„Alltägliches sichtbar machen“

Photographer: Julien Fertl
Show-Photographer: Jonah Nogens

Anfang Juli dieses Jahres fand eine besondere Modenschau statt. Nic Moeckel zeigte zum 70. Geburtstag seiner Großmutter Uta, seine selbst entworfene Mode in der Garage ihres Hauses. Uta hat dort Anfang der 90er, nach der Wende, Jogginganzüge, Jeans und Aerobicmode an die Einwohner Plauens verkauft. Später eröffnete sie dann die Boutique „La Mode“, in der ihr damals noch kleiner Enkel Nic viel Zeit verbrachte. Prägende Jahre für ihn, die den Grundstein für sein Interesse an Mode, Kunst und dem Schönen an sich weckten. Jetzt schließt sich der Kreis mit seiner ersten eigenen Show zu Ehren seiner Großmutter. Seine Entwürfe sind verspielt, unkommerziell, phantasievoll und rau. Nicht alles hat Hand und Fuß, aber man spürt eine Energie und Unangepasstheit, die Spaß macht. Ich weiß nicht ob hier der nächste McQueen oder Margiela am Start ist, aber ich bin froh über jeden Freigeist!

Cyte: Okay, Nic, wie bist Du zur Mode gekommen? Erzähl!

Nic: Es hat mit meiner Oma angefangen, würde ich sagen, in ihrem Laden, „La Moda“. Da war ich als Kind immer nach der Schule. Ich war permanent von Kleidung und Zeitschriften umgeben und hörte, wie meine Oma die Kunden beraten hat.
Als Kleinkind habe ich das alles aufgesogen und jetzt habe ich das über die Jahre verdaut und spucke es so langsam wieder aus. So fühlt es sich an. Und ich kann jetzt erst rückblickend meiner Oma dafür danken, weil ich es inzwischen einordnen kann. Damals, als Kind war das alles selbstverständlich für mich.

Cyte: Und die Show, die Du in der Garage veranstaltet hast, das ist allein Dein Werk, Du hast Dir das alles selbst beigebracht?

Nic: Irgendwie alles, was ich mache, fange ich autodidaktisch an. Es ist ganz banal: Anfangs steht die Lust, ich habe Bock auf was, probiere ich mich aus, falle ich ein paar Mal hin, lerne dabei und mach es nochmal.
Eine Sensibilisierung für Mode war immer da und gerade auch in der Schule, dann guckt man schon, was tragen die anderen, was ist gerade so der Peer-Group-Code. Und das hat sich weiterentwickelt. Dann habe ich das FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr) im Medienkulturzentrum Dresden gemacht. Es gibt dort eine große Halle und da habe ich gesagt, okay, ich habe da ein paar besiebdruckte Klamotten rumliegen, die zeig ich jetzt. Zu dieser Zeit war alles sehr grafisch basiert. Was wichtig war, dass es Spaß gemacht hat und ich wusste, dass ich weitermachen will.

Cyte: Arbeitest Du weiter an deinen Modedesigns oder ist das jetzt momentan durch das Studium in den Hintergrund geraten?

Nic: Es gibt immer Phasen. Eine Zeit lang male ich, eine andere Zeit lang designe ich.
Ich finde die Abwechslung essenziell, wenn man stetig nur an einer Sache arbeitet, dann stagniert man. Aber wenn es eine Pause gibt, man raus in die Welt geht, lebt, andere Dinge wahrnimmt, Bekanntes durch neue Filter betrachtet. Und wenn man dann zurückkommt, dann verzeichnet man meistens eine Entwicklung. Ich habe noch so viel unveröffentlichte Designs – auf meinem Computer habe ich bestimmt so 200 Entwürfe liegen und Skizzen nochmal 500.

Cyte: Hast Du Vorbilder in der Modewelt?

Nic: Es gibt schon Spannungsfelder, in denen man sich bewegt und aufsaugt. Margiela ist gut, Rick Owens auch. Diese ganze Bubble um Yeezy und Kanye herum – abgesehen davon wie er sich politisch äußert. Aber wenn man ihn im Bereich der Kunst und des Designs, auch der Architektur beurteilt, ist er wirklich progressiv. Auch „Prototypes“ finde ich gut.

