denn es gibt keine Grundierung, sondern viel rohen Malgrund – Leinen.
Keine Farbe? Nur sehr dezent, denn einer der Grundsätze heißt „zur Ruhe kommen“. Farbe ist laut und zu viele, zu schreiende Farben lösen das Gegenteil, lösen Unruhe aus. Man muss auf sich achten, gut mit sich umgehen, denn man will und muss ja arbeiten. Das erfordert einen gesunden Umgang mit sich selbst, ohne, dass man stetig seine eigenen Grenzen überschreitet. Und das erfordert ein hohes Maß an Disziplin und Professionalität. Während andere junge Künstler:innen Entspannung durch Dolcefarniente erlangen, sich gegebenenfalls wundern bis ärgern, dass sie nicht vorankommen, arbeitet Anouk Lamm Anouk stetig an ihrem Oeuvre, investiert ihre Zeit und ihre finanziellen Mittel in die Kunst. Sie ist wahnsinnig fleißig, einhergehend mit ihrer ihr eigenen Zielstrebigkeit, produziert sie Kunst – Kunst, die berührt, das Innerste berührt. Für mich im eigentlichen Sinne, unbeschreiblich berührt.
Anouks Zielstrebigkeit und ihr stetes Voranschreiten begründet sie selbst mit ihrem Autismus:

„Mein Autismus führt dazu, dass ich unbeirrt bei mir sein kann und wenig auf die Meinung der Mehrheitsgesellschaft gebe. Ich konnte schon immer sehr fokussiert sein und habe in meiner Jugend an meinem Oeuvre gearbeitet während andere sich mit ihrer Peergroup beschäftigt haben. Das Phänomen meiner Jugend war, meine künstlerische Handschrift zu entwickeln, das Fundament für alles weitere, das kam.“

Sie merkte früh, dass die Menschen um sie herum anders sind als sie. Nicht ihre Eltern haben sie an die Diagnose Autismus herangeführt. Sie hat sich selbst, erst als Teenager, an den Dachverband Österreichische Autismushilfe gewandt und die Bestätigung erhalten, dass es einen Grund dafür gibt, weshalb es ihr beispielsweise schon immer leichter fiel mit Tieren zu kommunizieren als mit Menschen. Denn wie sie, re-agieren Tiere intuitiv und authentisch. Sie sind in jeder Situation ehrlich. Sie stellen – anders als Menschen – keinen Denkprozess zwischen Fühlen und Agieren.
Man spürt Anouks „Andersartigkeit“ – auch wenn sich das an diesem einen Tag nicht durch extreme Schüchternheit oder auffallendes In-Sich-Gekehrtsein bemerkbar macht. Sie hat etwas Schwebendes, Sphärenhaftes. Ihre Aura haftet sich an. An das Gegenüber, an ihre Kunst, an jedes Luftmolekül. Das macht das Zusammensein mit Anouk Lamm Anouk – vertretungsweise mit ihrer Kunst – zu einem intensiven, bleibenden, fast physischen Erleben.

Zu Anouk gehört Marleen. Zu Marleen gehört Anouk. Egal, wie man es dreht. Wenn auch bei Marleen etwas Wesenhaftes wahrzunehmen ist, so spürt man hier die stärkere Erdung. Marleen strahlt eine behagliche Sicherheit und Verlässlichkeit aus, mit einer Klarheit und unzweifelhafter Loyalität, die einem bei Paaren begegnet, die offensichtlich und zweifellos füreinander bestimmt sind – ob temporär oder ihr Leben lang. Seelenmonogamie. Die Juristin war bis vor einem Jahr noch in der Österreichischen Politik, im Kabinett von Leonore Gewessler (derzeitige Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie). Viele Reisen, viele Veranstaltungen. Ein erfüllender, ein Vollzeitjob. Parallel managte sie Anouks Atelier, die Arbeit mit den Galerien, den Ausstellungen, den Museen, den Medien, organisierte die Reisen. Dieser „Nebenjob“ nahm immer mehr Zeit in Anspruch und der Wunsch und letztlich die schlichte Notwendigkeit, sich diesem Job mit vollem Einsatz, zu 100% zu widmen, gewann. Jemand anderes dafür einzustellen, kam nicht in Frage. Die Einheit der beiden lässt es nicht zu, einer externen Person, die Nähe, Intimität dieser Aufgaben zu überlassen. Marleen verabschiedete sich erstmal aus der Politik, sich aufzuspalten war nicht möglich. Seither bestreiten diese zwei Menschen ein Arbeitspensum, das andere als überbordend, zu nah an einem Burn-Out-Syndrom beschreiben würden. Diese beiden wirken dabei erfüllt, glücklich, in-sich-ruhend, ausgeglichen. Sie folgen ihrer Leidenschaft, ihrer Berufung.
Ihnen zu begegnen ist ein Erlebnis, das Mut macht, Gedankenspiele öffnet und bereichert. Ich bin froh, dass wir zehn Stunden Zug gefahren sind, um Marleen und Anouk selbst zu besuchen. Wir sind neun Stunden durch das Atelier gerauscht, mal sitzend, mal stehend, fast liegend, essend, trinkend, staunend, höchst amüsiert, beseelt. Es ist etwas Besonderes so herzlich aufgenommen zu werden. Ich kann nicht sagen, dass ich nach diesem Tag nicht erschöpft gewesen wäre, aber es war ein schönes Erschöpftsein. Tiere tun gut daran, sich anderen Wesen unvoreingenommen und neugierig, ohne einen Gedanken zu nähern, es endet meistens gut, man lernt das Gegenüber wertzuschätzen und zu respektieren – man erfährt Wertschätzung und Respekt. Es ist Natur. Es ist Magie. Anouks Werke übertragen diese Magie.

Das Sommer-Gewitter brach in der Nacht über Wien ein, Blitz und Donner. Die Natur übernimmt.

Aktuelle + kommende Ausstellungen:
September 2024: 
Bei „The Armory Show“ in New York werden Werke aus den Serien post/pre und Lesbian Jazz mit der Galerie Pablo’s Birthday zu sehen sein.
Eine Soloausstellung in Venedig „From Humans, Horses & Hounds“ bei Patricia Low Contemporary, eröffnet am 14. September, ein Artist Talk mit Anouk Lamm Anouk und Gemma Rolls-Bentley (Autorin von “Queer Art”) findet am 17. September statt. Die Ausstellung behandelt die historische Verknüpfung von Lesbianism und animal rights.

2025:
Ausstellungen in Europa, Asien und den USA sind geplant.