Cyte: Würdest du dich selbst irgendeiner Szene zuordnen?

Nic: Ja, wenn man so sagen kann, dass es Kinder von Demna (Demna Gvasalia von Balenciaga) gibt, dann gehöre ich irgendwie dazu. Die Sachen, die einen umgeben, die prägen einen und ob wann will oder nicht, in irgendeiner abstrahierten Form sind sie im eigenen Werk vorhanden. Man muss also gucken, dass man eine gesunde Distanz zu seinen Vorbildern hält, sonst wirkt das was sie machen als alternativlos und es gibt kein Raum für Abweichung und den eigenen Willen, und gerade der ist ja interessant. Ein zweiter Demna würde die Leute langweilen, weil den gibt es ja schon, was spannend ist, ist die eigene Version. Dieses auf Distanz bleiben ist in einer Konsum ausgerichteten Welt nicht immer leicht. Hinter jeder Ecke lauern Informationen, überall sind Algorithmen auf einen zugeschnitten, man kann sich nicht wirklich abkapseln, dazu müsste in einer Höhle leben, – vielleicht ein Zukunftsprojekt.
Ich muss sagen, ich habe alles, was Demna gemacht hat, sehr lange wirklich sehr gemocht.
Das Spannende ist ja, dass Figuren wie Demna, oder auch Virgil Abloh, alltägliches wieder sichtbar machen. Dieses DHL-Shirt. Und in dem Moment, in dem er das dann rausbringt, ist als hängt man es in einen weißen Raum, also man verändert den Kontext. Das trägt nicht mehr der DHL-Bote, sondern es hängt in diesem weißen Raum, sein Wert verändert sich komplett. Und das aber nicht, weil das Shirt jetzt anders ist, sondern nur weil sich die Atmosphäre drumherum verändert hat.

Cyte: Wie lange musst du noch studieren, bis du einen Bachelor in visuellem Design hast?

Nic: Drei Jahre – Am liebsten würde ich mein ganzes Leben studieren. Ich bin von Grund auf neugierig und will mich ausprobieren. Also ich glaube, die Freude am Spiel ist für das was ich machen unersetzlich. Ich meine die Unbedarftheit mit der Kinder die Welt entdecken, bereit Kontexte zu verändern und Funktionen zu missachten. So kam auch dieses eine Outfit zustande, wo der Lampenschirm auf einmal eine Kopfbedeckung ist. Man sollte Kinder ermutigen quer zu schlagen, erst dann wird es spannend. Mit meiner WG-Mitbewohnerin habe ich angefangen regelmäßig Spaghetti mit den Händen zu essen.

Cyte: Es gab einen Look in der Show, wo ein Modell eine Brille trug, die an die Margiela „Blade Runner“ Brille erinnerte. War das beabsichtigt?

Nic: Nein, die Brille habe ich vorher nicht gesehen. Es ist ja häufig so, dass irgendwann die Zeit reif ist und ganz viele vergleichbare Designs an unterschiedlichen Stellen aufploppen. Hip-Hop wurde ja auch nicht an einer Stelle erfunden. Irgendwann ist die Zeit reif und dann machen viele Leute an unterschiedlichen Stellen den nächsten Schritt.

Cyte: Wie fand Deine Oma die Show, die Du als Hommage an sie gemacht hast? War ihr das nicht zu verrückt?

Nic: Die Oma hat rote Haare. Da verkraftet sie das schon. Sie hat es akzeptiert!

Cyte: Hat die Kollektion oder die Show einen Namen?

Nic: Das ist „Hommage a grand-mère“.

Cyte: Wie kam Deine Show insgesamt an, abgesehen von Deiner Oma?

Nic: Es war ein gemischtes Publikum. Meine Kommilitonen, mein Alter, und dann die ganzen, die so ungefähr 50 Jahre älter waren. Bei den 50-Jährigen bin ich mir nicht ganz sicher, ob sie nur gesagt haben es habe ihnen gefallen, weil sie mich kennen.
Aber bei den Leuten, bei denen es mir wichtig war, bei denen ich weiß, dass sie für sowas sensibilisiert sind, das einschätzen können, da hatte ich auch positives Feedback. Und das freut mich natürlich.

Cyte: Was treibt Dich an?

Nic: Zu einem Kommilitonen habe ich gesagt, dass ich mich in unserer Welt langweile, oder eher meine Sinne langweilen sich. Ich glaube von diesem Zustand geht die Euphorie aus mit der ich das Andere suche und hervorbringe. Ich möchte aus gelernten und tradierten Sehgewohnheiten raus. Es ist einfach meine Vision, es ist meine Kunst, ein intrinsischer Trieb, wie ein Tagebucheintrag. In erster Linie mache ich das für mich und nicht, weil es jemand anders gefallen würde. Und wenn mir der Tagebucheintrag so gut gefällt, dann kann ich ihn veröffentlichen und schauen, ob er noch jemand anderem gefällt. Und wenn nicht, dann ist es auch gut.
Die meisten Leute haben vor dem Anderen Angst oder Respekt, weil sich auf das Neue erst eingestellt werden muss, es fordert uns. Die Antworten müssen erst noch gefunden werden. In dem Moment, wo du so eine Frage provozierst, ist das ein Hinweis dafür, dass du irgendetwas Anderes geschaffen hast, irgendetwas Irreguläres, Unkonventionelles.
Die meisten Leute reagieren mit Ablehnung, fühlen sich in ihrer Gewohnheit bedroht. Indikator dafür sind dann so Sprüche wie, „…was soll das denn“ oder „…und was bedeutet das jetzt?“ Es muss eine Plattform für alternative Lebensentwürfe geschaffen werden, sie erfrischen unseren Geist.
Rick Ruben, ich weiß nicht, ob du ihn kennst. Den Musikproduzenten.
Also für traditionell produziert man ja im dunklen Studio. Er hat dann angefangen mit den Leuten rauszugehen, in Licht durchflutete Räume, um wieder näher zur Natur zu kommen. Und das macht natürlich was mit der Musik.
Ich fand das sehr interessant. Er ist weitaus mehr als nur ein Produzent, sondern eher ein Philosoph mittlerweile.
Und das Schöne ist, anders als ein Großteil der Geisteswissenschaftler, ist er für mich authentisch und nachvollziehbar, in dem, was er beschreibt. Er lässt sich nicht auf die Kälte der Wissenschaft und die damit einhergehende Abstraktion ein. In dem, was er schreibt, erkenne ich mich wieder, wenn ich mein Schaffen reflektiere. In dem, was ein Großteil der geisteswissenschaftlichen Community schreibt, nicht. Er hat ein Buch geschrieben, in dem er sagt, dass er keine Antworten geben will. Und dass er sich nicht bewusst ist, ob das richtig ist. Aber das ist das, was er erfahren und beobachtet hat.

Cyte: Was denkst Du über KI?

Nic: Ich finde es wichtig, dass man an absurden, nicht tragbaren und nicht vorhersehbaren Dingen arbeitet, quasi als Gegenentwurf zur KI und allem technisch Logischem. Wir brauchen all das Handgemachte, Unkontrollierte, das Verrückte oder Sinnlose oder wie auch immer man das Gegenteil von KI bezeichnen möchte. Ich kann nur für mich sprechen, ich weiß, dass ich sowas immer machen werde, und dass KI mir nichts abnimmt. Ich habe in mir ein intrinsisches Bedürfnis wie Hunger und dieser Hunger stillt sich nicht durch KI. KI kann ein Instrument sein, wie für den Maler der Pinsel, nimmt aber einem nicht die Frage ab ob das was man vor sich hat, einen Wert hat oder nicht, dafür braucht es weiterhin Geschmack und Erfahrung. Ich verstehe KI nicht als short-cut, sondern als Erweiterung meines Werkzeugkoffers.
In den letzten Jahren habe ich auch versucht meine Umgebung zu kuratieren oder weitestgehend bewusst zu entscheiden, welche Filme gucke ich, welche Musik höre ich, wie oft höre ich Musik, welche Farbpaletten, welche Architektur, welche Formen kommen darin vor, welche Bücher und so weiter. Das saugt man alles auf und es bestimmt das Unterbewusstsein, irgendwann kommt es wieder hoch.

Cyte: Wie ist Dein Verhältnis zu deinen Eltern?

Nic: Wahnsinnig gut. Und neben meiner Oma, habe ich auch meinen Eltern zu danken. In der Welt, in der ich aufgewachsen bin, war so gut wie alles möglich. Meine Eltern haben immer meine Meinung, meinen Geschmack gefördert. Ich hatte einen Spielzeugbagger, der war gelb, und da wollte ich, dass er grün war. Papa hat grüne Farbe gekauft und wir haben den Bagger gemeinsam angesprayt. Ich wollte große Spieldinosaurier, und ich konnte noch nicht so gut zeichnen, dass ich meinen Vorstellungen gerecht werden konnte. Dann habe ich Mama als Bleistift benutzt, sie musste die Dinos für mich zeichnen. Es kam ungefähr das heraus, was ich mir vorgestellt hatte. Etwas älter habe ich selbst angefangen zu probieren, die Proportionen zusammengesetzt. Ich wollte früh meinem Willen und meiner Intuition nachgehen. Ich glaube, auf diese gute Erfahrung in der Kindheit greife ich jetzt viel zurück.
Ich fange Sachen einfach an. Wenn es sich richtig anfühlt spüre ich es. Manchmal bin ich auch desillusioniert, von dem was ich so mache. Das kommt auch vor. Ich habe auch nicht immer die Energie, etwas umzusetzen.
Als zum Beispiel meine Oma mich bat die Einladungskarten für ihren Geburtstag zu gestalten habe ich gesagt, okay, ich stelle das ganze Abendprojekt zusammen. Am Anfang hatte ich die Motivation, aber letztlich hatte ich nicht die Energie oder den Willen, das aufzubringen. Irgendwann hatte ich mir wieder ein neues Energiefeld erschlossen, dann war es möglich. Darüber spricht Kanye auch ganz oft. Dass er Atmosphären schafft, in denen man arbeitsfähig ist. Also da, wo Energie freigesetzt wird, wo Wille, wo Dopamin entsteht. Ich habe dafür ein Manifest geschrieben. Der zentrale Punkt ist eigentlich, ganz viel Alltag ,Krankheit und Kleinbürgerlichkeit wegzuschieben.
Keine Zeit mehr auf Essen kochen, verschwenden. Wirklich nur für die eine Sache zu brennen. Man muss dafür sorgen, dass sich der Nebel lichtet. Ich mag diese Nebelmetapher.

Mal ist Nebel da und man sieht gar nicht, wo man hinlaufen soll. Mal ist auf einmal alles klar und es ist klar, wohin man läuft. Das ist der Punkt, wenn man sagt „the vision gets clear“.

Cyte: Was sind deine eigenen nächsten Projekte? Unabhängig, ob es Mode ist oder Malerei oder Design. Woran arbeitest du gerade? Wo lichtet sich der Nebel gerade so ein bisschen?

Nic. Gerade sind bei mir wieder Nebelschwaden aufgezogen.

Cyte: Warum?

Nic: Es ist so, dass dieses Dopamin und die Euphorie, die vor dieser Show in mir waren, gerade so abfallen. Deshalb habe ich das Gefühl, ich muss erstmal wieder ein bisschen leben und erleben. Um wieder was rauszugeben.

Aber im November ist in München der Kunstsupermarkt. Da stelle ich Bilder von mir aus.
Und eigentlich wollte ich mit einem Freund nach Thailand, aber wir haben kein Geld. Und jetzt ist es wahrscheinlich Ungarn geworden, oder wieder Italien. Vielleicht gehe ich im August arbeiten.
Um ein neues Projekt zu finanzieren. Vielleicht habe ich nach der Reise eine Antwort, welches Projekt es sein wird. Ich glaube, das ist sehr wichtig.
Also wenn ich sage, man muss raus und leben … … das ist die Erfahrung, die ich gemacht habe für mich. Das heißt nicht, dass die für andere eine Gültigkeit besitzen muss. So ein bisschen entdecke ich mich auch wieder … … in meinen inneren Konflikten.